11. Dezember 2024

Mostafa Elyasian: Bilder vom Hiesigwerden

Von Brigitte Gisel
Sein Lieblingsbild ist aus der Hauptstadt. Es zeigt Reste der Berliner Mauer, aufgenommen 2019, als er mit seiner Frau die Stadt besuchte, die ihn seit Langem faszinierte, die damals aber noch nicht seine Hauptstadt war. Mostafa Elyasian war zu der Zeit Asylbewerber aus dem Iran. Heute ist der studierte Fotograf Deutscher. In der Glashalle des Tübinger Landratsamts zeigt er noch bis zum 4. Oktober Motive vom „Hiesigwerden“. Die Ausstellung kann während der Öffnungszeiten des Landratsamtes besucht werden.

24 Bilder in der Glashalle lassen erkennen, was es braucht, um vom Fremden zum Ein-Heimischen zu werden. Die Bilder zeigen Porträts von Geflüchteten aus anderen Ländern, Bilder von Redaktionssitzungen bei tuenews INTERNATIONAL, den Auftritt einer Musikgruppe. Es sind dokumentarische Aufnahmen, die einen Augenblick festhalten, aber auch komponierte Bilder wie die stillen Porträts anderer Geflüchteter, die Geschichten erzählen. Die Aufnahmen zeigen, was das Ankommen in der neuen Heimat ausmacht: Elyasian hat Bilder gemacht, wie der frühere Geschäftsbereichsleiter Werner Walz und Personalchefin Renate Fischer auf historischen Traktoren in den Ruhestand geleitet wurden und auch festgehalten, wie während Corona das Impfzentrum aufgebaut wurde. Es waren bereits Arbeitsaufträge. Seit gut einem Jahr hat Elyasian einen deutschen Pass. Beim Jahresempfang des Landratsamts im September wurde er stellvertretend für alle Neu-Deutschen gefeiert. Es hat ihn sehr berührt.

Die Überbleibsel der Berliner Mauer zu sehen, war ihm ein Herzensanliegen. „1989 habe ich in Teheran die Bilder vom Fall der Mauer gesehen“, erinnert er sich. Und obwohl er als 10-Jähriger die Dimensionen noch gar nicht überblickte, war ihm klar, dass da etwas ganz Großes passierte. Als er dann 2017 auf der Flucht aus dem Iran in Deutschland angekommen war, wollte er unbedingt in die Stadt fahren, deren Bewohner die Mauer zum Einsturz brachten. Der große Einsatz für die Freiheit hat den Geflüchteten beeindruckt. Dass er und seine Frau ihr Land verlassen hatten, hatte „persönliche Gründe“, wie Elyasian sagt. Aus Rücksicht auf Familienmitglieder, die in Teheran geblieben sind, möchte er sie nicht weiter ausführen. Die Gründe waren jedenfalls so schwerwiegend, dass er und seine Frau 2020 in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt wurden.

Blick in die Fotoausstellung im Tübinger Landratsamt mit Werken von Mostafa Elyasian. Foto: tuenews INTERNATIONAL / Martin Klaus.

Schnell Arbeit gesucht
Schon vorher hat er einen harten Schnitt gemacht. „An meinem ersten Tag in Deutschland habe ich gedacht, mit dem Iran bin ich fertig“, sagt der 45-Jährige. „Und ich hatte das Gefühl, Deutschland ist meine neue Heimat.“ Er hat alles getan, um hier Fuß zu fassen. „Ich bin ein gesunder Mann, ich will nicht vom Jobcenter Hilfe bekommen müssen“, erzählt Elyasian. Er lernt schnell deutsch und sucht Arbeit. Der Fotograf, der auch eine Lehre als Goldschmied absolviert und als Juwelier gearbeitet hatte, hätte hier gerne als Edelsteinfasser gearbeitet, doch es gibt keine Jobs. Auch sein Fotografiestudium hilft ihm zunächst nicht weiter. Doch bei tuenews INTERNATIONAL, wo er erst ehrenamtlich, dann als Bundesfreiwilliger und schließlich als Minijobber arbeitet, ist sein Wissen gefragt. Er fotografiert und übersetzt Artikel aus dem Deutschen ins Persische. Außerdem arbeitet er bei einem Paketdienstleister. Sein Deutsch ist inzwischen ausgezeichnet. „tuenews war ein wahres Wunder in meinem Leben“, sagt er. „Durch die Arbeit dort habe ich die deutsche Kultur und Sprache viel schneller kennengelernt und mich in die Gesellschaft integriert.“
Ein Prozess, der andauert. „Für mich ist der deutsche Pass nicht das Ende des Weges“, sagte er beim Jahresempfang im Landratsamt. Es sei ein großer Schritt im Leben und der Beginn eines neuen Weges. Bis es so weit war, war es oft anstrengend. Die Einbürgerung war ein langer, teils mühsamer Prozess. „Wir hatten alle unsere Dokumente dabei, von der Geburts- bis zur Heiratsurkunde“, erinnert er sich. Sie haben sie in Deutschland übersetzen und beglaubigen lassen. Doch die iranische Heiratsurkunde fand im Tübinger Bürgeramt zunächst keine Gnade. Elyasian wurde an die deutsche Botschaft in Teheran verwiesen, um die Urkunden legalisieren zu lassen. Doch die Botschaft verwies ihn auf eine iranische Stelle – zu der er nach Teheran hätte reisen müssen. Was als Asylberechtigter in Deutschland nicht möglich war. Letztlich fand sich doch noch eine bürokratieverträgliche Lösung.

Gedanken zur Heimat
Dass er jetzt Deutscher ist, macht ihn stolz. „Es zeigt mir, dass mein Weg nicht falsch war und ich es gut gemacht habe.“ Elyasian hat viel über Heimat nachgedacht, über die alte und über die neue. „Es war, als wären wir wiedergeboren worden“, hat er dazu aufgeschrieben. „Wir hatten die Chance, das Leben von Neuem zu beginnen.“

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