Von Yana Rudenko
Jedes Jahr am vierten Samstag im November gedenkt die Ukraine den Opfern des Holodomor – in diesem Jahr am 23. November. Dieses Datum erinnert an die Ereignisse von 1932 bis 1933, als Millionen Menschen in der Ukraine infolge der Getreidebeschaffungs- und Kollektivierungspolitik der Sowjetunion verhungerten. Holodomor heißt wörtlich übersetzt Mord durch Hunger. Die Schätzungen reichen von drei bis zehn Millionen Todesopfer. Diese von Menschen verursachte Hungersnot wird von der Ukraine und mehr als 30 Ländern als Völkermord an der ukrainischen Bevölkerung anerkannt – seit 2022 auch von Deutschland. An diesem Tag werden die Ukrainer in ihren Häusern Kerzen zum Gedenken an die Opfer der Hungersnot anzünden.
„Der Holodomor wurde von der Führung der Sowjetunion begangen, um die Ukrainer zu unterwerfen, den ukrainischen Widerstand gegen das Regime und die Versuche, einen von Moskau unabhängigen ukrainischen Staat zu errichten, endgültig zu vernichten“, heißt es auf der Website des Nationalmuseums des Holodomor-Völkermords. Die Menschen verhungerten infolge der vollständigen Beschlagnahmung aller Getreidevorräte und der anschließenden Konfiszierung aller anderen Lebensmittel und Güter als Strafe für die Nichteinhaltung des Getreidebeschaffungsplans. „Ein solches Phänomen hat es in keiner anderen Republik der UdSSR gegeben“, heißt es auf der Website des Museums.
Auch in Deutschland wurde der Holodomor 2022 als Völkermord eingeordnet. „Der massenhafte Hungertod sei keine Folge von Missernten, sondern von der politischen Führung der Sowjetunion unter Josef Stalin verantwortet worden“, heißt es in dem überparteilichen Antrag an den Bundestag, der am 30. November 2022 verabschiedet wurde. Der Holodomor stelle ein „Menschheitsverbrechen“ dar, aus heutiger Perspektive liege „eine historisch-politische Einordnung als Völkermord nahe“, schreiben die Abgeordneten. „Ob die Hungersnot mit dem Ziel herbeigeführt wurde, die Ukraine als Nation zu vernichten, ist unter Historikern und Historikerinnen bis heute umstritten. Die Anerkennung des Holodomor als Genozid gilt daher als eine politische Entscheidung“, heißt es dazu bei der Bundeszentrale für politische Bildung.
Offiziell leugnete die Sowjetunion den massenhaften Hungertod in der Ukraine und lehnte die von verschiedenen Ländern angebotene karitative Hilfe ab, die oft von ukrainischen Emigranten geleistet wurde. Nachdem das Regime die Ukraine in ein Gebiet des Massenhungers verwandelt hatte, wurden Ausreiseverbote verfügt. „Nur den Bauern der Ukraine und des Kuban war es verboten, in die Städte, nach Russland und Weißrussland zu reisen. 22,4 Millionen Menschen wurden im Gebiet des Holodomor physisch blockiert. Für keine andere Verwaltungsregion der UdSSR oder Republik wurde ein solcher Beschluss gefasst“, heißt es auf der Website des Holodomor-Museums. In der Ukraine starben ganze Familien und Dörfer aus. Auch in Kasachstan und anderen Teilen der Sowjetunion starben Millionen von Menschen an Hunger. „Die Opferzahlen können bis heute nicht wissenschaftlich genau beziffert werden“, berichtet die ARD-Tagesschau.
Gleichzeitig verfügte die sowjetische Regierung über beträchtliche Getreidereserven und exportierte diese während des Holodomor ins Ausland. Menschen, die versuchten, auch nur eine kleine Menge an Lebensmitteln zu verstecken, wurden erschossen. Nach dem sogenannten „Fünf-Ähren-Gesetz“, das den Diebstahl von Kolchos-Eigentum sanktionierte, galten selbst ein paar Ähren, die unter dem Schnee auf einem Feld überwintert hatten, als Diebstahl, was die Hinrichtung auf der Stelle und die Beschlagnahme des Eigentums zur Folge hatte. Wenn mildernde Umstände vorlagen, betrug die Strafe mindestens zehn Jahre Lagerhaft. Amnestie war unmöglich. Und dies, obwohl nach der damaligen Gesetzgebung selbst vorsätzlicher Mord mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft und Diebstahl mit bis zu drei Monaten Zwangsarbeit geahndet wurde. Zwischen 1931 und 1940 wurden 182.173 Personen nach diesem Gesetz verurteilt – auch Kinder, die versuchten, etwas zu essen zu finden.
In der UdSSR selbst war die Erinnerung an die Opfer des Holodomor jahrzehntelang verboten – es gab keine öffentlichen Vorträge und kein Gedenken an die Opfer. Erst nach der Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit gelang es dem ukrainischen Volk, das Tabu über den Holodomor zu brechen.
Bereits im September 1933 gedachten alle, die mit den Ukrainern sympathisierten und das Vorgehen der sowjetischen Regierung verurteilten, im Ausland der Opfer des Holodomor. So fand auch während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland am 11. September 1933 in Berlin Trauertag mit Gedenkgottesdienst für die Millionen von Ukrainern statt, die verhungert waren. Dies geschah auf Einladung des Administrators und Apostolischen Visitators für die ukrainischen Emigranten in Deutschland, Pater Peter Vergun.
Mehr Informationen zum Holodomor gibt es auf der Website des Nationalmuseums des Holodomor-Völkermordes in englischer Sprache: Holodomor Museum
Eine Einordnung auf Deutsch findet sich bei der Bundeszentrale für politische Bildung: bpb | Holodomor
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