28. September 2025

Anerkennungsberatung: Umzugshilfe für Berufe

Von Brigitte Gisel

In ihrer Heimat waren sie Fachkräfte, oft haben sie gut verdient. Dann kamen Krieg oder Bürgerkrieg und sie sind geflüchtet. Jetzt leben viele Geflüchtete in Deutschland und würden gerne wieder in ihrem alten Beruf arbeiten. Doch das ist nicht so einfach – weil die Voraussetzungen in Deutschland andere sind und Diplome und Berufsabschlüsse nicht gelten. Bei der Anerkennungsberatung helfen Fachleute Geflüchteten und anderen Migranten aber dabei, in Deutschland beruflich wieder Fuß zu fassen. Anja Gessler ist eine von ihnen. Sie ist Bereichsleiterin Anerkennung und Qualifizierung bei IN VIA in Ulm. Das ist ein Fachverband der Caritas, der sich speziell für Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte einsetzt. Gessler und ihr Team sind zuständig für alle Ratsuchenden im Regierungsbezirk Tübingen. Der umfasst das Dreieck zwischen Tübingen, Ulm und dem Bodenseekreis.

Keine vergleichbaren Berufe in Deutschland
Immer wieder kommen Ratsuchende, die in ihrer Heimat in einem Beruf tätig waren, den es in Deutschland gar nicht gibt, erzählt die Beraterin. „Ein typisches Beispiel ist der ‚Feldscher‘“, sagt Gessler. In der Ukraine und anderen osteuropäischen Staaten ist Feldscher ein Beruf, der zwischen Arzt und Krankenpfleger angesiedelt ist. Feldscher versorgen Wunden, stellen Diagnosen, leisten Erste Hilfe und stellen in ländlichen Gegenden die medizinische Grundversorgung sicher. Studiert haben sie nicht. In Deutschland gibt es aber nichts Vergleichbares. Ohne Studium und Approbation darf niemand hier als Arzt oder Ärztin arbeiten. Auch für Gesundheits- und Krankenpflegepersonal gibt es genaue Vorschriften.
Gessler und ihre Kolleginnen machen sich in solchen Fällen zunächst auf die Suche nach einem Referenzberuf – in diesem Fall ist das der der Pflegefachkraft. Dann wird geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Anerkennung vorliegen – oft ist das aber nicht der Fall. Das heißt aber nicht, dass es für Zugewanderte nur Hilfsjobs gäbe: Sie können sich als Fachkräfte aus dem Ausland um eine Teilanerkennung bemühen, gleichzeitig ihre Sprachkenntnisse verbessern und Praxiserfahrung zu sammeln. Über eine Anerkennungsqualifizierung gibt es die Möglichkeit, über einen Folgeantrag doch noch zur Anerkennung zu kommen. So kann auch aus einem „Feldscher“ eine Pflegefachkraft werden.

Online-Beratung sogar auf Vietnamesisch
Der Beratungsaufwand ist hoch. Deshalb bieten die Beraterinnen und Berater von IN VIA in den neun Stadt- und Landkreisen des Regierungsbezirks in 20 Orten regelmäßig Termine an – auch in Reutlingen und in Tübingen. Sie kommen beispielsweise nach Absprache ins Jobcenter, in Welcome-Center oder Integrationszentren. „Wir sind überall da, wo die Zugewanderten sind“, sagt Gesssler. Bei Bedarf sind auch Dolmetscherinnen und Dolmetscher dabei. Manche Beraterinnen und Berater haben aber selbst exklusive Sprachkenntnisse – so kann ein Beratungsgespräch durchaus mal per Videokonferenz auf Vietnamesisch stattfinden. 3000 Erstberatungen hat IN VIA allein im vergangenen Jahr im Regierungsbezirk Tübingen absolviert. Die 7,75 Stellen werden teils vom Bund und teils vom Land Baden-Württemberg finanziert. Die Beratungszentren zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen sind ein gemeinsames Angebot des Förderprogramms „Integration durch Qualifizierung (IQ)“ und des baden-württembergischen Sozialministeriums. Das Anerkennungsverfahren selbst dauert in der Regel drei bis vier Monate.
Interessenten für eine Beratung kommen aus aller Herren Länder, manchmal melden sich potenzielle Fachkräfte auch schon aus dem Ausland – eine Folge des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. „Am stärksten ist die Nachfrage derzeit bei Geflüchteten aus der Ukraine“, sagt Anja Gessler. „Im Jahr 2023 gab es eine Steigerung um 120 Prozent.“ Aber auch Geflüchtete aus der Türkei oder Syrien suchen häufig nach Rat. Rückläufig sind dagegen Beratungswünsche von EU-Bürgerinnern und -bürgern aus Kroatien oder Ungarn oder aus den Beitrittskandidatenstaaten Nordmazedonien und Bosnien.

Manches geht auch ohne Anerkennung
Unter den Geflüchteten aus der Ukraine, die hier in ihrem Beruf arbeiten wollen, sind sehr viele AkademikerInnen, wie Gessler sagt, „weit mehr als mit Berufsausbildungen.“ Darunter sind ÖkonomInnen, Ingenieure, ÄrztInnen und Sozialarbeiter. „Viele sind sehr gut ausgebildet“, sagt die Bereichsleiterin. Probleme entstehen manchmal dadurch, dass in der Ukraine der Wechsel zwischen Arbeitsfeldern offenbar leichter ist als hierzulande: So hat eine ihrer Klientinnen zunächst ein Jurastudium abgeschlossen, dann aber als Sozialarbeiterin gearbeitet. Als Sozialarbeiterin hat sie aber keinen Berufsabschluss, der ihr hier anerkannt werden könnte.
Nicht für alle Berufe bedarf es einer Anerkennung. Wer in einem nicht reglementierten Beruf arbeitet – etwa eine Agrarbetriebswirtin für die ländliche Hauswirtschaft – kann das in Deutschland ohne weitere Nachweise tun. ArbeitgeberInnen bestehen aber dennoch oft auf einem Papier, das die Qualifikation nachweist. Deutschkenntnisse sind meist zwingend. „Arbeitgeber verlangen das richtige Sprachniveau“, so Gessler. Manchmal ist das eine Prüfung auf der Ebene B2 oder höher, manchmal reichen auch Grundkenntnisse. „Lernen Sie Deutsch“ rät Anja Gessler allen, die zu ihr in die Beratung kommen. „Die Sprache ist der Schlüssel.“
Schnelle Anerkennungen gibt es meist bei Handwerksberufen und Berufsbildern aus dem Gebiet der Industrie- und Handelskammern. Schwieriger ist es bei Gesundheits- und Krankenpflegern und bei Ärzten. Was Gessler freut: „Die Prozesse sind einfacher geworden.“ So müssen viele Diplome aus der Ukraine nicht mehr übersetzt werden, sondern können für das Anerkennungsverfahren direkt hochgeladen werden.

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