23. Dezember 2025

tuenews INTERNATIONAL – wie alles begann

Es war eine der Krisensitzungen im September 2015. Der Krisenstab saß mal wieder im Tübinger Landratsamt zusammen, um über die Unterbringung der vielen Geflüchteten zu sprechen, erinnert sich der Geschäftsführer von tuenews INTERNATIONAL Wolfgang Sannwald. Er war als Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Landratsamts Tübingen dabei und brachte die Idee einer Kommunikationsplattform ein, die Geflüchtete mit wichtigen Informationen versorgen könne.

Geburtsstunde von tuenews

Die versammelten Abteilungsleiter hatten vor allem praktische Probleme des Zusammenlebens in den Sammelunterkünften im Blick, sie reagierten zunächst zurückhaltend. Der damalige Landrat Joachim Walter aber fand die Idee gut und beauftragte Sannwald, eine Konzeption zu erarbeiten. Es war die Geburtsstunde von tuenews INTERNATIONAL. Sannwald und seine KollegInnen in der Öffentlichkeitsarbeit kannten die Probleme vor Ort, zum Beispiel in der Kreissporthalle in Tübingen. Dort war praktisch über Nacht eine Unterkunft für hunderte Geflüchtete entstanden. Abgetrennt mit Hilfe von Bauzäunen und Planen wurden Übernachtungsmöglichkeiten für Familien und alleinstehende Menschen unterschiedlichster Kulturen auf engstem Raum geschaffen. Privatsphäre Fehlanzeige, es gab viele Reibungsflächen für Konflikte und Probleme.

Kommunikationslücke schließen

Für Sannwald war schnell klar: „Hier funktioniert die Kommunikation nicht.“ Es fehlte an Informationen, Verständnis für die unbekannte deutsche Kultur, aber auch für die Kulturen anderer in der Sammelunterkunft. Es gab Sprachbarrieren, kaum jemand konnte englisch geschweige denn deutsch. Das muss sich ändern, so seine Devise. Der promovierte Historiker und Professor der Kulturwissenschaft versteht Integration als gesellschaftlichen Diskurs, als Prozess mit viel Austausch. Für ihn war klar, dass Geflüchtete aktiv in diesen Diskurs einbezogen werden mussten. Am besten mit einer Beschäftigung. Man müsse das Potenzial nutzen, das sie mitbringen, ist der heute 66-Jährige überzeugt: „Denen fällt eh die Decke auf den Kopf“. Ein-Euro-Jobs waren eine Möglichkeit.

Suche nach Redaktionsmitgliedern schnell geglückt

Also machte er sich mit einem kleinen Team aus seiner Abteilung auf die Suche nach qualifizierten Leuten, die zunächst Themen benannten und zum Beispiel Informationen zu Meldungen verarbeiten konnten. Flugblätter wurden ausgelegt, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter angesprochen, die in den Unterkünften Beratungen anboten. Innerhalb von zwei Wochen fanden sich zehn Geflüchtete, die mitarbeiten wollten. Die erste Sitzung fand in der Volkshochschule in Tübingen statt, die Räume kostenlos zur Verfügung stellte. Sannwald hatte eigens PCs aus einem Second Hand-Laden besorgt. Die wurden aber gar nicht benötigt, erinnert er sich heute schmunzelnd an sein kulturelles Vorurteil. Die Geflüchteten nutzten einfach ihr Smartphone oder brachten eigene Laptops mit – und Themen für die Meldungen in den Ausgaben von tuenews INTERNATIONAL. Die Zeitung bestand zunächst aus zweiseitig bedruckten Flugblättern, kunterbunt gemischt in verschiedenen Sprachen. Die arabischen und persischen Meldungen fügten Mitarbeiter handschriftlich ein, ein nigerianischer Geflüchteter fuhr die fotokopierten DIN A3-Blätter in die Sammelunterkünfte und hängte sie dort aus. Er hatte einen anerkannten Führerschein.

tuenews-Mitarbeiter Ammer Dabbas bei der wöchentlichen Produktion der Wandzeitung. Foto: tuenews INTERNATIONAL / Mostafa Elyasian.

Der Hausmeister als unbekanntes Wesen

Die erste Ausgabe erschien am 1. Dezember 2015. Drei Syrer im Team legten unglaublich Wert auf diesen Termin, erinnert sich Sannwald. Er weiß bis heute nicht, warum, denkt aber an eine gewisse Zahlenmagie. Einer der ersten Artikel befasste sich mit dem Hausmeister. Viele Geflüchtete erlebten dessen überragende Bedeutung in den Unterkünften, wo er für Ordnung sorgte, aber auch oft die erste Anlaufstelle im Alltag der Geflüchteten war. Gelber Sack, Mülltrennung, wie funktioniert der Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn, wo gibt es Läden, in denen man Lebensmittel aus der Heimat einkaufen kann. Das waren Themen, die die Geflüchteten einbrachten. Auch die Informationen aus dem Tübinger Landratsamt wollten unter die Leute gebracht werden: zum Beispiel zum Aufenthaltsrecht, wohin darf man reisen oder wo bekommt man welche Papiere …

Servicecharakter bei tuenews zentral

Der Servicecharakter von tuenews INTERNATIONAL ist Geschäftsführer Sannwald bis heute besonders wichtig – und eine wertfreie Berichterstattung. Auch wenn kulturelle Themen aus den Herkunftsländern der Geflüchteten zugenommen haben. Bald jedenfalls reichte das wöchentliche Flugblattformat nicht mehr aus. Mehrseitige Wandzeitungen wurden in den Unterkünften ausgehängt. Monatliche Magazinhefte folgten. Radiosendungen bei der Wüsten Welle in Tübingen wurden produziert. Inzwischen liegt der Schwerpunkt auf Online und Social Media.

Sannwald bleibt Chefredakteur

Im nächsten Jahr geht Wolfgang Sannwald in den Ruhestand. Er verlässt das Landratsamt in Tübingen nach 36 Jahren. Bei tuenews INTERNATIONAL hat übrigens nie das Landratsamt über Inhalte bestimmt, auch wenn der Landkreis hauptsächlich die Kosten trägt. Sannwald betont den „großartigen“ Rückhalt bei Kreistag und Landrat. Andererseits legt er Wert darauf, dass die ehrenamtlichen AutorInnen und die JournalistInnen-Coaches die meisten Themen einbringen und von ihnen abhängt, was sie daraus machen. Bis 2022 war der Verein KulturGUT im Landkreis Tübingen Träger. Seither ist Sannwald ehrenamtlicher Geschäftsführer einer gemeinnützigen Unternehmergesellschaft. Er will seine Erfahrung als Geschäftsführer und Chefredakteur auch nach dem offiziellen Rentenantritt weiterhin ehrenamtlich einbringen, so wie die anderen JournalistInnen-Coaches. Ihn spornt der konkrete Integrationsdiskurs an, den tuenews INTERNATIONAL leistet, mit dem unmittelbaren Nutzen für einzelne Menschen und der Wirkung in der Gesellschaft.

Von Bernhard Kirschner

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