8. Dezember 2025

Gesicht und Geschicht‘ zeigen gegen Antisemitismus

Am 4. November 2025 sprach Dr. Fredy Kahn im Landratsamt Tübingen über die Geschichte seiner Familie, die seit mehr als 330 Jahren in Baisingen im heutigen Landkreis Tübingen ansässig ist und deren Mitglieder sich zum jüdischen Glauben bekannten und bekennen. [ausführlicher Bericht folgt] Sein Vortrag wie die gleichzeitige Hands-In-Ausstellung „Unsichtbar – in der Mitte der Gesellschaft? Gesicht zeigen gegen Antisemitismus!“ reihte sich in Angebote und Veranstaltungen der Aktionswoche gegen Antisemitismus ein, die jährlich in der Woche vor dem 9. November stattfindet. In der „Reichspogromnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 stürmten Anhänger des Hitler-Regimes jüdische Geschäfte, brannten Läden, Häuser und Synagogen nieder, mordeten und brandschatzten.

Die Relevanz der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft

Dr. Hendrik Bednarz, Landrat des Landkreises Tübingen, mahnte zu Beginn des Abends, man müsse „schauen, dass nichts noch weiter verrutscht“. Er bezog sich damit auf eine Zunahme von allen Formen der Diskriminierung: „Insgesamt – und das macht mich und sollte uns alle besorgt machen – nehmen Antisemitismus, Homophobie und Rassismus zu“. Darüber hinaus betonte der Landrat, dass für ein wirkliches Verständnis der Gewalt gegen Juden im NS-Regime auch die emotionale Ebene wichtig sei, nicht nur die sachliche Informationsebene. Zu wissen, wie viele Menschen von wo vertrieben und ermordet wurden sei wichtig, über die Auswirkungen auf das Alltags- und Familienleben sage es allerdings wenig aus. Erst die Geschichten der Menschen und die damit verbundenen Gefühle, Ängste und Sorgen ermöglichten es, das Ausmaß der Verbrechen und seine Bedeutung in Ansätzen zu verstehen. Entsprechend wertvoll sei das, was Fredy Kahn berichtet.

„Unsichtbar – in der Mitte der Gesellschaft? Gesicht zeigen gegen Antisemitismus!“

Die Hands-In-Ausstellung der beiden Künstler Lissi Maier-Rapaport und Peter Krullis zeigt Gesicht(er) von Menschen, die sich gegen Antisemitismus positionieren. Auf etwa A4 großen Drucken sind Namen und Gesichter von Menschen abgebildet, die sich mit einem Zitat gegen Rassismus aussprechen. Zur Einleitung zeigten die Künstler einen Film zum Projekt.

Kreisarchivar Prof. Dr. Wolfgang Sannwald fragte im anschließenden Kunstgespräch die beiden nach ihrer Motivation: Für Peter Krullis begann alles mit einer Frage: „Wie konnten die Menschen sich selbst und gegenseitig so entmenschlichen?“ – Das Wissen darüber, wie es zur Shoah kommen konnte möchte Krulis mit seinem künstlerischem Schaffen weitergeben. Sannwald berichtete vom vorangehenden Abend in Stuttgart, als die Israelitische Religionsgemeinschaft IRGW die israelisch-deutsche Kulturwoch in Stuttgart eröffnet hatte. Dort sei das eine Hauptthema Antisemitismus gewesen, das andere: Bleiben wir hier oder sollen wir wegziehen? Als er Lissi Maier-Rapaport fragte, ob auch ihre Familie an Auswanderung denke, antwortet sie: „Wohin denn?“. Deren Ehemann ist jüdischen Glaubens und sie mache sich Sorgen um ihre Kinder.

„Wir sind eigentlich Eins“

Eine Teilnehmerin des Kunstprojekts rief im Film zu einem verstehenden Miteinander auf. Eine junge Frau mit grünem Kopftuch – auch auf einem der Drucke abgebildet, die sich an jedem Sitzplatz befanden – sagte, sie zeige „bewusst als Muslima Gesicht gegen Antisemitismus“. Sie betonte das reiche „gemeinsame Erbe“ von Islam und Judentum und resümierte: „Wir sind eigentlich Eins. Ich verstehe nicht, wie man sich selbst hassen kann.“

Von David Firschau