Von Ute Kaiser
Sprache ist ein Schlüssel zur Integration – Arbeit auch. Ein Landkreis in Thüringen verpflichtet volljährige Asylbewerber, für 80 Cent in der Stunde zu arbeiten: bei der Reinigung der Unterkunft, beim Bauamt oder bei einem Verein wie der Tafel. Wer ohne guten Grund diese Arbeit verweigert, dem können Asylbewerber-Leistungen bis zur Hälfte gestrichen werden. Das wäre auch in Baden-Württemberg möglich. Doch der Landkreis Tübingen geht andere Wege. Darüber sprach tuenews INTERNATIONAL mit Landrat Joachim Walter.
Seit August gibt es im Tübinger Landratsamt eine neue Abteilung „Flucht und Integration“. Einer der Schwerpunkte der Abteilung: unbürokratisch AsylbewerberInnen möglichst schnell auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen, um dort Deutsch zu lernen, Menschen kennenzulernen, beschäftigt zu sein, eigenes Geld zu verdienen und damit auch die Sozialkassen zu entlasten, so Walter.
Neuer Leiter mit viel Erfahrung
Der neue Abteilungsleiter Sven Jäger bringt Erfahrungen aus Reutlingen mit. Er hat dort mit dem Jobcenter, der Handwerkskammer, der Diakonie und Gewerkschaften ein Bündnis für Arbeit gegründet. Jäger hat zum Beispiel Praktika in Firmen eingeführt sowie Jobbörsen für Geflüchtete und eine Ausbildung in Altenpflege, die mit einem Sprachkurs kombiniert war.
Kommunikation spielt bei der Arbeit eine große Rolle. Das zeigte der Landrat an einem Beispiel. Er wollte sich in seinem Büro mit einer Putzfrau unterhalten. Sie sprach weder Deutsch noch Englisch. Türkisch kann Walter nicht. Sie nahmen „Hände und Füße“ zu Hilfe. „Sie kennt jetzt das Wort Aktenvernichter“, sagt Walter. An ihrem Arbeitsplatz ist das ein wichtiger Begriff.
Intensive Kooperation mit dem Jobcenter
57 MitarbeiterInnen hat die neue Abteilung, außer Verwaltungsfachleuten auch SozialarbeiterInnen und ehemalige Geflüchtete. Die pädagogischen Fachkräfte sollen zunächst herausfinden, welche beruflichen Erfahrungen die einzelnen Geflüchteten haben und was sie können. Nach einem kurzen Sprachkurs soll die Suche nach einem möglichen Arbeitgeber losgehen – nicht in Konkurrenz zu, sondern „in intensiver Kooperation“ mit dem Jobcenter, so Walter.
„Wir gehen gezielt auf Gemeinden und Unternehmer zu und sagen ihnen, wir haben eine Frau oder einen Mann, die perfekt zu deinem Betrieb passen“, so der Landrat. Es gebe inzwischen Firmen, die neue MitarbeiterInnen gezielt schulen, auch sprachlich, weil sie auf dem Arbeitsmarkt nicht ohne Weiteres jemanden finden. Als Beispiele nannte Walter eine Gerüstbaufirma, das Universitätsklinikum Tübingen und dessen Dienstleistungsorganisation UDO. Wichtig sei, „bei den Betrieben das Verständnis zu wecken, dass jemand die Sprache nicht perfekt spricht, aber Grundeigenschaften mitbringt“.
Eine Win-Win-Situation für alle
Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung mache die Integration in den Arbeitsmarkt nicht einfacher. Doch nach Ansicht des Landrats gibt es „nach wie vor einen relativ großen Bedarf nach Arbeitskräften – gerade bei Helferberufen“. Sie bieten die Einstiegschance, sich über Sprache zu qualifizieren. Er nannte die Gastronomie und die Pflege, zum Beispiel in der Essensausgabe.
„Wir haben Möglichkeiten, wir müssen sie nur gezielt suchen – und das möchten wir jetzt früh machen“, sagt der Landrat. Eine feste Beschäftigung biete Geflüchteten nicht nur eine Tagesstruktur. Wenn sie arbeiten, sorge das auch für Akzeptanz in der Bevölkerung. „Das ist eine Win-Win-Situation für alle“, so Walter.
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