Der Umgang der radikalislamischen Taliban mit Frauen in Afghanistan ist nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als Verfolgung einzustufen und kann damit eine Anerkennung als Flüchtling rechtfertigen. Bei der individuellen Prüfung des Asylantrags einer afghanischen Frau reiche es daher aus, wenn ein EU-Land nur ihr Geschlecht und ihre Staatsangehörigkeit berücksichtige. Dies gab der EuGH in einer Pressemitteilung vom 4.10.2024 bekannt.
Das Urteil bezieht sich auf zwei afghanische Frauen, denen in Österreich die Flüchtlingseigenschaft verweigert wurde und die dagegen geklagt hatten. Der Österreichische Verwaltungsgerichtshof hatte den Fall zur Beratung an den EuGH verwiesen.
Die diskriminierenden Maßnahmen, die das Taliban-Regime seit der Machtübernahme in Afghanistan 2021 gegen Frauen verhängt haben, sind nach Auffassung des EuGH im Einzelnen und auch in ihrer Gesamtheit als Verfolgung einzustufen. Das Gericht verweist insbesondere auf die Zwangsverheiratung, die einer Form der Sklaverei gleichzustellen sei, und den fehlenden Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, die Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung darstellten. Als weitere Maßnahmen erwähnt der EuGH die Pflicht, den Körper vollständig zu bedecken und das Gesicht zu verhüllen, sowie den erschwerten Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Schließlich zählt der EuGH auch die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, der Erwerbstätigkeit und des Zugangs zu Bildung und den Ausschluss vom politischen Leben als diskriminierende Maßnahmen auf. Der Entscheidung des Gerichtshofs zufolge können die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass nicht festgestellt werden muss, dass eine Antragstellerin bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich und individuell Verfolgungshandlungen zu erleiden droht. Es genügt, lediglich ihre Staatsangehörigkeit und ihr Geschlecht zu berücksichtigen.
Auf die Anfrage von tuenews INTERNATIONAL an die Pressestelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), welche Konsequenzen für die Behandlung von Asylanträgen von afghanischen Frauen und Mädchen in Deutschland aus diesem Urteil zu erwarten seien, erklärte eine Sprecherin: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Kenntnis genommen und wird die Folgen aus dem Urteil für die Entscheidungspraxis des Bundesamts prüfen. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.“ Der EuGH seinerseits wies darauf hin, dass seine Entscheidung in gleicher Weise andere nationale Gerichte der EU bindet, wenn diese über vergleichbare Fragen zu befinden haben.
Zur Pressemitteilung des EuGH: EuGH | Pressemitteilung
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