„Wir sind wie eine klassische deutsche Lokalzeitung“, sagt Cornelia Gerlach, die Projektkoordinatorin von „Amal, Berlin!“ Die Redakteure Khaled Al Aboud, Anas Khabir und Abdolrahman Omaren grinsen. Die Aussage trifft zwar zu, sie ist aber nur die halbe Wahrheit. „Amal“ arbeitet zwar nach den gleichen Kriterien wie deutsche Medien, doch die Plattform ist etwas ganz Besonderes: ein Online-Medienprojekt, in dem geflüchtete JournalistInnen aus fünf Ländern mit Berichten auf Arabisch, Dari/Farsi und Ukrainisch ihre Landsleute und viele weitere über Deutschland informieren. „Amal goes Schwabenland“, hieß es dieser Tage. Auf Recherchereise zu Projekten des Diakonischen Werks in Baden-Württemberg haben drei Redakteure und Projektkoordinatorin Gerlach auch einen Abstecher zu tuenews INTERNATIONAL gemacht und eine Redaktionssitzung besucht. Sie haben Tübingen nicht ohne Geschichte verlassen: Khaled Al Aboud hat sich mit Roula Al Sagheer getroffen. Die ehemalige tuenews-Mitarbeiterin hat gerade ihr neues Buch „Herzklopfen und Hoffnung“ veröffentlicht. „Amal“ wird darüber berichten.
„Amal“ bedeutet im Arabischen Hoffnung. Zu Beginn im Jahr 2016 trafen sich zehn geflüchtete Journalistinnen und Journalisten aus Syrien, Afghanistan, Iran und Ägypten bei einem Workshop der Evangelischen Journalistenschule in Berlin, um sich auf journalistisches Arbeiten in Deutschland vorzubereiten. Unter der Leitung der Journalistinnen Julia und Cornelia Gerlach entstand eine Plattform, die Geflüchtete mit Lokalnachrichten in ihren Muttersprachen versorgt – eine lokale Tageszeitung fürs Smartphone, wie „Amal“ von sich selbst sagt. Heute verbreitet die Internetplattform lokale und überregionale Nachrichten in drei Sprachen, zum Team stießen auch Kolleginnen aus der Ukraine. Längst gibt es nicht nur Texte, sondern auch Videos. In Berlin berichten inzwischen 14 Journalistinnen und Journalisten über alles, was man wissen muss, um anzukommen, sich in der neuen Stadt zuhause zu fühlen und am politischen und kulturellen Leben teilzunehmen. Sie greifen dazu Nachrichten und Berichte lokaler Medien auf und schreiben eigene Reportagen und Berichte. Seit 2019 gibt es „Amal“ auch mit einer eigenen Redaktion in Hamburg, 2023 kam eine weitere Redaktion in Frankfurt am Main dazu. Insgesamt sind 25 Redakteurinnen und Redakteure tätig, die mit einer halben Stelle angestellt sind – allesamt Profis mit journalistischer Ausbildung. Getragen wird das Medium vom Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik, finanziert unter anderem aus Mitteln der Evangelischen Kirche und mehreren Stiftungen, darunter der Körber-Stiftung. „Amal, Frankfurt“ wurde 2023 mit dem Hessischen Integrationspreis ausgezeichnet. An allen drei Standorten ist die Plattform auf Facebook aktiv und in direktem Austausch mit den Leserinnen und Lesern.
Journalisten leben von und mit der Sprache. Das macht es ihnen so unfassbar schwer, sich im Exil eine neue Existenz aufzubauen. Der Weg, in Deutschland journalistisch zu arbeiten, ist steinig. Aber er ist zu schaffen, wie Beispiele der Amal-Redaktion zeigen. Anas Khabir beispielsweise hat in Aleppo Jura studiert und in Frankreich Journalismus. Heute arbeitet er nicht nur für Amal, sondern auch für das französische Radio Rosana und als Videoproduzent für die Nachrichtenagentur Associated Press. Khalid war in Syrien als Arabischlehrer und Journalist tätig und fasste in Berlin neben Amal auch beim Sender RBB Fuß. Einige Redaktionsmitglieder haben inzwischen den Sprung in die deutschen Medien geschafft und Volontariate beim ZDF oder dem Berliner Tagesspiegel absolviert. Andere studieren neben der Redaktionstätigkeit. Deutsch sprechen alle.
In ihren Anfängen 2016 gestalteten die Amal-Redakteurinnen und Redakteure Ausgaben des evangelischen Magazins Chrismon, die sich an Geflüchtete richteten. Sie aber dorthin zu bringen, wo die frisch Angekommenen lebten, war alles andere als einfach, wie Cornelia Gerlach in Tübingen erzählte. Deshalb ist sie begeistert, als sie einige der Wandzeitungen aus den Anfängen von tuenews in Händen hält: „Das finde ich echt beeindruckend.“
Beim Besuch bei der tuenews-Redaktion stellt sich dann schnell Vertrautheit ein. Wo man denn essen gehen könnte, wollen die Besucher aus der Bundeshauptstadt am Ende der Sitzung wissen. Schnell fliegen arabische Sprachfetzen durch den Raum, offenbar werden die Vor- und Nachteile der schwäbischen gegenüber der arabischen Küche abgewogen. Am nächsten Tag geht’s weiter. Für „Amal on tour“ wollen die Redaktionsmitglieder im Südwesten zehn Reportagen an Land ziehen. In Münsingen waren sie schon, ein Jugendprojekt im Enzkreis steht noch auf der Tagesordnung und ein Besuch in Schwenningen. Eine Reporterin ist ins südbadische Lörrach unterwegs – auch wenn das nicht „Schwabenland“ ist.
https://amalberlin.de/de/
tun24101601