26. Oktober 2025

Deutsch lernen trotz Sehbehinderung

Von Oleksandr Maishev
Deutschland ist ein Land, in dem Sprache Türen öffnet. Sie schafft Chancen auf Arbeit, ermöglicht Begegnungen und hilft, Teil der Gemeinschaft zu werden. Für Menschen mit Sehbehinderung scheint dieser Weg jedoch oft schwieriger. Viele UkrainerInnen in Tübingen, die nur eingeschränkt sehen können, zweifeln daran, ob sie einen Integrationskurs schaffen. Doch sie können es.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bietet spezielle Integrationskurse an, die für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderung entwickelt wurden. Die Gruppen sind klein, die Betreuung ist individuell. Lernmaterialien in Brailleschrift, Audiounterlagen und Braille-Displays gehören zum Standard. Die Kurse dauern 1000 statt 700 Unterrichtsstunden. Sie werden unter anderem im Berufsförderungswerk Würzburg, in der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte sowie im Paritätischen Bildungswerk Bremen angeboten. Wenn es in der Nähe keine passenden Programme gibt, kann das BAMF Fahrt- oder Unterkunftskosten übernehmen. Ein Antrag reicht aus.

Erfolgreich im regulären Kurs
Spezielle Programme sind nicht der einzige Weg. Immer mehr sehbehinderte UkrainerInnen besuchen reguläre Integrationskurse – auch online. Ein Beispiel ist Kateryna Maisheva aus Tübingen. Ihr Sehfeld beträgt weniger als fünf Grad. Trotzdem steht sie kurz vor dem Abschluss ihres Integrationskurses an der Volkshochschule Reutlingen und bereitet sich auf die B1-Prüfung vor.

Das Lernen fiel von Tag zu Tag leichter
„Ich erinnere mich an meine ersten Unterrichtsstunden“, erzählt Kateryna. „Ich hatte Angst. Ich wusste nicht, ob ich das schaffe, ob mich andere akzeptieren. Dann habe ich verstanden: Ich bin hier nicht für Mitleid, sondern zum Lernen. Ich nutzte Vergrößerungsprogramme, elektronische Lupen und druckte Lernmaterialien in großer Schrift. Es war anstrengend, aber mit jedem Tag wurde es leichter. Man darf nicht erwarten, dass andere einen ständig anleiten. Der Glaube an sich selbst ist die wahre Stärke.“

Gleichberechtigt in der Gruppe
Kateryna begann ihren Weg mit Unterstützung von Freiwilligen des Blinden- und Sehbehindertenverbands Baden-Württemberg. Sie halfen ihr bei der Vorbereitung und bei der Suche nach einer passenden Schule. Ihr Kurs wird vom Jobcenter und vom BAMF finanziert. Heute lernt sie in einer regulären Gruppe – gemeinsam mit sehenden Menschen – und fühlt sich gleichberechtigt.

Es gibt technische Hilfsmittel
Sie rät, sich nicht vor regulären Gruppen zu fürchten, wenn ein Sehrest vorhanden ist und man technische Hilfsmittel nutzen kann – etwa Screenreader wie NVDA oder JAWS, die App Be My Eyes oder Programme zur Bildschirmvergrößerung. Wichtig sei, die Lehrkraft über die eigenen Bedürfnisse zu informieren, damit sie Bildschirmaktionen kommentiert oder Seitenzahlen nennt. So werde der Unterricht barrierefrei und angenehm.

Ein weiteres Beispiel
Auch Yevhen Pohorielow aus Niedersachsen hat eine starke Sehbehinderung. Nach dem teilweisen Verlust seines Sehvermögens besuchte er einen Integrationskurs an der Kreisvolkshochschule Vechta und bestand die B1-Prüfung. Die Lehrkräfte passten Materialien an, doch entscheidend waren seine Ausdauer und sein Wille. „Wenn man offen über seine Schwierigkeiten spricht“, sagt er, „reagieren die Menschen mit Respekt. Wichtig ist, nicht aufzugeben.“

Blindenverband berät und hilft
Wer am Anfang steht, kann sich an den Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) oder an die Landesverbände – etwa in Baden-Württemberg – wenden. Dort gibt es Beratung, Hilfe bei Anträgen und Informationen zu technischen Hilfsmitteln. Über das Jobcenter oder die Sozialdienste kann man finanzielle Unterstützung für Kurse, Laptops oder Vergrößerungsgeräte beantragen. Viele technische Hilfsmittel werden auch von Krankenkassen finanziert.

Der Wille ist entscheidend
Deutsch zu lernen ist für Menschen mit Sehbehinderung kein leichter, aber ein machbarer Weg. Die Geschichten von Kateryna und Yevhen zeigen: Entscheidend ist nicht das Sehen, sondern der Wille. Sprache wird zum Schlüssel für ein neues Leben, wenn man an sich glaubt. Oder, wie Kateryna sagt: „Einschränkungen dürfen kein Grund sein, nicht zu lernen. Die heutigen Methoden geben jedem eine Chance. Angst ist nur eine Illusion – entscheidend sind Motivation und Glaube an sich selbst.“

Weitere Informationen:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF):
BAMF – Integrationskurse
Blinden- und Sehbehindertenverband Baden-Württemberg:
bsv-wuerttemberg – Beratung

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