Die Neandertaler bilden die Menschenart, die unserer Art, Homo sapiens, dem „modernen Menschen“, wie die Anthropologen sagen, am nächsten steht. Sie lebten lange Zeit an denselben Orten und zur selben Zeit wie wir. Funde ihrer Schädel und Knochen gab es sowohl im heutigen Deutschland wie auch im heutigen Syrien. Die Beziehung zwischen ihnen und dem modernen Menschen ist äußerst komplex, und unser Verständnis davon hat sich mit dem Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung immer weiterentwickelt: Das gilt besonders für die genetischen Untersuchungen an alten Knochen und die steigende Zahl von Neandertaler-Grabfunden auf der ganzen Welt, vor allem im Nahen Osten und in Europa.
Erste Funde und Namensgebung
Der erste Neandertaler wurde 1856 in der kleinen Feldhofergrotte im Neandertal in der Nähe der Stadt Düsseldorf in Deutschland entdeckt. Nach diesem Tal, in dem die ersten bekannten Überreste dieser Menschenart gefunden wurden, wurde auch die neue Menschenart offiziell benannt: Homo neandertalensis. Das bedeutet wörtlich „Neandertal-Mensch”.
Damals wurden ein Schädel und Knochen gefunden, die Merkmale aufwiesen, die sich von denen moderner Menschen unterschieden, wie eine niedrige Stirn, markante Augenbrauenwülste und ein kräftiger Kiefer. Zunächst ging man davon aus, dass es sich um moderne Menschen handelte, die an Krankheiten litten, die diese seltsamen Merkmale verursacht hätten. Spätere archäologische und anthropologische Forschungen ergaben jedoch, dass sie eine eigene Art ausgestorbener Urmenschen darstellten. Heute gibt es in der Nähe des Fundorts ein einzigartiges Museum, das „Neanderthal Museum“ (das ist die Schreibung des 19. Jahrhunderts), das sich der Erforschung dieser menschlichen Spezies und ihrer Geschichte widmet.

Die Neandertaler waren auf zwei Kontinenten unterwegs
Neandertaler hatten kräftige Körper und ausgeprägte Muskeln, breite Schädel und kräftige Kiefer sowie etwas größere Gehirne als moderne Menschen. Dies half ihnen bei der Jagd und beim Überleben unter rauen Umweltbedingungen, insbesondere in kalten und gemäßigten Regionen. Die Ausgrabungen wurden hauptsächlich in den Höhlen durchgeführt.
Neandertaler bevölkerten vor allem Europa und den Nahen Osten, ihre Überreste wurden in Deutschland, Frankreich, Spanien, Belgien, Italien, der Ukraine, Russland, Syrien, dem Libanon, Israel und dem Irak gefunden. Allein in Deutschland wurden mehr als dreißig Fundstätten entdeckt, die mit Neandertalern in Verbindung stehen, die meisten davon in den Kalksteinhöhlen im Süden des Landes und im Rheintal.
In Syrien wurden ihre Steinwerkzeuge in den meisten Regionen gefunden, wobei die wichtigsten Funde in der Dederiyeh-Höhle bei Aleppo gemacht wurden, wo auch die Überreste von drei Neandertaler-Kindern gefunden wurden.
Die Neandertaler verbreiteten sich von Westeuropa bis in den Nahen Osten, sie sind daher ein bemerkenswertes Beispiel für die Fähigkeit der frühen Menschen, sich an unterschiedliche Umgebungen anzupassen. Bis heute wurden jedoch keine Hinweise auf ihre Anwesenheit in Afrika gefunden.
Neandertaler und moderne Menschen: Konkurrenz und Vermischung
Die Beziehung zwischen modernen Menschen und Neandertalern war in der Vergangenheit unklar, aber Fortschritte in der archäologischen Forschung, insbesondere in der Genforschung, haben dazu beigetragen, diese Beziehung weiter zu klären.
Früher glaubte man, dass Neandertaler nicht mit modernen Menschen verwandt seien und dass sich beide parallel und getrennt von einem gemeinsamen Vorfahren mit unterschiedlichen Lebensräumen entwickelt hätten. Jüngste Forschungen haben jedoch ein komplexeres und facettenreicheres Bild ergeben. Neandertaler lebten vor etwa 400.000 bis 35.000 Jahren in Europa und Westasien, während der Homo sapiens vor etwa 70.000 Jahren aus Afrika kam und sich zunächst in Asien und dann in Europa ausbreitete.
Als der Homo sapiens auf den europäischen Kontinent kam, lebten die Neandertaler dort bereits seit Zehntausenden von Jahren und hatten sich an die raue Kälte angepasst. Es ist wahrscheinlich, dass sich die beiden Arten im Nahen Osten und in Europa begegneten, wo sie zeitweise in unmittelbarer Nähe nebeneinander lebten. Diese geografische Nähe ermöglichte eine Kreuzung zwischen den beiden Gruppen, wie genetische Studien belegen. Im Jahr 2010 zeigte eine DNA-Analyse von Neandertaler-Knochen, dass jeder nicht-afrikanische Mensch zwischen 1 und 3 % Neandertaler-Gene in sich trägt. Das bedeutet, dass die Beziehung zwischen den beiden Arten nicht auf Konkurrenz oder Konflikt beschränkt war, sondern auch direkte sexuelle Kontakte beinhaltete, die bis heute Spuren in unseren Genen hinterlassen haben.
Daher gelten Neandertaler nicht als direkte Vorfahren des modernen Menschen, sondern eher als unsere nächsten ausgestorbenen Verwandten. Man kann sagen, dass wir und die Neandertaler Cousins im Stammbaum der menschlichen Evolution sind; wir trennten uns vor etwa 500.000 Jahren und trafen uns wieder, nachdem wir uns jeder auf seine Weise verändert hatten.
Obwohl die Neandertaler stark und gut an ihre Umgebung angepasst waren, scheinen ihnen die kulturellen und kognitiven Fähigkeiten gefehlt zu haben, die es den modernen Menschen ermöglichten, durch Anpassung an Klimaveränderungen zu überleben und sich weiter zu entwickeln.

Warum sind die Neandertaler ausgestorben?
Archäologische Funde deuten darauf hin, dass die Neandertaler vor etwa 35.000 Jahren verschwunden sind. Der Grund für ihr Aussterben ist in der Wissenschaft nach wie vor umstritten, da es keine eindeutige Antwort gibt, sondern nur eine Reihe sich überschneidender Hypothesen.
Eine der bekanntesten Theorien besagt, dass die Neandertaler nicht in der Lage waren, sich an die plötzlichen Klimaveränderungen am Ende der Eiszeit anzupassen, als die Umwelt unbeständiger und schwieriger wurde.
Es ist auch möglich, dass ihre im Vergleich zu modernen Menschen geringe Anzahl sie anfälliger für das Aussterben machte, insbesondere durch die allmähliche Vermischung, die zu ihrer genetischen Assimilation an die moderne Menschengattung führte.
Andere Theorien gehen davon aus, dass die Konkurrenz durch den Homo sapiens – zahlreicher, innovativer und besser organisiert – eine entscheidende Rolle bei ihrem Verschwinden aus den archäologischen Funden gespielt hat.
Ähnlichkeiten und kulturelle Unterschiede
Neandertaler waren jedenfalls auf ihre Weise auch intelligente Wesen. Sie nutzten Feuer, stellten ausgeklügelte Steinwerkzeuge her und verfügten möglicherweise über eine einfache Sprache und symbolisches oder religiöses Empfinden. Einige ihrer Gräber enthielten Blumen oder Werkzeuge, die mit den Toten begraben wurden, was auf primitive Rituale oder Glaubensvorstellungen hindeutet.
Die modernen Menschen (Homo sapiens) zeichneten sich jedoch durch eine größere Vorstellungskraft, Symbolik und langfristige Planungsfähigkeit aus. Sie waren in der Lage, Höhlenwände zu bemalen, effektivere Jagdwerkzeuge herzustellen und in einer komplexeren Sprache zu kommunizieren. Diese Fähigkeiten verschafften ihnen einen bedeutenden kulturellen und kognitiven Vorteil, der es ihnen ermöglichte, über Generationen hinweg fortzubestehen und ihre Kultur weiterzuentwickeln, während die Kultur der Neandertaler lokal und begrenzt blieb und von der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und Rohstoffen für die Werkzeugherstellung abhängig war.

Die Höhlen auf der Schwäbischen Alb und das Verständnis der Menschenarten
Die Universität Tübingen in Deutschland ist eines der weltweit führenden Zentren für die Erforschung der Neandertaler und frühen Menschen. Durch ihre Feld- und Laborforschung sowohl in Syrien als auch in den Höhlen der Schwäbischen Alb in Süddeutschland hat sie eine Schlüsselrolle bei der Entdeckung und Erforschung des Lebens der Neandertaler in Europa gespielt.
Forscher der Universität haben Fossilien und Werkzeuge früher Menschen aus mehreren berühmten deutschen Fundstätten wie Hohlenstein-Stadel, Vogelherd und Hohle Fels untersucht. Diese Höhlen befinden sich in der Schwäbischen Alb nicht weit entfernt von Tübingen und gehören aufgrund ihrer großen Bedeutung für die Erforschung der Ursprünge des modernen Menschen und der symbolischen Kunst zum UNESCO-Weltkulturerbe.
In den Höhlen der Schwäbischen Alb wurden Überreste sowohl von Neandertalern als auch von Homo sapiens gefunden, diese befanden sich aber nie in der gleichen Schicht. Man muss daher davon ausgehen, dass in dieser Region schon keine Neandertaler mehr waren, als die modernen Menschen ankamen. Die Funde ermöglichen aber einen klaren Vergleich zwischen ihren Kulturen. Die Werkzeuge der Neandertaler beschränkten sich auf Steinwerkzeuge und die Verwendung von Knochen und Feuer, was auf eine Konzentration auf das Überleben, die Jagd und praktische Bedürfnisse hindeutet.
Der Homo sapiens hingegen verfügte über ausgefeiltere Werkzeuge und drückte sich durch Kunst und Symbole aus. In diesen Höhlen wurden die Statue eines „Löwenmenschen”, eine Frauenfigur sowie zahlreiche naturalistische Tierfiguren – alle geschnitzt aus Mammutelfenbein – gefunden, die die bisher älteste figürliche Kunst der Menschheit darstellen. Hinzu kommen Musikinstrumente wie Flöten aus Vogelknochen oder Mammutelfenbein, die zu den ältesten bekannten Musikinstrumenten der Welt zählen.
Dieser kulturelle und intellektuelle Kontrast zwischen Neandertalern und Homo sapiens ist der Schlüssel zum Verständnis dafür, warum der moderne Mensch überlebte und die Neandertaler ausstarben: Kreativität, Symbolik und Kunst waren ebenso Werkzeuge zum Überleben wie Ausdruck von Bewusstsein und Vorstellungskraft.
Weitere Informationen finden sich in dem Dokumentarfilm über die Beziehung zwischen Neandertalern und uns:
https://www.youtube.com/watch?v=gf1gR6UH72Y (Deutsch)
https://www.youtube.com/watch?v=HXwcav_2RpM (English)
https://www.youtube.com/watch?v=Z0ACD6pQ_mY (Arabisch)
Von Youssef Kanjou
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