8. Dezember 2025

Bundestag, Gerichte und Kirche zu AfghanInnen in Pakistan

In Pakistan warten noch etwa 1900 afghanische StaatsbürgerInnen auf ihre Einreise nach Deutschland. Viele von ihnen haben einst der Bundeswehr und anderen deutschen Institutionen geholfen, als sich Deutschland am Militäreinsatz gegen die Bekämpfung des Terrorismus und für den Aufbau einer Demokratie in Afghanistan beteiligte. Ihnen hat die Bundesrepublik 2023 zugesagt, dass sie in Deutschland aufgenommen werden. Am 3. Dezember 2025 lehnte der Deutsche Bundestag einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ab, die offenen Verfahren zu Ende zu führen oder den Wartenden Einreisevisa nach Deutschland zu erteilen. 440 Abgeordnete stimmten namentlich ab, 130 davon gaben dem Antrag der Grünen ihre Stimme.

Verwaltungsgerichte halten Aufnahmezusage für verbindlich

Dabei erhöhen Gerichte den Druck auf den Gesetzgeber. Mehrere deutsche Verwaltungsgerichte, jüngst das Berliner Verwaltungsgericht am 7. Juli 2025, stimmten darin überein, dass die Bundesrepublik Deutschland sich an bereits erteilte „Aufnahmebescheide Teil 1“, wie sie das BAMF im verhandelten Fall am 24. Oktober 2023 erteilt hatte, halten muss. In dem Fall war die Einreise nach Deutschland im April 2025 gescheitert, weil afghanische Stellen zu einer Person zwei unterschiedliche Geburtsdaten geführt hatten.

Abschiebung nach Afghanistan droht

In ihrem Antrag hatten Bündnis 90/Die Grünen auf die aktuelle Gefahr für die AfghanInnen mit Aufnahmezusage in Pakistan hingewiesen: Die pakistanische Polizei habe im August und September 2025 bereits 210 von ihnen nach Afghanistan abgeschoben und ab dem 31. Dezember 2025 weitere Abschiebungen in das Nachbarland angekündigt. Das Verwaltungsgericht Berlin sah diese Bedrohung: Die deutsche Botschaft habe deshalb zwar ein „Sicherheitsnetz“ aus Schutzbrief, Sensibilisierung der pakistanischen Regierung, Übermittlung der Namen an das pakistanische Außenministerium, Unterstützung bei Visaverlängerungen für Pakistan und Notfallkette für die AfghanInnen mit Aufnahmezusage geknüpft, dieses schütze jedoch nicht in jedem Fall vor der Abschiebung. Ein Mitarbeiter der Organisation Kabul Luftbrücke schilderte dem Gericht im Juni 2025 eidesstattlich, was er „bestimmt zehnmal pro Woche“ höre: Die Polizei in Islamabad habe AfghanInnen angehalten und deren Schutzbrief vor ihren Augen zerrissen. Wer nicht mitgenommen werden wolle, zahle Geld an die pakistanischen Polizeibeamten. Pakistanische Behörden sollen auch aus Gästehäusern heraus afghanische Staatsangehörige abgeschoben haben, die unter deutscher Betreuung standen.

Bundesverfassungsgericht verlangt umgehende Visumsentscheidung

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) gab am 4. Dezember 2025 der Verfassungsbeschwerde eines afghanischen Richters, seiner Ehefrau und der vier gemeinsamen Kinder statt. Es verpflichtete die Bundesrepublik Deutschland, umgehend über deren Visaanträge zu entscheiden, weil es für diese Familie „die zunehmende Gefahr der Abschiebung aus Pakistan mit der etwaigen Folge erhöhter Zugriffsmöglichkeiten der Taliban“ sah. Das höchste deutsche Gericht verlangte eine umgehende Entscheidung im Visumsverfahren, überließ die Entscheidung jedoch den zuständigen deutschen Behörden.

Neue Unterstützung der AfghanInnen durch die EKD

Die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) verstärkt die Unterstützung der in Pakistan auf ein Visum wartenden AfghanInnen finanziell, wie Bischof Christian Stäblein, Flüchtlingsbeauftragter der EKD, erklärte: „Wir geben 100.000 Euro aus Kollekten an die Kabul Luftbrücke, um die Klageverfahren der Betroffenen zu unterstützen und ihre humanitäre Versorgung zu sichern.“ Gleichzeitig appellierte Stäblein an die Bundesregierung, „die verbliebenen rund 2000 afghanischen Menschen mit Aufnahmezusage in Sicherheit zu bringen. Deutschlands Verantwortung endet nicht mit dem Truppenabzug, sondern umfasst aus friedensethischer Sicht auch das gerechte Handeln im Nachhinein.“

Bei Abschiebung noch gefährdeter als vorher

Wolfgang Bauer, Redakteur bei der „Zeit“ und Afghanistan-Experte, äußerte im Gespräch mit tuenews INTERNATIONAL, dass die Aufnahmeprogramme für AfghanInnen von Anfang an anders hätten organisiert werden müssen: „Man hätte die Menschen nicht auffordern sollen, nach Pakistan einzureisen, um dann das ganze Verfahren mit hohem menschlichem Leid über zwei Jahre in die Länge zu ziehen. Diese Menschen sind jetzt natürlich besonders exponiert gegenüber den Taliban. Und jetzt lässt man sie aus politischen Gründen hängen, um eine rigidere Migrationspolitik durchzuziehen.“

Damit habe man das genaue Gegenteil von dem erreicht, was man ursprünglich wollte, nämlich sie in Sicherheit zu bringen. „Sie sind jetzt noch gefährdeter als vorher, wenn sie wieder zurück nach Afghanistan müssen. Die Taliban werden sie aus ihrer Sicht als Sicherheitsrisiko betrachten, weil sie ja angaben, Gegner der Taliban zu sein und deswegen nach Deutschland wollten.“ Was das bedeuten kann, habe er bei seinem letzten Afghanistan-Aufenthalt im Juli 2025 selbst erlebt: „Vor meinen Augen wurde mein Übersetzer verhaftet. Dies geschah nicht wegen seiner Tätigkeit für mich, sondern weil er Mitbegründer einer illegalen Schule für Mädchen war. Er wurde aufs wildeste gefoltert, z.B. nackt mit einem Fuß an der Zimmerdecke aufgehängt. Nach drei Tagen konnte er nicht mehr sprechen.“ Im Übrigen seien die Menschen, die sich für die Aufnahmeprogramme beworben hätten – ein Großteil von ihnen Frauen –, die am genauesten geprüften Geflüchteten und stellten kein Sicherheitsrisiko für Deutschland dar. Bauer selbst ist es gelungen, 55 Afghanen, die ihn bei seinen Recherchen in Afghanistan unterstützt hatten, und deren Familien direkt nach Deutschland zu bringen und sie hier als Geflüchtete unterzubringen.

Mehrheit im Bundestag hält an weiterer Einzelfallprüfung fest

Die klare Mehrheit des deutschen Bundestags folgte bei der Abstimmung über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen Empfehlungen des Innenausschusses und des Rechtsausschusses. Die Grünen als Antragsteller forderten, rechtsverbindliche Aufnahmezusagen einzuhalten und verwiesen insbesondere auf die Gefahr einer „Verfolgung durch die Taliban“, wenn Pakistan Betroffene nach Afghanistan abschieben würde. Es sei unwürdig, dass diese Personen ihren Schutz erst mühsam individuell gerichtlich einklagen müssten.

Zu den ablehnenden Fraktionen gehörten die der Regierungskoalition. Die CDU-Fraktion monierte in den Ausschüssen unter anderem, dass die 100 Nichtregierungsorganisationen, die die Vorauswahl der Anträge zusammenstellten, nicht immer rechtssicher vorgegangen seien. Sie verwies weiterhin darauf, dass über vier unterschiedliche Programme bereits 37.000 Personen aus Afghanistan nach Deutschland gekommen seien. Bei 2300 Menschen stehe die Entscheidung noch aus. Diese sei im Einzelfall zu treffen. „Sofern eine verbindliche Aufnahmezusage erteilt worden sei, die Risikoüberprüfung positiv verlaufe, die Identität feststehe und die Personen sich nicht gegen die demokratische Grundordnung stellten oder antisemitisch seien, werde die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gerecht werden“, hieß es in der Stellungnahme der CDU. Die SPD-Fraktion vertrat die Position, dass „nur ein Teil der hier in Rede stehenden Personen … Ortskräfte“ seien. Das Bundesinnenministerium gehe bei der individuellen Prüfung gründlich vor und berücksichtige sowohl die Humanität und die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland, aber auch die berechtigten Sicherheitsinteressen, so die SPD-Fraktion weiter.

tuenews INTERNATIONAL berichtete mehrfach über diese Entwicklungen: tun25040104, tun25082601, tun25090202

Abstimmung im Deutschen Bundestag: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw49-de-afghanen-1128132

Bundestagsdrucksache 21/2159 vom 10.10.2025, Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses: https://dserver.bundestag.de/btd/21/021/2102159.pdf

Bundestagsdrucksache 21/3031 vom 2.12.2025, Antrag mehrerer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 2.12.2025 „Wort halten, Leben schützen – Visa für afghanische Staatsangehörige mit Aufnahmezusage erteilen und gerichtliche Entscheidungen umsetzen“: https://dserver.bundestag.de/btd/21/030/2103031.pdf

Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin: https://gesetze.berlin.de/perma?d=NJRE001613260

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 110/2025 vom 4. Dezember 2025: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/bvg25-110.html?nn=68112

Pressemitteilung der EKD: EKD-Flüchtlingsbeauftragter sagt Schutzsuchenden in Afghanistan Hilfe zu – EKD

Von Michael Seifert und Wolfgang Sannwald