Das Institut für Kriminologie der Universität Tübingen und das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. haben erstmals eine umfassende Studie zu Tötungsdelikten an Frauen in Deutschland („Femizide in Deutschland“) durchgeführt und die Ergebnisse vor Kurzem vorgestellt. Demnach ist die Tötung von Partnerinnen im Zusammenhang mit Trennung oder Eifersucht die mit Abstand häufigste Form von Femiziden in Deutschland. Sexismus, die strukturelle Benachteiligung von Frauen, psychische Erkrankungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie eine angespannte sozioökonomische Lage sind vielfach Begleitumstände für die Tötung von Frauen und Mädchen.
An der Studie waren Fachleute aus Kriminologie, Rechtswissenschaft, Soziologie und Psychologie beteiligt. Sie wollten durch die Untersuchung die Zahl und Art der Femizide, mögliche Defizite bei den polizeilichen Interventionen im Vorfeld der Tötungen sowie bei der Strafverfolgung analysieren. Sie untersuchten sämtliche Akten von 197 Fällen versuchter oder vollendeter Tötungen an Frauen aus dem Jahr 2017 in fünf Bundesländern, darunter Baden-Württemberg, für die die Strafverfahren abgeschlossen waren. Die Zahl der Tötungen an Frauen habe sich in den vergangenen zehn Jahren – entgegen der Aussage in vielen Medien – in Deutschland nicht erhöht, so die Forschenden.
Sehr häufig: Femizide in Paarbeziehungen
Bei 108 Fällen handelte es sich um Tötungsdelikte in heterosexuellen Paarbeziehungen. Anlass für die Tat war in einem Viertel der Fälle eine tatsächliche oder befürchtete Trennung oder Untreue der Frau. „Es ging daher meist um Besitzdenken oder Eifersucht der Täter“, so die AutorInnen der Studie. Die Taten fanden in allen Gesellschaftsschichten statt, so waren darunter auch ein Unternehmensberater oder ein Erzieher. Bei der Mehrzahl der Paare wurden jedoch ein oder mehrere dieser Faktoren festgestellt: ein geringes Bildungsniveau, eine ökonomisch angespannte Situation, psychische Erkrankungen, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit.
Dominanz und Eifersucht: Systematische Gewalt in Beziehungen
Ganz überwiegend ging dem Tötungsdelikt Gewalt in der Beziehung voraus. Zwei Drittel der Männer übten die Gewalt systematisch aus, um ihre Partnerinnen zu kontrollieren und in ihrer freien Entfaltung einzuschränken. Ebenfalls bei zwei Dritteln fanden sich Hinweise auf eine sexistische Einstellung des Täters, die sich schon vor oder unabhängig von der Tat zeigte, wie zum Beispiel die Überzeugung, Frauen dürften nicht arbeiten, bis hin zur vollständigen sozialen Isolation ihrer Partnerinnen. „Täter und Opfer führten meist eine Beziehung, in der die Männer für sich eine beherrschende oder überlegene Stellung beanspruchten und einforderten, dass sich die Frauen nach ihren Vorstellungen verhielten“, berichtet Sabine Maier, Co-Autorin der Studie. „Viele wollten die Rolle des ´Ernährers´ oder ´Familienoberhauptes´ übernehmen, während sie die Rolle ihrer Partnerinnen eher im häuslichen Bereich verorteten und über deren Aktivitäten bestimmen wollten. In vielen Beziehungen ging diese Rollenverteilung aber bei genauerer Betrachtung nicht auf, beispielweise weil die Männer nicht erwerbstätig waren“, so Maier.
Ausländer und Migrationshintergrund überrepräsentiert
Der Anteil von Tätern und Opfern mit anderer als deutscher Staatsangehörigkeit lag bei etwa einem Drittel. Ausländische Täter waren bei der Tötung von Partnerinnen für fast die Hälfte der Fälle im Zusammenhang mit Trennung oder Eifersucht verantwortlich. 67 Prozent der deutschen Täter hatten einen Migrationshintergrund. Die AutorInnen erklärten dies damit, dass bei Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland die ermittelten Risikofaktoren für Femizide überdurchschnittlich häufig vorkämen.
Medial große Aufmerksamkeit haben Femizide bekommen, die als sogenannte „Ehrenmorde“ bezeichnet wurden. Diese seien tatsächlich selten und nur mit drei Fällen in der Studie vertreten. Sexualmorde machten nur sieben Fälle in der Untersuchung aus.
Empfehlungen für Prävention und Strafrecht
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leiten aus der Studie die Empfehlungen ab, die Zahl der Plätze in Frauenhäusern zu erhöhen, die Versorgung psychisch erkrankter Menschen zu verbessern und die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte für die typische Dynamik geschlechtsbezogener Gewalt zu sensibilisieren. Einen eigenen Straftatbestand „Femizid“ in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, halten sie derzeit nicht für sinnvoll, vielmehr fordern sie eine Gesamtreform der strafrechtlichen Einordnung von Tötungsdelikten. Zudem seien gesamtgesellschaftliche Anstrengungen notwendig, um sexistische Denk- und Verhaltensmuster von Männern abzubauen, die Gewalt begünstigen können, und so eine tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter zu ermöglichen.
Die AutorInnen der Studie untersuchten auch, ob eine bessere Prävention oder Änderungen im Strafrecht die Zahl der Femizide verringern könnten. Eine gezieltere Aufklärung von Polizistinnen und Polizisten über das Eskalationspotenzial gewaltbelasteter Beziehungen könnte präventiv wirken. „Die Strafhöhen, die von den zuständigen Landgerichten verhängt wurden, deuten nach unseren Berechnungen nicht darauf hin, dass die untersuchten Femizide im Rahmen einer Trennung oder im Zusammenhang mit Eifersucht auffällig milde bestraft worden sind“, führt der Kriminologe Florian Rebmann aus. Insofern sei eine Abschreckungswirkung durch Erhöhung von Strafen zweifelhaft.
Aktuelle Opfer-Zahlen für 2024
Einen Tag nach der Vorstellung der Tübinger Studie legten Bundesinnen- und Familienministerium das „Bundeslagebild – Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2024“ des Bundeskriminalamts mit aktuellen Zahlen für 2024 vor. Demnach wurden 308 Frauen und Mädchen 2024 in Deutschland getötet, davon 132 Frauen im Zusammenhang mit Partnerschaftsgewalt. Es wurden polizeilich 187.128 weibliche Opfer von häuslicher Gewalt erfasst, allerdings muss hier von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, da viele Taten aus Angst, Scham oder Abhängigkeit nicht zur Anzeige gebracht werden. Diese Dunkelziffer kann nur geschätzt werden, sie könnte nach verschiedenen Studien bei 80 bis 90 Prozent liegen.
Zur ausführlichen Pressemitteilung über die Studie:
Studie “Femizide in Deutschland” vorgestellt | Universität Tübingen
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