2. Oktober 2025

Migration in der Steinzeit

Von Bernhard Kirschner
Vor etwa 7.500 Jahren sind die ersten Bauern aus dem Nahen Osten und Anatolien über Südosteuropa in die Region um Tübingen eingewandert. Dort trafen sie auf Jäger und Sammler der mittleren Steinzeit. Gab es Kontakte und wie liefen die ab? Wie vollzog sich der Übergang von der Mittel- in die Jungsteinzeit? Das versuchen ArchäologInnen der Universität Tübingen und des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg herauszubekommen. In den nächsten drei Jahren werten sie die zahlreichen Siedlungsspuren der zugezogenen Bauern im Ammertal bei Tübingen aus und graben Lagerplätze der einheimischen Jäger und Sammler aus. Dafür haben die Forschenden 750.000 Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommen.

Fundreiches Nebenlager im Schönbuch
Zentimeter für Zentimeter arbeitet sich die junge Archäologin mit einer kleinen Kelle in der wenige Quadratmeter großen und 30 Zentimeter tiefen Grube ins Erdreich. Und prompt hat sie zwei winzige Steinartefakte freigelegt, die mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen sind. Es handelt sich um sogenannte Mikrolithen aus Jurahornstein, die die steinzeitlichen Jäger als Projektile für ihre Pfeile genutzt haben dürften, erklärt Dennis Batz, der die Grabung vor Ort leitet. An drei Stellen mitten im Wald im Schönbuch bei Tübingen gräbt er mit einem kleinen Team nach Spuren der letzten Jäger und Sammler der Steinzeit. Am Ende der neunwöchigen Grabungskampagne konnten mehr als 300 Steinartefakte, vor allem Produktionsabfälle geborgen werden.

Jagd und Werkzeugherstellung
Projektleiter Jörg Bofinger vom Landesamt für Denkmalpflege ist bei einem Besuch mit der Ausbeute sichtlich zufrieden. Es handelt sich vermutlich um ein Nebenlager, das die Jäger Jahrtausende zur Werkzeugherstellung und Jagd genutzt haben dürften. Das halbinselartige Hochplateau eignet sich hervorragend zur Beobachtung der Wildtiere, die in der parkähnlichen Landschaft gelebt haben, ist sich Bofinger sicher. Die hat sich am Ende der Eiszeit in Mitteleuropa vor etwa 11.700 Jahren grundlegend geändert – von einer Steppe hin zu Wald. Statt Rentierherden gab es nun Auerochsen, Hirsche und Wildschweine. Und jede Menge Haselnusssträucher auf dem fruchtbaren Boden, von denen die Menschen damals lebten. Leider sind keine Haselnussschalen erhalten, Knochen und Kohle von Feuerstellen ebenso wenig, bedauert Bofinger.: „Uns fehlt ein Meter Boden. Den hat die Erosion abgetragen“.
Also bleiben die Werkzeuge aus Stein. Die Kratzer, Schaber und Projektile stammen aus der frühen Mittelsteinzeit, wie ihre dreieckige Form verrät. Bofinger hatte auf Funde aus der späten Phase gehofft, also aus der Zeit um 7.000 bis 5.500 vor Christus. Danach verlieren sich die Spuren der Jäger- und Sammler-Gesellschaften, genau zu der Zeit, als die ersten Bauern im Südwesten Deutschlands auftauchen und sich die Lebensweise der Menschen grundlegend ändert: sie werden sesshaft, halten Nutztiere und pflanzen Getreide an.

Ausgewandert oder integriert?
Aber wohin sind die Jäger und Sammler gegangen? Yvonne Tafelmaier vom Landesamt für Denkmalpflege kann nicht ausschließen, dass manche verdrängt worden sind. Aber sie geht nicht davon aus, dass die ersten Bauern in ein leeres Gebiet vorgestoßen sind. Die Projektleiterin ist Spezialistin für Jäger- und Sammlergesellschaften der Steinzeit und wertet die Funde aus dem Schönbuch in Tübingen aus. Die Archäologen stellen im 7. Jahrtausend vor Christus eine veränderte Technologie bei der Herstellung der Steinwerkzeuge fest. Die Formen sind nicht mehr dreieckig, sondern viereckig, sehen aus wie ein Trapez, sind feiner in der Verarbeitung. Offenbar ist ein Wandel im Gange, lange bevor die Menschen sesshaft werden, vermutet Tafelmaier. Die Menschen werden offener für Innovationen. Es sei denkbar, dass es Kontakte zu „fortschrittlicheren“ Gruppen gab, bevor die ersten Bauern zugewandert sind. Woher die Impulse kamen, ist bisher nicht geklärt.

Jurahornstein von der Schwäbischen Alb
Der Nachweis für einen Austausch bleibt also schwierig. Die Werkzeugformen der beiden Bevölkerungsgruppen ähneln sich. Auch das Material ist gleich. Es handelt sich um Jurahornstein von der Schwäbischen Alb, der sehr hart ist und sich gut bearbeiten lässt. Doch woher sollten die zugezogenen Bauern wissen, wo er zu finden ist. Die einheimischen Jäger und Sammler kennen die besten Abbauplätze. Einen Kontakt hält Tafelmaier deshalb für plausibel.
Helfen könnten auch DNA-Analysen der Skelette aus den Gräbern der jungsteinzeitlichen Siedlungen im Ammertal bei Tübingen. Möglicherweise finden sich Spuren von Jäger- und Sammler-DNA. Aber leider gibt es kaum Knochen von den umherziehenden Nomaden. Bisher haben die Archäologen nur sehr wenige Bestattungsplätze gefunden.

Suche im Schönbuch geht weiter
Möglicherweise kommt doch noch ein entscheidender Hinweis durch die Auswertung der zahlreichen Funde in den bäuerlichen Siedlungen. Die intensiven Grabungen im Ammertal laufen seit 2017 und sollen nun noch genauer unter die Lupe genommen werden. Oder vielleicht gelingt im nächsten Jahr ein Glückstreffer, wenn ein weiterer Fundplatz im Schönbuch ausgegraben wird, ein paar Kilometer von der diesjährigen Grabungsstelle entfernt. Es bleibt also spannend, wie die eingewanderten Bauern und einheimischen Jäger zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb vor 7.500 Jahren miteinander ausgekommen sind.

Weitere Informationen finden sich unter:
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Regierungspräsidium BaWü | Presseartikel Jungsteinzeit
SWR | Warum die Menschheit sesshaft wurde

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