5. Dezember 2025

Die Kunst der letzten Glasbläser Afghanistans

In einer schmalen Gasse in der Altstadt von Herat arbeiten die letzten Glasbläser Afghanistans. Dass man ihre Gläser, Vasen, Karaffen und Schalen in schillernden Blau- und Grüntönen jetzt auch in Reutlingen und auf deutschen Internetseiten kaufen kann, ist ein kleines Wunder. Möglich gemacht hat es Wolfgang Bauer. Der „Zeit“-Reporter mit Reutlinger Wohnsitz sorgte dafür, dass die Öfen auch nach dem neuerlichen Sieg der Taliban nicht ausgingen.
Wolfgang Bauer und das Glas fanden sich in der Chicken Street in Kabul. 2002 war das, der deutsche Reporter war zum ersten Mal in der afghanischen Hauptstadt und lief natürlich auch durch die legendäre Straße, in der schon die Hippies aus dem Westen ihre Halsketten und Teppiche gekauft hatten. „Da habe ich dann zum ersten Mal das Glas gesehen. Teegläser, Karaffen, kleine Glasgefäße. Sie wirkten diamantengleich in dieser Stadt aus Staub. Es war ein Ruhepol fürs Auge“, erzählt Bauer. Der Reporter hat sich in die Glaskunst verliebt.

Mit der Glaspfeife wird die glühende Glasmasse zu Schalen, Vasen oder Gläsern zu geformt. Foto: Emile Alain Ducke.

Glitzernde Lufteinschlüsse

Bauer erinnert sich noch gut an seinen ersten Besuch bei der Glasbläserfamilie in der verwinkelten Altstadt von Herat. Dort schüren sie das Feuer mit Holz wie die Generationen vor ihnen. In ihrer dunklen Werkstatt erhitzen Nasrullah Faizi und sein Cousin Ghulam Sakhi in den Lehmöfen einen speziellen Sand so lange, bis er flüssig wird. Mit einem metallenen Rohr, der Glaspfeife, nehmen sie die Masse auf und drehen sie bis eine Kugel entsteht. Dann blasen Nasrullah oder Ghulam Luft durch das Rohr, um Schalen, Vasen oder Gläser zu formen. Weil die Temperaturen niedriger sind als bei der industriellen Glasherstellung, bleiben Lufteinschlüsse erhalten. Sie vor allem machen den Zauber ihrer Kunstwerke aus. Sie sind die einzigen im ganzen Land, die noch immer an den jahrhundertealten Methoden festhalten.

Der „Zeit“-Reporter Wolfgang Bauer hat die Glas-Connection möglich gemacht. Foto: Andy Spyra.

Der Journalist hat die Glasbläserfamilie immer wieder besucht. Auch als deren Existenz nach der Rückkehr der Taliban 2021 auf der Kippe stand. Bauer war sich sicher: „In Deutschland gibt es Menschen, die das Glas mögen.“ 2023 gelangte die erste Lieferung nach Deutschland. Bis heute werden die Preziosen teils online verkauft, teils über die Reutlinger Schulz Teppich Etage, deren Seniorchef selbst eine enge Beziehung zu dem Land am Hindukusch hat. Auch Händler in Köln und Berlin haben die Ware im Angebot. Die jüngste Lieferung – das Ergebnis von fünf Monaten Arbeit – kam im November: 40 Metallkisten, jeweils 80 mal 160 Zentimeter groß und in Herat extra für den Transport hergestellt. Eingewickelt in Blisterfolie und Papier hat der allergrößte Teil der kostbaren Ware den Transport überlebt.

Chinesische Zeitungen

Seine ersten eigenen Vasen und Gläser hatte Bauer noch in Stroh verpackt, im Flugzeug nach Deutschland gebracht. Im Gepäck hatte er da auch noch eine Erinnerung anderer Art: „Da habe ich mal kurz Flöhe bekommen“, sagt Bauer. Heute läuft das alles professioneller. „Sie benutzen chinesische Zeitungen, die sie auf dem Altpapiermarkt einkaufen“, sagt Bauer. Denn das Afghanistan unter den Taliban ist quasi frei von Papier. In den Kisten wird die Ware auf den langen Weg nach Deutschland gebracht: mit Rikschas aus der Altstadt von Herat zu einem alten deutschen Reisebus, der als Lkw dient. Der ist zwei Tage nach Kandahar unterwegs, dann kommt die Ware zu einer Cargofirma bevor sie ins Flugzeug verladen und nach Dubai gebracht wird. Von dort geht es weiter nach Frankfurt. Cargo City Süd ist die Endstation, bevor die Verteilung beginnt. Den Papierkrieg hat Bauer an die Importeure delegiert.

Die ersten Lehrlinge

Was als kleines privates Projekt begann, hat inzwischen für die Glasbläserfamilie existenzielle Bedeutung. „Wir sind für sie die größten Kunden“, sagt Wolfgang Bauer, der klar macht, dass er an dem Glasimport keinen Cent verdient. Mit dem Erlös aus der dritten Lieferung kann die Familie erstmals Lehrlinge ausbilden. Nasrullah Faizi und Ghulam Sakhi haben ihrem Förderer erzählt, dass ihr Glas früher so etwas wie das Sonntagsgeschirr der aghanischen Oberschicht war. Doch das ist lange vorbei. Vor den Taliban kamen Hippies, dann andere Reisende, später NGOs und Soldaten, die sich in Kabul mit den glitzernden Mitbringseln eindeckten. Als dann wieder die Taliban 2021 erneut an die Macht kamen, kam niemand mehr. Der Glasbläserfamilie drohte das Aus.

Die Glasbläser sind an ihre Öfen zurückgekehrt. Foto: Emile Alain Ducke.

Glasbläser als Friseure

Bauer hat auch die dunkelste Zeit der Glasbläserfamiie miterlebt. Als er 2021 für sein Buch über die „Ring Road“ zurück nach Afghanistan kommt, scheint für die Glasbläserfamilie alles verloren. „Ihre Öfen sind zum ersten Mal kalt gefallen“, erzählt Bauer. Die Händler nehmen ihnen keine neuen Waren mehr ab. Und da sich die Händler gegenüber ihren Kunden immer selbst als Glasbläser ausgegeben hatten, um ihre Bezugsquelle zu verschleiern, wusste niemand, wo die eigentlichen Glaskünstler sitzen. Die denken in ihrer Verzweiflung schon darüber nach auszuwandern und haben schon Kontakte bis nach Krakau geknüpft. Bis dahin versuchen sie, sich mit einem Friseursalon über Wasser zu halten. Nicht nur die neuen Herrscher machen den Glasbläsern das Leben schwer, auch Industrieglas aus China und dem Iran zerstörten ihre Märkte. Hinzu kam das schwere Erdbeben, das 2023 auch ihre Werkstatt in Mitleidenschaft zog.
Dann kehrte erst die Hoffnung zurück und dann die Glasbläser zu ihren Öfen. Bei seinem jüngsten Besuch in Afghanistan hat Wolfgang Bauer Produzenten und Händler in Deutschland zumindest virtuell zusammengebracht. Videos, die er in der Glasbläserwerkstatt aufnahm, fanden per Messengerdienst ihren Weg zu den Händlern in Deutschland. Dank Bauers Übersetzer konnten sie auch miteinander reden. Und auf Facebook zeigt Wolfgang Bauer ein Video, wie er sich selbst als Glasbläser versucht.

Teegläser, Karaffen, kleine Glasgefäße … ein Ruhepol fürs Auge. Foto: Emile Alain Ducke.

Infos und Geschichten

Die Erfindung der Glasbläserei wird den Phöniziern zugeschrieben, die die Technik im ersten Jahrhundert vor Christus entwickelten. Aber schon die Mesopotamier sollen im dritten Jahrtausend vor Christus Glasperlen hergestellt haben.
Youssef Kanjou und Abdul Baset Kannawi haben dazu auf tuenews einen Beitrag geschrieben (tun25072906).
Über das Leben der Glasbläserfamilie hat Wolfgang Bauer 2023 eine berührende Reportage für das Zeit-Magazin veröffentlicht:
ZEIT – Explosionen im Glas
Hier wird das aghanische Glas verkauft:
https://www.schulz-teppich-etage.de
https://ok-international.com

Von Brigitte Gisel

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