8. Februar 2025

Die Burg in Jettenburg

von Manuel Mozer

Während das Bundesland Baden-Württemberg am 25. April 2022 sein 70-jähriges Bestehen feiert, kann auch Jettenburg[1] in dieser Woche auf ein besonderes Jubiläum zurückblicken. Denn am 26. April 1452, also vor 570 Jahren, wurde das Dorf Teil der damaligen Grafschaft Württemberg. Dazu kam es, weil sich der reiche Patrizier Eberhard Becht der Ältere von Reutlingen entschloss, den ganzen Ort für 2.682 Gulden an die Grafen Ludwig II. und Eberhard V. von Württemberg zu verkaufen.[2]

Wie in den anderen Gemeinden auf den Härten auch, hatten im Hochmittelalter die verschiedenen vornehmen Familien der Reichsstadt Reutlingen, also beispielsweise die Familien Becht, Teufel oder Spiegel, teilweise umfassende Güter und Rechte und manchmal sogar, wie in Jettenburg, ein ganzes Dorf erworben, wodurch sie zu dessen Ortsherrschaft aufgestiegen waren.[3] Um die Mitte des 15. Jahrhunderts zogen sich diese Familien aber Schritt für Schritt aus den Dörfern auf den Härten zurück und verkauften ihre Rechte und Güter in den allermeisten Fällen an die aufstrebenden Grafen von Württemberg, die stets darum bemüht waren, weitere Ortschaften ihrem Herrschaftsbereich hinzuzufügen und die Reichsstadt Reutlingen territorial einzudämmen.  

Urkunde vom 26. April 1452. In ihr wird der Verkauf des Dorfes Jettenburg und der dortigen Burg festgehalten. Quelle: HStA St. A 602 Nr. 13192=WR 13192 http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-39500-1 (abgerufen am 12.04.2022)

Mit einer Urkunde aus Pergament, die sich heute im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart befindet, bestätigte der Reutlinger Patrizier Becht, wie es in dem Dokument heißt, am „Mittwoch nach Sankt Jörgen Tag des Heiligen Ritters und Märtyrers“, also dem 26. April 1452, den Verkauf des Weilers „Üttembrugk“ (Jettenburg wurde bis ins 16. Jahrhundert hinein meist als Jettenbruck bezeichnet, ehe sich der Name Jettenburg durchsetzte) samt aller Rechte und Gefälle, sowie allen Einwohnern, Häusern, Scheunen, Gärten, Äckern, Wiesen, Weiden, Wäldern und Gewässerrechten, die er dort besaß. Gleichzeitig verkaufte er auch die mitten im Ort befindliche Burg mit ihrem Graben und Zwinger an die Brüder Ludwig II. und Eberhard V. von Württemberg, die das Land von ihrem Schloss in Bad Urach aus regierten. Da die beiden Grafen zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig waren, stand ihnen ihr Onkel Graf Ulrich V. von Württemberg-Stuttgart in dieser Angelegenheit zur Seite, weswegen auch er in der Urkunde genannt wird.    

Nachdem die Grafen die Ortsherrschaft übernommen hatten, ordneten sie das Dorf dem Amt Tübingen (Ämter waren die Vorläufer der heutigen Landkreise) zu, wohin die Einwohner und Lehnshofinhaber fortan ihre Abgaben und Steuern liefern mussten. Die Burg gaben sie nur drei Jahre später, nämlich 1455 in die Hände ihres Gefolgsmanns Vergenhans, dem Vater des ersten Rektors der Universität Tübingen und langjährigen Kanzlers Johannes Nauclerus (lat. von Vergenhans).[4] 1460 verkauften sie schließlich die Wehranlage samt Graben und Zwinger an Jörg Vogt von Holzgerlingen, der sie im gleichen Jahr noch an Benz Ziegler von Altingen verkaufte. Nur fünf Jahre später veräußerte dieser die Burg an Hans Voln von Reutlingen, der, wie die drei anderen Vorbesitzer auch – so zeigen es die jeweiligen Urkunden – dem Grafen von Württemberg beim Kauf versichern musste, die Burg jederzeit für ihn zu öffnen. Insgesamt scheint die Burg in Jettenburg über die Jahre hinweg aber stark an Bedeutung verloren zu haben, denn am 6. Dezember 1480 stimmte Graf Eberhard V. dem Verkauf der Burg an den Jettenburger Hans Grauer zu, der darin wohl eine Gaststätte eröffnete.

Für die Folgejahre finden sich im Archiv in Jettenburg keine schriftlichen Quellen mehr zum Zustand und Besitz der Burg, bis zum Heiratsinventar von Sebastian Grauer, der wohl ein Nachfahre des vorhin erwähnten Hans Grauers war. In der Inventur von 1658 heißt es, Sebastian besitze „eine halbe Behausung, die Burg genannt“[5] in der auch er eine Gaststätte betrieb. Sein Bruder Hans Grauer besaß die andere Hälfte des Gebäudes und einen direkt an die Gebäude der Burg angrenzenden Lehenshof, den er von der Herrschaft Württemberg erhalten hatte.[6] Als Hans Grauer 1665 starb, erwarb Sebastian die andere Hälfte der Burg und führte den Besitz wieder zusammen, den die Brüder vermutlich einst je zur Hälfte vom Vater geerbt hatten.[7]

Die Burg war zu diesem Zeitpunkt aber schon längst keine militärisch nutzbare Anlage mehr. Sebastian Grauer war Wirt und führte nebenbei eine große Landwirtschaft unter anderem mit vier Pferden und fünf Kühen. Auch wurde im Gebäude nicht mehr von goldenen Löffeln gespeist, wenngleich Sebastian Grauer mit vier Löffeln aus Silber ein wenig des alten ortsherrschaftlichen Glanzes auf seinem Tisch erhalten hatte.[8] Insgesamt handelte es sich bei der Burg, so wie sie in den Unterlagen im Ortsarchiv beschrieben wird, um ein zweistöckiges Gebäude, das in jedem Stock über eine große Stube, eine Kammer und eine kleinere Kammer verfügte. Zudem hatte die Burg einen Keller im Untergeschoss und eine Werkstatt, deren Lage innerhalb des Gebäudes nicht mehr nachvollzogen werden kann – wahrscheinlich war sie aber auch Teil des Erdgeschosses oder seitlich an dieses angebaut. Scheune und Stallungen waren in naheliegenden Gebäuden untergebracht, die ganz oder zum Teil zum Lehnsgut der Herrschaft Württemberg gehörten, welches ebenfalls von der Familie Grauer bewirtschaftet wurde.[9] Vom Graben berichten die Quellen des 17. Jahrhunderts nichts mehr, wahrscheinlich war er ganz oder teilweise aufgefüllt worden.  

Vertrag der Brüder Martin, Sebastian und Nicolaus Grauer über die Aufteilung des Lehnsgutes und der Burg zu Jettenburg vom 23.04.1680. Quelle: GemA Kust. OA Jett. B 156, eingebundene Beilage.

Als Sebastian Grauer 1673 verstarb, vermachte er „eine Behausung oben im Dorf, die Burg genannt“ im Wert von 150 Gulden zu gleichen Teilen an seine Söhne Hans, Sebastian und Nicolaus.[10]  Das Lehnsgut aber erhielt zum größten Teil sein ältester Sohn Martin, die anderen Brüder nur kleinere Teile davon. Da diese Erbaufteilung wohl zu Streitigkeiten unter den Brüdern führte – Martin soll 1679 eine Scheune abgerissen haben, die eigentlich zur Burg gehörte – legten die Geschwister in einem 1680 geschlossenen Vertrag fest, dass Martin das ganze Hofgut erhalten sollte, während die Brüder Sebastian und Nikolaus jeweils die halbe Burg erhielten.[11] Hierzu gab Martin auch seinen Teil der Burg ab, den er durch Kauf des Anteils von seinem Bruder Hans ursprünglich noch vergrößert hatte. Als Nikolaus 1693 kinderlos verstarb fiel sein Anteil der Burg wieder an Sebastian, der sie nach seinem Tod 1702 zur Hälfte an seine zweite Ehefrau Eva und zur anderen Hälfte an seine drei Kinder erster Ehe vermachte.[12] Da das Lehnsgut bereits 1680 von der Burg getrennt war, sank auch der materielle Wohlstand der Burgbewohner, sodass Hans Grauer – ein Sohn von Sebastian – als er 1734 starb, nur noch wenige landwirtschaftliche Güter besaß und seinen Lebensunterhalt als Weber verdienen musste.[13] Er schaffte es zwar noch, von seinen zwei leiblichen Geschwistern deren jeweilige Anteile der Burg aufzukaufen, seine fünf Kinder hingegen erbten jedoch nur noch jeweils 1/5 der halben Burg.

Auf dem Ausschnitt der Flurkarte von 1820 zeichnet sich der Bereich der früheren Burg ab.

In den Inventuren der Folgezeit ist die Burg dann nicht mehr als solche benannt. Ihre Spur verliert sich in den Quellen. Doch ist bis heute in Jettenburg bekannt, wo die Burg lag. Ein Straßenname „Auf der Burg“ erinnert noch daran. 1827, so sagt es die Oberamtsbeschreibung, seien noch Teile der Umfassungsmauer gestanden, an die kleine Häuser angebaut wurden.[14] Im Gemeindearchiv hat sich indes nur ein Bild erhalten, dass die Burg Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen soll. Als vor 570 Jahren Jettenburg Teil der Grafschaft Württemberg wurde, war sie jedoch noch gut zu sehen und wichtiges Symbol der Ortsherrschaft. 


[1] Dieser Text wurde am 29.04.2022 im Gemeindeboten Kusterdingen, 80. Jahrgang, Nr. 17, S. 11-12 unter dem Titel „Blick in die Geschichte“ von Manuel Mozer erstveröffentlicht.

[2] Vgl. HStA St. A 602 Nr. 13192=WR13192.

[3] Amtliche Kreisbeschreibung: Die Härten. Vorabdruck. 1963.

[4] Vgl. hierzu und im Folgenden: Amtliche Kreisbeschreibung: Die Härten. Vorabdruck. 1963. S. 28-29.

[5] OA Jettenburg B 155 Bl. 219v.

[6] OA Jettenburg B 155 Bl. 234v.

[7] OA Jettenburg B 155 Bl. 310v.

[8] OA Jettenburg B 155 Bl. 448v.

[9] OA Jettenburg B 156 Bl. 205r und 207v.

[10] OA Jettenburg B 155 Bl. 462v, 466v und 470r.

[11] OA Jettenburg B 156, eingebundene Beilage.

[12] OA Jettenburg Bl. 195r-207v.

[13] OA Jettenburg Bl. 53r.

[14] Beschreibung des Oberamts Tübingen. Stuttgart 1867. S. 392.