28. September 2025

Von Verehrung bis Verachtung – der Esel in verschiedenen Kulturen

Von Sameer Ibrahim, Oula Mahfouz und Michael Seifert
Die Anzahl der Esel wird weltweit auf 50 Millionen Tiere geschätzt, von denen die meisten in den ärmeren Ländern der Welt leben. Die heutigen Hausesel gehen nach neuen Forschungsergebnissen auf die vor etwa 7.200 Jahren in den trockenen Gebirgen Nordostafrikas (Ägypten, Sudan, Äthiopien, Eritrea) domestizierten afrikanischen Wildesel zurück. Die Daten dafür sind jedoch nicht sehr reichhaltig, daher nehmen manche Forschende an, dass sich die Hausesel möglicherweise auch in Mesopotamien, im Gebiet von Euphrat und Tigris, entwickelt haben könnten, wo ja auch Rinder, Schafe und Ziegen zuerst gezähmt wurden. Für die Menschen der Jungsteinzeit waren Esel wichtige Tragetiere, die wegen ihrer Belastbarkeit schon in den allerersten Handelsbeziehungen eingesetzt wurden.
Esel genießen hohe Verehrung in vielen Kulturen, so in den alten Zivilisationen von Mesopotamien und Ägypten, auch in einigen afrikanischen und asiatischen Kulturen. Eine ganz besondere Rolle spielen sie für das kurdische Volk im Irak.

Der Esel, stiller Gefährte des Alltags und des kurdischen Widerstands
Die KurdInnen im Nordirak haben eine fest verankerte Redensart in ihrer kollektiven Vorstellung: „Wir haben keine Freunde außer den Bergen.“ Aus den verschiedenen Freiheitskämpfen des kurdischen Volkes sind viele Namen überliefert, aber ein Held blieb anonym, stand im Schatten – still seine Rolle erfüllend, ohne Prahlerei: Es ist der Esel – dieses bescheidene Wesen, das auf seinem Rücken auch „die Träume der Revolution und ihre Sorgen“ durch die Berge trug.
Für die Kurden ist der Esel kein Symbol für Dummheit, wie es in manchen Kulturen der Fall ist, sondern ein Zeichen für Einfachheit, Geduld und Treue. Viele Dorfbewohner betrachten ihn als Weggefährten, unersetzlich, gleichwertig dem Menschen.
In den Höhen der kurdischen Berge wusste der Esel den Pfad, wenn alle Wege versperrt waren. Er trug Waffen, Vorräte und Nahrung zu den Stellungen der Freiheitskämpfer – unter Bedingungen, die kaum auszuhalten waren. Der Esel trotzte Kälte und Hunger mit Geduld. Er brauchte keine Karte – der Kompass lag in seinen Hufen. Weil er keinen Lärm machte, war er ideal für geheime Missionen. Er bewegte sich lautlos, als wüsste er, dass ein Laut Leben kosten könnte – also wählte er die Stille.

Aufgrund ihrer hohen Belastbarkeit wurden Esel seit jeher zum Transport von Waren genutzt. Foto: Brigitte Gisel.

Eine Eselsstatue in Kurdistan
Trotz all dieser Verdienste blieb der Esel ein Vergessener. Allerdings gibt es in der Millionenstadt Sulaymaniyah, einem Bildungs- und Kulturzentrum im irakischen Kurdistan, eine Eselsstatue aus Bronze auf dem Markt. Sie zeigt den Kopf, die Schultern und einen Teil der Brust eines Esels, der mit Anzug, Hemd und Krawatte bekleidet ist. Die Eselsstatue ist das Symbol einer Partei, der „Eselspartei“, die 2005 entstand.  Sie ist eine satirische Reaktion auf politische Korruption und die Abkehr von demokratischen Prinzipien und wählte den Esel als Symbol für Ehrlichkeit und Geduld. Wie der Parteigründer Omar Kalol sagte: „Warum sollten wir uns für den Esel schämen? Er ist ein gutmütiges Tier, lebt in Frieden, tötet nicht, verrät nicht, stiehlt nicht … Verdient er es nicht, unser Symbol zu sein?“
Der Esel, schon Transporttier in den antiken Hochkulturen Mesopotamiens, spielte noch Ende des 19. Jahrhunderts in der Altstadt von Bagdad eine entscheidende Rolle beim Hausbau: „Die   engen Gassen waren für große Maschinen nicht zugänglich. So wurde der Esel zum Transportingenieur – ohne ihn wären keine Ziegel angekommen und kein Dach errichtet worden,“ berichtet Redaktionsmitglied Sameer Ibrahim.

„Esel“ als Beleidigung in Mitteleuropa
Ganz anders ist die Einschätzung des Esels in Mitteleuropa: Dort beleidigt man einen Menschen mit dem Schimpfwort „Esel“. Das hat eine lange Tradition: „Esel“ als Bezeichnung eines dummen Menschen und damit als Beleidigung findet sich schon in den römischen Komödien von Terenz und Plautus, ebenso in den ältesten literarischen Texten in deutscher Sprache.
Entsprechende Sprichwörter und Redensarten gibt es in großer Zahl auch im Französischen, Englischen und anderen Sprachen – beispielsweise „Es gibt viele Esel auf zwei Beinen.“ „Einem Dummen etwas beizubringen ist ebenso sinnlos wie einen Esel das Lesen zu lehren.“ Sprachenübergreifend wird eine unbelehrbare und dickköpfige Person als „störrisch wie ein Esel“ bezeichnet.
In Vergessenheit geraten ist dagegen, dass es im Mittelalter verbreitet die Strafe gab: „Verkehrt auf dem Esel reiten“. Als Gewohnheitsrecht in einer französischen Stadt wurde formuliert: „Die Ehemänner, die sich von ihren Frauen schlagen lassen, werden gezwungen und verurteilt, verkehrt herum auf einem Esel zu reiten, so dass ihr Gesicht zum Schwanz des besagten Esels blickt.“[ Auch in mittelalterlichen Klosterschulen gab es hölzerne Esel, auf dem Schüler zur Strafe reiten mussten.

Ein Esel wartet auf seine Besitzer, die Waren am Markt einkaufen. Foto: Brigitte Gisel.

Esel in Tierfabeln und in der Bibel
Der französische Schriftsteller Jean de La Fontaine, berühmt durch seine Tierfabeln, hat im 18. Jahrhundert Geschichten und Vorurteile mit Tieren dazu benutzt, indirekt Menschen für ihr Verhalten zu kritisieren. Dafür hat er auch mehrfach Esel benutzt, etwa in der berühmten Fabel: „L’Âne et ses Maîtres“ („Der Esel und seine Herren“). Darin beklagt sich ein Esel, dass die Arbeit seinen Schlaf störe, weil sein Herr, ein Bauer, ihn vor Tagesanbruch aufweckt, um die Gartenfrüchte zum Markt zu bringen. Das Schicksal hat Mitleid mit dem Esel und gibt ihm einen anderen Herrn, einem Gerber, für den er schwere und schlecht riechende Tierhäute tragen muss. Der Esel beschwert sich erneut, da das Gewicht dessen, was er nun schleppen muss, viel höher sei als jenes der „Kräuter“ zuvor. Dann gerät er zu einem Köhler, aber auch dort muss er sich wieder beklagen. La Fontaine: „Alle Leute sind so. Nie werden wir unseres Zustandes froh.“ Die an Tieren ausgeübte Kritik ermöglichte es dem Autor, der Zensur zu entgehen, die im absolutistischen Zeitalter Schriftsteller tatsächlich bedrohte.
Das negative Image des Esels in der mitteleuropäischen Kultur überrascht insofern, als das Tier in biblischen Texten durchaus positiv gesehen wird. Im Alten Testament erweist sich die Eselin des Propheten Bileam als klüger als ihr Herr und rettet ihm das Leben, obwohl er sie ständig schlägt, (4. Moses, 22, Vers 21ff.). Im neuen Testament soll ein Esel bei der Geburt von Jesus anwesend gewesen sein und Jesus als Säugling und seine Mutter auf der Flucht nach Ägypten getragen haben. Jesus soll zu Beginn der Woche seiner Kreuzigung und Auferstehung triumphal auf einem Esel nach Jerusalem eingeritten sein. Der Esel nimmt also im christlichen Glauben eine wichtige Rolle ein, wird in der Theologie als Tier des Friedens interpretiert.

Parkverbot für Autos, wo Esel Kreuzfahrttouristen vom Hafen in den hochgelegenen Ort Thira auf der griechischen Insel Santorin tragen. Foto: Michael Seifert.

Der Esel im Islam – im Koran und der Sunna
Im Islam wird der Esel im Koran und in der prophetischen Überlieferung (Sunna) in verschiedenen Zusammenhängen erwähnt. Die islamischen Quellen behandeln den Esel als ein von Gott erschaffenes Nutztier, ohne ihn zu erniedrigen oder lächerlich zu machen.
Der Esel wird an mehreren Stellen im Koran erwähnt, darunter: „Das Gleichnis derjenigen, denen die Tora auferlegt wurde, die sie aber hierauf doch nicht getragen haben, ist das eines Esels, der Bücher trägt.“  (Sura al‑Jumuʿa (62:5)) In diesem Vers dient der Esel als Gleichnis für Menschen, die Wissen besitzen (in diesem Fall die Tora), aber es nicht verstehen oder nicht umsetzen können. Der Vergleich ist nicht abwertend gegenüber dem Tier gemeint, sondern soll die Aussage anschaulich machen. Denn niemand erwartet von einem Esel, dass er lesen kann.
„Halte das rechte Maß in deinem Gang und dämpfe deine Stimme, denn die widerwärtigste der Stimmen ist wahrlich die Stimme der Esel.“ (Luqmān(31:13)) Dieser Rat stammt aus den Ermahnungen, die Luqman, ein weiser im Koran erwähnter Mann, seinem Sohn gab. Er fordert dazu auf, maßvoll zu sein und andere nicht mit lautem Verhalten zu belästigen. Auch hier wird nicht das Tier selbst kritisiert, sondern das unangemessene Verhalten von Menschen, die ihre Stimme auf eine Weise erheben, die ihrer Würde widerspricht.Der Überlieferung nach benutzte der Prophet Mohammad den Esel als einfaches Transportmittel. Trotz seines hohen Status sah er darin nichts Ehrenrühriges. Überliefert ist, dass sein Esel den Namen „Yaʿfūr“ trug. Das kann „männliche Gazelle“ oder „leicht und schnell in der Bewegung“ bedeuten. Darüber hinaus forderte der Prophet zum sanften und fürsorglichen Umgang mit Tieren auf. Er verbot, sie zu schlagen oder übermäßig zu belasten, und das gilt auch für Esel.

Auf der Kanareninsel Lanzarote wird ein Esel zum Tragen gefahren. Foto: Michael Seifert.

Arabische Volkstraditionen
In den ursprünglichen religiösen Quellen wurde der Esel nie als Symbol für Dummheit oder Lächerlichkeit dargestellt. Im Gegenteil: Er hatte eine klare und nützliche Rolle im Alltag. Erst in der späteren zunächst mündlichen Volksliteratur, in Erzählungen und Sprichwörtern begann man, ihn mit Eigenschaften wie Sturheit oder Einfältigkeit zu verbinden, was aber keinen Ursprung in Koran oder Sunna hat.
Dschuha (arabisch: Ǧuḥā) ist eine berühmte, humorvolle Volksfigur, die im arabisch-islamischen Kulturerbe bekannt ist. Seine Geschichten, Witze und Anekdoten werden oft verwendet, um versteckte Weisheiten oder soziale Kritik zu vermitteln. Die ältesten Überlieferungen über ihn sollen bis ins 8. Jahrhundert n. Chr. zurückreichen.  Besonders bekannt wurde Dschuha durch seine lustigen Geschichten mit seinem Esel. Der Esel war nicht das Ziel des Spotts, sondern diente als komisches Element, um menschliches Verhalten zu spiegeln. Doch durch sein wiederholtes Erscheinen in komischen Situationen hat sich das Bild des Esels als „einfaches“ oder „tölpelhaftes“ Tier in der Volkstradition verbreitet.
Unsere stichpunkthafte Recherche zeigt Verehrung und Respektierung des Esels in alten Kulturen bis in die heiligen Texte hinein, da er ein äußerst wichtiges Nutztier war. In der Populärkultur entsteht dann der „Missbrauch“ des Esels für die Beleidigung und in der Übertragung für die Kritik an Menschen. Eine Heldenverehrung genießt der Esel bis heute bei den Kurden im Nordirak.

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