28. September 2025

Museumseingang Aleppo: Zeuge alter Kulturen und moderner Zerstörung

Von Youssef Kanjou

Eines der bedeutendsten architektonischen und kulturellen Denkmäler der antiken syrischen Zivilisation ist der Eingang zum Nationalmuseum in Aleppo. Dieser Eingang mit seinem majestätischen Design und den großen Statuen erfüllt nicht nur eine architektonische Funktion, sondern ist auch ein symbolisches Tor zu einer Geschichte, die reich an Zivilisationen und künstlerischer und religiöser Kreativität ist. Es handelt sich dabei um eine Nachbildung der Fassade des Königspalastes des aramäischen Fürsten Kabara in Tel Halaf aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. Sein Mittelteil besteht aus drei großen Statuen: Es sind drei Göttinnen dargestellt. Die in der Mitte steht für das Wetter und die Stürme (Hadad oder Teshub), links ist die Göttin Ishtar, die Göttin der Liebe, und rechts ihr Sohn Sharm. Der Eingang ist 8 m hoch und 14 m breit. Die Hauptaufgabe der Göttinnen bestand darin, den Ort, insbesondere Tempel und Paläste, vor dem Eindringen böser Geister zu schützen. Sie stehen auf drei Tierstatuen: Ein Löwe auf jeder Seite und ein Stier in der Mitte. Diese Säulen sind von oben, rechts und links von einer Mauer umgeben. Den Seitenteil schmückten eine Sphinx, ein Löwe und eine Reihe weiterer Statuen. An diesem Ort wurden etwa 178 Statuen entdeckt, die den unteren Teil der Außenmauer des Palastes auf beiden Seiten schmückten

Die Vorgeschichte des Museumstores von Aleppo
Wie dieses Tor und seine Statuen vor das Museum von Aleppo gekommen sind, ist eine lange und interessante Geschichte mit archäologischen und zugleich politischen Aspekten, die auch Deutschland betreffen.
Der im Nordosten Syriens in der Nähe der Stadt Ras al-Ayn in der Provinz Hasaka gelegene Siedlungshügel Tell Halaf gilt als eine der wichtigsten archäologischen Stätten in der syrischen Dschazira-Region. Die älteste Besiedelung stammt bereits aus dem sechsten Jahrtausend v. Chr., in der eine der frühesten Arten antiker Keramik hergestellt wurde, die man heute als Halaf-Keramik bezeichnet. Die Stadt Jozana, die Hauptstadt des aramäischen Königreichs Beit Bahyani, wurde an dieser Stelle im 10. Jahrhundert v. Chr. gegründet.

Der deutsche Ausgräber Max von Oppenheim
Durch die Entdeckungen des deutschen Archäologen und Diplomaten Max von Oppenheim (1860-1946) wurde diese archäologische Stätte bekannt. Im Jahr 1899, als die Region noch zum Osmanischen Reich gehörte, reiste Oppenheim als Vertreter der Deutschen Bank von Kairo nach Nordmesopotamien, wo die Bagdadbahn gebaut wurde. Auf dem Weg dorthin entdeckte er am 19. November den Tel Halaf, nachdem ihm Dorfbewohner von unter Sand vergrabenen Steinstatuen erzählt hatten. In nur drei Tagen wurden mehrere wichtige Artefakte freigelegt, darunter die so genannte „sitzende Göttin“. Bei einer Sondierungsgrabung wurde auch der Eingang zum so genannten „Westpalast“ freigelegt. Da er keine gesetzliche Genehmigung für die Ausgrabung hatte, ordnete Oppenheim an, die Statuen wieder zu vergraben, und setzte dann seine Reise fort.
Zehn Jahre später kehrte er zum Tell Halaf zurück und führte zwischen 1911 – 1913 umfangreiche Ausgrabungen durch. In den Jahren 1927 und 1929, als Syrien inzwischen unter französischem Mandat stand, setzte er die Ausgrabungen fort und entdeckte markante Statuen und architektonische Überreste, insbesondere den Königspalast, den Tempel und die Tore, die mit Statuen und Flachreliefs aus Basaltstein verziert sind und religiöse und kriegerische Szenen zeigen. Diese stammen aus der aramäischen Zeit (spätes 10. bis frühes 9. Jahrhundert v. Chr.).

Der Weg der Funde nach Berlin
Die in Tel Halaf entdeckten Statuen, mehr als 2.000 Objekte und Fragmente, wurden nach der Grabung von 1913 Anfang des 20. Jahrhunderts von Max von Oppenheim nach Berlin transportiert – angeblich, um sie vor Zerstörung zu bewahren. Die Überführung war nicht nur wegen der Größe und des Gewichts der Skulpturen und der damaligen geografischen und logistischen Bedingungen kompliziert und schwierig, sondern auch weil sie geheim war, da die osmanischen Behörden keine offizielle Genehmigung für die Überführung nach Berlin erteilten. Die Artefakte wurden von Nordsyrien aus mit Kamelen und der Eisenbahn zu Häfen wie Beirut oder Alexandretta und dann über das Mittelmeer zu einem Hafen in Deutschland transportiert. Nach ihrer Ankunft in Berlin wurden die Figuren 1930 in einem von Oppenheim eigens eingerichteten Museum, dem privaten Tell-Halaf-Museum, in einem alten verlassenen Gebäude einer Maschinenfabrik ausgestellt. Denn das damals bereits bestehende Pergamon-Museum sah sich nicht in der Lage, die Funde auszustellen.
Gleichzeitig wurde das Nationalmuseum von Aleppo gegründet. Es verfügt über eine bedeutende Sammlung von Tell-Halaf-Statuen, die jedoch weniger zahlreich sind als die nach Berlin transportierten Statuen, von denen einige Originale aus der Grabung von 1929 und andere Kopien der Berliner Originale sind. Diese Stücke werden in einer Abteilung aufbewahrt, die syrischen Artefakten aus der aramäischen Zeit gewidmet ist und einen Höhepunkt des Museums darstellt. Zu den wichtigsten Stücken gehören die Statue der Göttin Ischtar, die Statue des Skorpionmanns und die geflügelte Sonnenscheibe, die Enkidu und Gilgamesch darstellt.

Zerstörung im 2. Weltkrieg und neue Ausgrabung
Im Jahr 1943 wurde das Tel-Halaf-Museum in Berlin während eines Luftangriffs des Zweiten Weltkriegs bombardiert, wobei alle Skulpturen zerstört wurden, die in 27.000 Stücke zerbrachen. In einem umfangreichen Restaurierungsprojekt, das 2001 begann und bis 2010 andauerte, konnte ein deutsches Team jedoch mehr als 30 Skulpturen und Reliefs aus den zerbrochenen Steinresten wieder zusammensetzen und restaurieren, die nun im Pergamonmuseum in Berlin zu sehen sind.
Das Palasttor wurde als Eingang zum Aleppo-Museum gewählt, als 1966 ein neues Museum eingerichtet wurde. Denn der Eingang ist ein wichtiges Symbol für die alte syrische Zivilisation. Das gilt insbesondere für die aramäische Periode, die den wichtigsten Teil des Aleppo-Museums ausmacht. Das Tor wurde nach einem internationalen Wettbewerb für das beste Design ausgewählt, da es zum Inhalt des Museums passt und eine wichtige politische und religiöse Bedeutung hat. Verwendet wurden hierfür Kopien der nach Berlin gebrachten Originale.
Das Museum in Aleppo wurde sowohl während des Krieges in Syrien als auch beim Erdbeben von 2023 beschädigt. Die Skulpturen von Tel Halaf blieben jedoch unversehrt, mit Ausnahme des Eingangs, der durch Granaten und das Erdbeben stark beschädigt wurde, aber noch intakt ist und dringend restauriert werden muss.
Nach 77-jähriger Unterbrechung nahm 2006 ein syrisch-deutsches Team der Generaldirektion für Altertümer und Museen in Damaskus und des Deutschen Archäologischen Instituts Berlin in Zusammenarbeit mit den Universitäten Halle, München und Tübingen die Ausgrabungen am Tel Halaf wieder auf. Diese Grabung musste wegen des Krieges aber 2011 wieder eingestellt werden.

Wo sollen wichtige Altertümer in Museen gezeigt werden?
Aufgrund der Kriege im Nahen Osten glauben viele Menschen, dass es besser ist, Museumssammlungen aus dem Nahen Osten zu ihrem Schutz nach Europa zu verlagern. Aber die Zerstörung der Monumente von Tel Halaf im zweiten Weltkrieg in Berlin und die Zerstörung zahlreicher ukrainischer Museen im ukrainisch-russischen Krieg zeigen uns, dass es keinen sicheren Ort für Museumssammlungen gibt. Es besteht immer eine mögliche Bedrohung, sei es durch Kriege oder Naturkatastrophen. Museumssammlungen aus dem Nahen Osten oder anderen Teilen der Welt wie Griechenland und Ägypten sind ein wichtiger Bestandteil europäischer Museen wie dem Louvre Museum und dem British Museum geworden. Derzeit wird aber intensiv darüber diskutiert, diese Sammlungen in ihre Herkunftsländer zurückzugeben oder sie in den europäischen Museen zu belassen.

Der Eingang zum Museum von Aleppo oder das Tor des Kabara-Palastes sind nicht nur Ausdruck der Geschichte des alten Syriens, sondern sie erzählen auch ein Kapitel der verflochtenen kulturellen Beziehungen zwischen Syrien und Deutschland. Als deutsche Expeditionen die Ruinen des Gozana-Königreichs in Tel Halaf ausgruben, brachten sie Fragmente einer kulturellen Identität mit, die heute auf internationale Museen verteilt sind und zu Symbolen des Kampfes um kulturelle Identität und Eigentum werden, insbesondere nach der kriegsbedingten Zerstörung archäologischer Stätten.

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