10. Oktober 2025

Syrische Geflüchtete kehren zurück: Das hat Folgen für die Türkei

Von Oula Mahfouz und Michael Seifert
Syrische Geflüchtete berichten häufig, dass ihre geflüchteten Familienangehörigen und Freunde aus der Türkei zunehmend nach Syrien zurückkehren. Diese erzählen, dass in Städten wie beispielsweise Bursa ganze Straßenzüge entvölkert und leerstehend wirken, in denen SyrerInnen wohnten und auch Geschäfte aufgebaut hatten. Auch in arabischen Medien gibt es darüber Berichte. Demnach soll der Wegzug der syrischen Menschen einen erheblichen Verlust im wirtschaftlichen Leben der Türkei ausgelöst haben. Als Folgen werden genannt: Arbeitskräftemangel, Verlust an Infrastruktur und Angebot in Handel und Geschäften, leerstehender Wohnraum. Wie viele SyrerInnen die Türkei verlassen haben ist allerdings unklar, es kursieren ganz unterschiedliche Zahlen.
tuenews INTERNATIONAL befragte daher einen Türkei-Spezialisten, der sich auch mit der Lage der syrischen Geflüchteten in der Türkei beschäftigt: Dr. Franck Düvell. Er ist Leitender Wissenschaftler am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück.

Verlässliche Zahlen
Franck Düvell geht von ursprünglich 2,9 bis 3,1 Millionen syrischen Menschen inklusive Kinder in der Türkei aus. In den offiziellen türkischen Zahlen würden die, die nach Europa weitergezogen seien, nicht herausgerechnet.
Laut dem türkischen Innenminister Ali Yerlikaya sind (Stichtag 27. September 2025) seit dem 8. Dezember 2024 etwa 509 000 Syrer zurückgekehrt. Seit 2016 beläuft sich die Zahl auf 1,25 Millionen Menschen.
2019 hat Düvell mit Kollegen eine Umfrage zur Bleibeabsicht der SyrerInnen gemacht: „Damals erklärten 50 Prozent, dass sie in der Türkei bleiben wollten, 30 Prozent, dass sie bei einer Änderung der Verhältnisse nach Syrien zurückkehren würden, und 20 Prozent wollten weiter in die EU, weil sie dort schon Verwandte hätten. Aber nur ein kleiner Teil von ihnen hätten die nötigen Mittel dafür.“
Es gebe drei entscheidende Gründe für die Entscheidung zur Rückkehr oder dagegen: „Wo sehen sie für ihre Kinder die beste Zukunft? Wo leben die meisten Angehörigen? Wie sind die Sicherheitslage und die Rahmenbedingungen in Syrien und insbesondere in ihrem Herkunftsort? Wenn die Stadt zerstört ist und ihr Haus nicht mehr steht, müssten sie sich ja woanders ansiedeln und dort wieder neu beginnen, während sie sich in der Türkei schon seit 10 Jahren integriert haben“, so der Experte weiter.

Wandel in der Einstellung gegenüber den SyrerInnen
Die Auswirkungen, die die massenhafte Rückwanderung der SyrerInnen auf die Türkei haben sollen, hält Düvell in den Medienberichten für „aufgebauscht“. Er begründet das damit, dass es nach 2010 einen Wirtschaftsaufschwung mit großen Bauprojekten, neuen Industriebereichen bei steigendem wirtschaftlichem Erfolg der Türkei gegeben habe: „Dadurch stiegen viele Arbeitskräfte aus dem Niedriglohnsektor auf und dort entstand ein Mangel an Arbeitskräften – also im Textil- und Ledergewerbe, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor. Die nach dem Kriegsausbruch in die Türkei geflüchteten SyrerInnen haben diese Lücke gefüllt und sozusagen ‚frisches Blut‘ hineingebracht.“
Inzwischen aber stecke die Türkei in einer starken Wirtschaftskrise mit hoher Inflation und Abbau von Arbeitsplätzen, wodurch die türkischen Arbeitskräfte wieder in den Niedriglohnbereich zurückdrängen würden. Düvell erläutert die Konsequenzen: „Dort aber sind jetzt die SyrerInnen und das hat die Stimmung gegenüber diesen geflüchteten Menschen total verändert. Wollte man zunächst den ‚muslimischen Schwestern und Brüdern‘ in ihrer als befristet angesehenen Notlage helfen, begegnet man ihnen, als die Rückkehr ausblieb, mit zunächst stiller Ablehnung, die dann laut und aggressiv bis hin zu Rassismus werden konnte.“
Im Übrigen sei die Fremdenfeindlichkeit in der Türkei nach einer internationalen Studie eine der höchsten in der Welt, sobald es um Niederlassung, Erwerbstätigkeit und Firmengründung gehe, also man die Stufe der Gastfreundschaft verlasse. Düvell fasst zusammen: „Insgesamt erscheint mir daher das Problem des drohenden Mangels an Arbeitskräften konstruiert, gerade auch vor dem Hintergrund, dass man dabei ist, die in der Türkei sehr niedrige Rate der Erwerbstätigkeit von Frauen zu steigern und dieses hohe Potenzial besser zu nutzen.“

Chancen für die türkische Wirtschaft durch Wiederaufbau Syriens
Die Schließung von syrischen Geschäften in der Türkei hält Düvell wegen der niedrigen Umsätze für ein marginales Problem für die türkische Wirtschaft insgesamt. Im Gegenteil sieht er im Wiederaufbau Syriens eine große Chance für die türkische Wirtschaft, denn „dieser wird ganz maßgeblich von der Türkei aus und mit Hilfe der Türkei erfolgen müssen. Etwa wenn es um die Lieferung von Baumaterialien, Lebensmitteln, Medikamenten und sogar Schulmaterialien geht. Das wird für die Türkei ein wichtiges Potenzial für Wirtschaftswachstum in den Syrien nahen Provinzen sein.“ In diesen Handel würden selbstverständlich auch die Syrer in der Türkei eingebunden, weil das die wichtigen Gesprächspartner seien.

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