8. Februar 2025

„Biodeutsch“ ist das Unwort des Jahres 2024

Das Wort „biodeutsch“ wird in sogenannten sozialen Medien oft verwendet. Es dient dazu, „Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich biologischer Abstammungskriterien einzuteilen, zu bewerten und zu diskriminieren“. Das schreibt die unabhängige Aktion „Unwort des Jahres“ in einer Pressemitteilung. Als Unwort werden im Deutschen Begriffe bezeichnet, die diskriminierend und irreführend sind oder gegen die Menschenwürde verstoßen.

Eine rassistische Konstruktion
Ursprünglich wurde die Wortschöpfung aus „biologisch“ und „deutsch“ ironisch als satirischer Begriff verwendet, so die Jury aus SprachwissenschaftlerInnen und einer Journalistin. Das ist inzwischen anders: „Mit dem Wort biodeutsch wird eine rassistische, biologistische Form von Nationalität konstruiert“, heißt es in ihrer Pressemitteilung.

MigrantInnen werden abgewertet
Dabei werde „Deutschsein“ naturbezogen begründet, „um eine Abgrenzung und Abwertung von Deutschen mit Migrationsbiographie vorzunehmen“. „Biodeutsch“ werde verwendet, „um Menschengruppen, die vor dem Gesetz gleich sind, ungleiche Eigenschaften zuzuschreiben und sie somit hierarchisch zu klassifizieren“. Diesen diskriminierenden Gebrauch des Wortes kritisiert die Jury. Er verstoße gegen die Idee von demokratischer Gleichheit und Inklusion. Außerdem stelle er eine Privilegierung der imaginären Gemeinschaft der „Biodeutschen“ gegenüber Gruppen dar, „die aus dem rassistischen Konstrukt der vermeintlichen ‚Biodeutschen‘ ausgeschlossen werden“.

Europäische Gene: alle von Eingewanderten
Auch aus biologischer Sicht ist der Begriff „Biodeutsch“ inhaltsleer und nicht brauchbar: etwas „Biodeutsches“ gibt es nicht. Die junge Disziplin der Paläogenetik vergleicht das Genom heute lebender Menschen mit dem von früher lebenden Menschen, aus deren Knochenproben ihr Genom rekonstruiert werden kann. Demnach stammt das Genmaterial der heute in Europa lebenden Menschen zu etwa 50 Prozent von den vor 8.000 Jahren eingewanderten Steppenreitern aus dem Gebiet des heutigen Kasachstan. 40 Prozent haben die vor 8.000 Jahren aus Anatolien eingewanderten Menschen hinterlassen, die in Europa die Landwirtschaft eingeführt haben. Die letzten rund 10 Prozent stammen von den Jägern und Sammlern, die seit etwa 40.000 Jahren vor heute aus Afrika über den vorderen Orient nach Europa gezogen sind. Diese Anteile variieren zwischen den verschiedenen Regionen Europas nur geringfügig. Mehr dazu unter:
Durch Migration kam helle Haut nach Europa | tuenews

Persönliches Unwort: „importierter Antisemitismus“
Insgesamt 3172 Vorschläge für das Unwort 2024 gingen bei der Jury in Marburg ein. Sie wird jedes Jahr durch wechselnde Gäste ergänzt. Diesmal waren es die Publizistin und Politologin Saba-Nur Cheema und der Publizist, Historiker und Pädagoge Meron Mendel. Deren persönliches Unwort ist „importierter Antisemitismus“. Ihre Begründung: Dieser Ausdruck suggeriere, „dass Judenhass insbesondere mit dem Zuzug von MigrantInnen (aus arabischen Ländern) zu einem Problem geworden sei“. Diese Formulierung werde vor allem in rechten Kreisen verwendet, „um MuslimInnen und Menschen mit Migrationsbiographie auszugrenzen und vom eigenen Antisemitismus abzulenken“. Außerdem würden so MuslimInnen, „die in zweiter oder dritter Generation in Deutschland sozialisiert wurden und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, als ‚importiert‘ und damit als nicht-deutsch und nicht zugehörig zur Gesellschaft dargestellt“.
Zur Pressemitteilung:
Unwort des Jahres | pdf
Das Unwort des Jahres war „Remigration“. Siehe tun24011603.

tun25011301

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