8. Februar 2025

Der Horber Spital in Pest und Krieg

von Wolfgang Sannwald – veröffentlicht 1993 in der Horber Chronik

„Den Spittel nimmt man an die Hand und schlägt die Armen an die Wand“, so klagt kurz vor Beginn des 30jährigen Krieges der Horber Onophrius Herzog über Mißstände im städtischen Spital. Weiter reimt das Ratsmitglied: „Du Spitalmeister bist nur ein Knecht, gibst du den Armen, so tust du recht,… Halt du die Kirchweih mit den Armen, so wird Gott auch über dich erbarmen, Schenk ihnen ein den guten Wein, so wird es vor Gott ein Lob sein, Aber ich sorg du wirst es vergessen, und wirst nehmen die sauren Fleschen, Ach Gott laß es dich erbarmen, so geht man um mit den Armen“. Niedergang und Zerfall, Notstand und Verderben bezeugt das Horber Ratsmitglied einer Einrichtung, die vom Mittelalter bis in unser Jahrhundert die sozialen Verhältnisse in Horb maßgeblich bestimmte. Ähnliche Klagen sind auch in anderen Jahrhunderten zu hören. Stand es wirklich jahrhundertelang so schlimm um die fromme Stiftung von 1352, so daß sich der Stifter Dietrich Gutermann im Grabe umdrehte? Stand immer wieder der Zweck dieses aus der Pestnot des Spätmittelalters geborenen frommen Werkes auf dem Spiel? Dieser Frage wird im Laufe der Artikelserie nachzugehen sein.

Dabei hatte alles so gut angefangen, als Dietrich Gutermann drei Jahre nach dem verheerenden Pestzug von 1349, der in unserer Gegend weite Landstriche entvölkerte, sein Haus an der heutigen Gutermannstraße „den Armen und siechen Dirftigen zu einer steten Herberge“ stiftete. Der mildtätige Horber Bürger und seine Frau waren damit früh dran, bescherten sie ihrer Heimatstadt doch einen Spital, als viele andere Landstädte noch keine solche Einrichtung hatten. Nur die großen Reichsstädte waren bereits ein bis zweihundert Jahre vorher zu solchen Sozialanstalten gekommen. Von Anfang an begünstigte Gutermanns Stiftung, daß ihr der Stadtherr Graf Albrecht von Hohenberg nicht nur seinen Segen, sondern die Steuer- Zins- und Dienstfreiheit verlieh. Als dann auch noch die Gemahlin Rudolfs von Hohenberg, Ida, eine geborene Toggenburgerin, 1387 umfangreiche Rechte an den Spital schenkte, schien dessen Zukunft gesichert. Er nahm innerhalb der Stadt seitdem die soziale Führungsrolle ein.

„Komm Spital mit deinem Karren und hole ab den alten Narren“: In den Spitälern fanden all diejenigen Bürger Zuflucht, die sich ihren Lebensunterhalt nicht selbst erarbeiten konnten. Auf Anweisung des städtischen Rats nahmen sie etwa einen einzelnen Bürger „in Ansehung seiner Bledigkeit“, eine Sechzigjährige „in Ansehung ihres Alters, sonderlich des Weibs Schwachheit“, oder „ein ledig Kind in Anbetracht seiner Unschuld“ auf. Dieser Personenkreis, Witwen, Waisen, Alte und Krüppel mußte ständig von der Gemeinschaft versorgt werden, sofern er kein anderweitiges Auskommen fand. Freilich mag auch eine gewisse Wohlstandsmentalität schon damals durchgeschlagen haben, sie äußert sich in dem Spruch „Versauf ich auch den Kittel, so bleibt mir doch der Spittel“.

In Krisenzeiten nahmen die sozialen Aufgaben der Städte zu. Bei Mißernten etwa strömte die Landbevölkerung nach Horb. Der Spital mußte dann Brot und Suppe an die Bedürftigen verteilen. Diese offene Armenfürsorge reichte aber oft nicht aus. In solchen Situationen vergrößerte sich die Gefahr, daß unter den vom Hunger geschwächten, hinter den Stadtmauern zusammengedrängten Menschen Seuchen ausbrachen. Pest, Lepra und Fleckfieber sind Infektionskrankheiten, denen der mittelalterliche Mensch noch hilfloser gegenüberstand, als wir heute der neuen Seuche AIDS. Gegen die erbsengroßen, eitrigen Knoten, die der Lepra-Erreger auf Haut, Mund, Nase und Augen bildete, dagegen, daß während eines solchen bis zu zehn Jahren dauernden Siechtums Gliedmaßen abstarben und der Infizierte erblindete, war kein Kraut gewachsen. Es blieb nur, die Erkrankten in speziellen Spitälern, den Siechen- oder Gutleuthäusern außerhalb der Stadtmauern zu isolieren. In Horb war dies das Armen- oder Seelhaus, auch „unterer Spital“ genannt, der direkt an das Gutermannsche Anwesen grenzte und zur Verwaltungseinheit des Spitals gehörte.

Freilich bot die Horber Anstalt nicht nur für Arme ein Auskommen. Reichen standen ihre Tor sperrangelweit offen. Wer genug Geld besaß, konnte sich eine Pfründe im Spital kaufen, die außer der Unterkunft aus vertraglich vereinbarten Essensrationen bestand. Für etwa 20 Horber übernahm der Spital diese Funktion eines Altersheimes in der Frühen Neuzeit.

Spitalordnungen regelten für sie und für die knapp 20 Armen das Zusammenleben. Dieser Ordnung hatten vor allem die Armen „gehorsamlich“ und „one gewaigert zevolgen“. Bei Vergehen drohten ihnen Zuchthausstrafen. Dabei war das Leben streng genug geregelt: vier Uhr aufstehen, Gesicht und Hände waschen, Mund reinigen, Haare kämmen, Ungeziefer entfernen, Nachttopf zum Fenster hinaus entleeren, dann den Schlafsaal ausfegen, ebenso alle Stuben, Gänge und Stiegen; Sitze der Klosetts naß aufwischen und abtrocknen. Um fünf schlug die Glocke zur Morgensuppe, vorher jedoch mußte sich der Spitalit mit den anderen zusammen „in Ansehung der Reinlichkeit“ visitieren lassen. Ein schwarzes Brett verkündete, welcher Wohltäter für die Leistungen des Tages bezahlt hatte, und was er dafür von ihnen an Gebeten erwarten durfte. Während die Reichen dann tagsüber auf der faulen Haut liegen durften, mußten sich die Armen vom Spitalmeister im Feld oder für den Spitaldienst „gebrauchen“ lassen. Freilich galt auch für den Spitalbetrieb das Sprichwort: „Wenn die Arbeit allein reich machen tät, wär der Esel reicher als der Müller“. Sie bescherte den Armen keineswegs größere Essensrationen als den Reichen.

Laut Speiseordnung bekamen die Armen täglich außer der Morgensuppe einmal Fleisch mit Gemüse, sonntags zweimal Fleisch zu essen. Zwei fleischlose Gerichte gab es, „so wie die kuchin das Vermag“. Mit einem Stück Kuchen zu Weihnachten, einem Fladen oder Krapfen und sechs Eiern an Ostern und einem Schüsselchen Sülze mit zwei Pfannkuchen an Fasnacht wurden die besonderen Feste gefeiert. Ein Glas Wein nach der Euronorm war vom Rat „auf Widerruf“ bewilligt. Reiche hingegen hatten einen vertraglichen Anspruch auf die dreifache Menge. Sie bekamen auch regelmäßig mehr Fleisch und andere Küchenspeisen zu essen. Bei schlechten Jahrgängen des heimischen Rebensaftes konnten sie es sich mitunter leisten, wie 1652, ihr Quantum Wein gegen die Hälfte einer guten auswärtigen Sorte einzutauschen.

Vor dem Dreißigjährigen Krieg verbrauchte die Horber Anstalt für die etwa 50 Menschen, die in ihr lebten und alle Auswärtigen, die hin und wieder Verpflegung erhielten, jährlich 24 Tonnen Dinkel, 71 Hektoliter Wein und 162 Zentner Fleisch.