15. Januar 2025

Sednaya: Die syrische Hölle

Von Oula Mahfouz und Youssef Kanjou

Triggerwarnung: Dieser Text enthält Schilderungen von physischer und psychischer Gewalt.
„Wenn es keinen anderen Grund für die Revolution in Syrien gegen das Regime gegeben hätte als das Sednaya-Gefängnis, dann hätte es gereicht“, sagten einige SyrerInnen, als nach dem Sturz von Assad am 8. Dezember dieses Jahres Fotos und Videos aus dem Sednaya-Gefängnis zu sehen waren. Was ist die Geschichte dieses Gefängnisses und warum bezeichnete Amnesty International es als „Menschenschlachthaus“? Warum nannten es die Menschen in Syrien das „rote Gefängnis“, und wie verbreitete das Assad-Regime Informationen über Foltermethoden, um die syrische Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen?

Gründung und Standort
Das Militärgefängnis Sednaya wurde 1987 unter Hafiz al-Assad, dem Vater des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad, gegründet. Es liegt 30 Kilometer nördlich von Damaskus in einer bergigen Gegend nahe der überwiegend christlichen Stadt Sednaya, die für ihre historischen Klöster bekannt ist. Das Gefängnis wurde von einem sowjetischen Ingenieurbüro als Hochsicherheitsanlage weitab von Städten entworfen. Ursprünglich war es für militärische Gefangene vorgesehen, aber bald wurde es zu einem Haftzentrum für politische Gegner und Islamisten, besonders nach den Zusammenstößen in den 1980er Jahren zwischen dem Regime und der Muslimbruderschaft. Es war ein zentraler Bestandteil der Strategie des Regimes, die Macht der Sicherheits- und Militärbehörden zu festigen. Weitere Informationen: forensic-architecture | saydnaya

Vor der Revolution (1987 bis 2011)
Vor 2011 gab es zahlreiche Berichte über Misshandlungen innerhalb des Gefängnisses, darunter Folter, Hinrichtungen und gewaltsames Verschwindenlassen. Im Jahr 2008 brach innerhalb des Gefängnisses ein Aufstand aus, der von den Behörden brutal niedergeschlagen wurde, was zum Tod zahlreicher Gefangener führte. Eines der Gebäude des Gefängnisses wurde aufgrund der mit dem Blut der Getöteten befleckten Wände als „rotes Gefängnis“ bekannt.

Während der syrischen Revolution (2011 bis 2024)
Mit dem Ausbruch der syrischen Revolution im Jahr 2011 nahm die Rolle des Sednaya-Gefängnisses als Repressionsinstrument des Regimes zu. Berichten zufolge wurden seither mehr als 30.000 Menschen in dem Gefängnis inhaftiert, zumeist politische Gegner oder Zivilisten, die beschuldigt wurden, gegen das Regime zu opponieren. Weitere Informationen: SPIEGEL | Amnesty wirft Syrien Massenhinrichtungen vor

Bericht von Amnesty International
In einem Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2017 mit dem Titel „Menschenschlachthaus“ wurde das Gefängnis als Zentrum für Massenhinrichtungen und systematische Folter beschrieben. Zwischen 2011 und 2015 seien 13.000 Menschen nach Schauprozessen, die nur wenige Minuten dauerten, hingerichtet worden. Gefangene wurden demnach von Nahrung und medizinischer Versorgung ausgeschlossen, was zu täglichen Todesfällen führte. Amnesty | Human Slaughter House

Caesars Fotos:
Im Jahr 2014 entkam ein syrischer Überläufer, der sich „Caesar“ nannte, aus Syrien mit mehr als 55.000 Fotos, die die Leichen von etwa 11.000 Opfern dokumentieren, die in syrischen Gefängnissen, darunter Sednaya, unter Folter getötet worden waren. Caesar legte diese Fotos dem US-Kongress vor, wo er sie im Rahmen einer Anhörung über die vom syrischen Regime begangenen Misshandlungen zeigte. Diese Bilder trugen zu dem internationalen Druck bei, der zur Verabschiedung des sogenannten Caesar-Gesetzes zum Schutz der syrischen Zivilbevölkerung und zur Verhängung von Sanktionen gegen das Regime führte. Weitere Informationen: hrw | Die Geschichten hinter den Fotos getöteter Gefangener

Bericht eines Opfers
Mazen Hamadas, ein Überlebender der Folter im Sednaya-Gefängnis berichtete von grausamen Misshandlungen und menschenunwürdigen Bedingungen, die zum Tod vieler Häftlinge führten. Später wurde er in Europa ein zentraler Zeuge für die Verbrechen des Regimes. Unter mysteriösen Umständen kehrte er 2020 nach Damaskus zurück, angeblich nach Drohungen gegen seine Familie. Nach dem Regimesturz wurde seine Leiche mit schweren Folterspuren aufgefunden. Seine Beerdigung fand in Damaskus am 12. Dezember 2024 statt. Weitere Informationen: BR | Syriens Grauen

Foltermethoden und grausame Verstöße
Dokumentiert sind viele körperliche und psychologische Foltermethoden. So wurde den Gefangenen Nahrung und Wasser verweigert, sodass viele ihren eigenen Urin tranken, um zu überleben. Vergewaltigungen und die Drohung damit wurden eingesetzt, um Geständnisse zu erzwingen oder Häftlinge zu demütigen.2017 enthüllte die US-Regierung, dass im Gefängnis Verbrennungsöfen existieren, um die Leichen der täglich getöteten Häftlinge zu beseitigen. Diese wurden seit 2013 in das Gebäude integriert. Um die Leichen zu entsorgen, schuf das Regime mit Salz gefüllte Kammern, um die Leichen zu konservieren, bevor sie in Massengräbern verscharrt wurden. Weitere Informationen: Amnesty | About Sadnaya

Der erste Prozess zu Folter in Syrien
Im April 2020 begann in Deutschland der weltweit erste Prozess zu syrischer Folter gegen zwei ehemalige Funktionäre des Assad-Regimes.
Anwar R. wurde im Januar 2022 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter Folter und Mord, zu lebenslanger Haft verurteilt.
Eyad A. erhielt im Februar 2021 viereinhalb Jahre Haft wegen Beihilfe zu Folter.
Die Aussagen von 29 Überlebenden sowie Berichte von Menschenrechtsorganisationen spielten eine zentrale Rolle.
ECCHR | Prozess Staatsfolter in Syrien

Das Ende des Schreckens
Nach dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 wurden im Sednaya-Gefängnis neue Gräueltaten aufgedeckt. Oppositionskräfte entdeckten geheime Räume und Keller, die zuvor unbekannt waren. Es wurden Maschinen gefunden, die dazu dienten, die Leichen nach dem Tod zu zerkleinern. Tausende Syrer versammelten sich vor dem Gefängnis, um nach ihren vermissten Angehörigen zu suchen. Die meisten Überlebenden des Gefängnisses waren psychisch und physisch schwer gezeichnet oder hatten ihren Verstand verloren. Einige Syrer sagen, dass das Sednaya-Gefängnis nicht nur ein Haftzentrum war, sondern ein Todeslager und eine Fabrik zur Zerstörung der menschlichen Würde. Der Sturz des Assad-Regimes könnte den Weg zur Gerechtigkeit eröffnen.
newarab sadnaya prison

Dunkles Erbe und Forderungen nach Gerechtigkeit
Das Assad-Regime, sowohl Vater als auch Sohn, wurde zum Inhalt von Gefängnisliteratur, in der sich die Tragödien von Unterdrückung, Schmerz, Ungerechtigkeit und Tyrannei widerspiegeln. Viele Bücher erschienen international. Darunter ist auch „Das Schneckenhaus“ von Mustafa Khalifa, das ins Deutsche übersetzt wurde. tun052603

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