29. April 2025

Aus den Monatsberichten der französischen Kreisgouverneure 1945-47

Auswertung von Wolfgang Sannwald, 1998

KreisA Tübingen KrATue_P12_1998_Persilschein

Zusammengestellt aufgrund der Monatsberichte des Délégué du cercle 1945/1946, früher im AOFAA Colmar, WH C 2967 P 4 29/II.

Ausgewertet wurden die Rubriken – deutsche Verwaltung, – Geisteshaltung, – Politisches Leben. ACHTUNG! Die Übersetzung ist grob und nicht ohne weiteres zitierfähig. W.S.

Die Monatsberichte des französischen Kreisdelegierten beginnen im November 1945.

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Im Zentrum des Interesses der Deutschen standen die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum.

1945 Nov 25. Dem Leiter des Wohnungsamtes fehle es an Energie. Alle Listen für die Gemeinderatskommitees der 54 Kommunen sind geschlossen und werden vom Landrat dem Kreisdelegierten direkt überstellt. Der Landrat hatte Vorschläge zu machen. Dabei stellt der Delegierte Schwierigkeiten bei der Aufstellung dieser Listen fest, unter anderem wegen der „politischen Apathie der Bevölkerung in seiner großen Mehrheit“. Der Kreisdelegierte führte dies eindeutig auf die wirtschaftlichen Sorgen der Leute zurück, „in den ländlichen Gemeinden scheint die Landbevölkerung vielmehr konservativ zu sein und extremistische Theorien zu fürchten. Die Bewohner des Gebietes sind vor allem Schwaben; alles, was nicht originär aus Württemberg kommt, wird als fremdes und zweifelhaftes Element betrachtet. Der normale Tübinger verbindet gern die Idee des Fremden in Württemberg mit jener eines Anhängers der Linken, vielleicht jetzt infolge von Beschwerden der Flüchtlinge und Evakuierten, die eine gewisse Nervosität zeigen und sich gern über den Einheimischen lustig machen, der eine (manchmal verdiente) Reputation von einer Schwere des Geistes hat.“ „Eine Anfrage, eine sozialdemokratische Partei im Kreis zu gründen wurde von Herrn Oskar Trinks, dem Leiter der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Tübingen gestellt. Diese Anfrage wird überprüft und wird dem regionalen Militärgouvernement mit den nötigen Auskünften übermittelt werden.“

Im November stellt der Kreisdelegierte fest, dass zwischen dem neu installierten Staatssekretariat und den Landräten Kommunikationsprobleme existierten. Ein Schreiben vom 30.10.1945 erreichte den Landrat in Tübingen erst am 12. November.

Ein spezielles Kapitel ist dem Erscheinen der deutschen Presse gewidmet. „Das Schwäbische Tagblatt in seiner jetzigen Form ist keine Zeitschrift ‚de classe‘. Sie hat überhaupt nicht das Niveau einer Universitätsstadt, und kann deshalb nicht indirekt die Gefühle der deutschen Bevölkerung im allgemeinen und der gebildeten Schichten im Besonderen nach unseren Vorstellungen beeinflussen. Schließlich müssen wir uns selbst bemühen, um hier das intellektuelle Leben wieder zu etablieren, und unsere Zensur überwacht sämtliche Texte; deshalb sind wir teilweise für die momentane Armut der Tübinger Zeitung verantwortlich.

Dieser Tadel strahlt natürlich auf das Milieu der Kultur, der Universität und der Verwaltung aus. Ich erlaube mir zu bemerken, daß sich dieser mehr an die Redaktion selbst wendet, in der demokratische Gefühle in Gang gekommen sind, als an die Präsentation der Zeitung (obgleich diese sich nicht verbindet mit all den vielen Abstimmungen). Für die Mehrzahl der formulierten Kritiken bemüht sich Kapitän Angel, augenblicklicher Zenseur der Zeitung, gerechterweise, sie mit seinen Mitteln zu heilen. Es könnte vielleicht von Nutzen sein, in der französischen Zone und vor allem in Tübingen ein Äquivalent zum althergebrachten politischen und literarischen Journal, der Frankfurter Zeitung, zu schaffen. Das war auch der Typus der großen Zeitung von internationalem Renommee, dessen Redaktions-Mannschaft (es gab keinen, den man eigentlich als Chefredakteur bezeichnen konnte) ausschließlich von journalistischen Persönlichkeiten besetzt war.

Sicherlich gestatten es die aktuellen Mittel zweifellos nicht, in technischer Hinsicht wie in literarischer Hinsicht, ein Blatt von solchem Format herauszubringen, indessen wäre es vielleicht gut, eine solche Lösung anzuvisieren.“ Der Berichterstatter schlägt vor: Vergrößerung der Mannschaft, Schaffung eines Systems von Rubriken und eines Editorials, Schaffung einer Lokalseite, bessere Gliederung der Präsentation.

1945 Dez 25. Zwei Anfragen um Wiederzulassung der SPD wurden zurückgewiesen. Gemäß der Instruktionen wurden lediglich anti-NS Vereinigungen, die keinen propagandistischen Charakter für diese oder jene Partei haben, zugelassen. Eine dieser Vereinigungen wurde in Mössingen durch den Stadtrat Wandel aus Reutlingen gehalten.

Alle Gemeinderatskommitees sind eingerichtet, jenes von Tübingen wird am 2. Januar 1946 offiziell seine Funktion übernehmen. Einige Dienststellenleiter müssen voraussichtlich ausgewechselt werden, so der Sozialamtsleiter, der zum OB ernannt wurde. Es war auch angestrebt worden, den Chef der Polizei Kammer auszuwechseln. Statt seiner sollte der augenblickliche Leiter des Requisitionsamtes Kittelberger diese Stelle übernehmen. Auf Betreiben der Surete hin wurde dieser Wechsel zurückgestellt.

Die Entnazifizierung der Funktionäre ist nicht vollendet. Verspätungen, die dem Staatssekretariat zuzschreiben sind und über welche die Verwaltungsbehörden des Militärgouvernements auf dem Laufenden gehalten werden, wurden verursacht. Die Liste von Mitgliedern der „Delegation d´Instructions“ wurde von Herrn Brossmann nicht abgeliefert. Das Ende der Entnazifizierung, welches für den 31.12.1945 vorgesehen war, wurde auf ein unverhersagbares Datum hinausgeschoben, trotz der unzähligen Mahnungen, die der Kreisdelegierte gegenüber dem Landrat äußerte, und die der Landrat und das Regionalgouvernement gegenüber dem Staatssekretariat äußerten.

Als neuer OB wird Hartmayer am 2.1.1946 eingesetzt, zu gleicher Zeit tritt das Gemeinderatskommitee erstmals zusammen.

Dörnach. Rücktritt von BM Kümmerle altershalber und Ersetzung durch Gaiser.

Seebronn. Rücktritt von BM Kieferle altershalber. Ihm folgt der Händler Robert Hahn.

Unterjesingen. BM Haug, krank und politisch zweifelhaft, wird durch den Bauer Kaiser ersetzt.

Kiebingen. BM Geiger wurde aus politischen Gründen abgesetzt, er soll durch den Bauern Wittel ersetzt werden.

„Der einzige effektive Propagandaakt war die Rede von General de Gaulle, welche die französische Politik hinsichtlich der Bevölkerung besetzter Gebiete definierte. Diese Rede fand einen beachtlichen Widerhall; General de Gaulle ist der populärste Mann in Deutschland.“

„Die römische Bevölkerung verlangte Brot und Spiele. Die Tübinger Bevölkerung hat Spiele; wenn man ihr Brot geben könnte, und Brot für die Arbeit, wäre die Partie gewonnen.“

Die Bevölkerung sei keineswegs vorbereitet, sich mit Politik zu befassen. Es sei frappant, zu sehen, wie wenige sich mit solchen Fragen befaßten. Es gäbe auch wenige Anfragen um Widerzulassung politischer Parteien: zwei bisher, für die SPD. Sie wurden gemäß den Instruktionen vertagt.

1946 Jan 25. „Alle haben nur eine einzige Beschäftigung: essen, heizen, sich bekleiden. Niemand denkt an ein politisches Leben, und wenige kümmern sich darum, geistige Werte zu erwerben.“

„Keinerlei Feindseligkeit gegenüber Frankreich. Es wäre kindisch, daraus zu schließen, daß diese Feindseligkeit nicht existieren würde. Die Passion der Täuschung, der Geist der Verschleierung, die Begierde zu herrschen, der Geschmack des Blutes, eine gewisse ländliche Mystik sind immer noch stark unter den Deutschen, die um einige Jahrhunderte verspätet im Vergleich mit anderen Ländern von der lateinischen Zivilisation erfüllt wurden. Es ist noch viel zu früh, als daß sich ein Führer erheben könnte, er wird sich aber eines Tages sicherlich erheben. Es bleibt zu wissen, daß er notwendigerweise unser Gegner sein wird.

Im Augenblick wird das nationalsozialistische Regime abgelehnt, nicht so sehr wegen der Doktrin, sondern wegen seines Scheiterns, für das die Deutschen die Führer verantwortlich machen, die nicht erfolgreich waren; in diesem Spiel kein Mitleid für die Verlierer. Dieses Fehlen von Mitleid zeigt sich bei den Zuschauern, die im Kino der Projektion von Nachrichten, welche den Nürnberger Prozeß betreffen, beiwohnen.“

De Gaulle als Ersatzführer

„Der General De Gaulle ist der populärste Mann in Deutschland wegen seines Titels als erster Widerstandskämpfer Frankreichs, wegen der Würde seines Privatlebens, wegen seiner frostigen Energie, wegen seiner Unabhängigkeit hinsichtlich politischer Parteien, wegen seiner Reden, die er während seiner Reise durch die besetzten Gebiete hielt, schließlich (ein nicht zu vernachlässigendes Detail) wegen seiner hohen und noblen Figur.“

Eine weit verbreitete Broschüre „Charles de Gaulle, der Staatsmann“ erzählt die unterschiedlichen Episoden der Befreiung Frankreichs. Diese Broschüre, übrigens gut verfasst, welche die Resistance rühmt, lässt sie nicht einen „de Gaulle allemand“ erstehen?“

Die französische Propaganda ist von einer Schwäche, welche die Deutschen erstaunt; unter dem Vorzeichen der Freiheit lassen wir sie im Leeren, desorientiert; keine (oder wenige) Zeitungen, keine Filme, keine Fotos, ein unzureichendes Radio, keine Plakate. Den Deutschen fehlen Nachrichten, wahre Nachrichten; sie hören nichts als falsche Gerüchte.

Das Centre d`Information von Tübingen, von Melle Martin von der GMRW mit Eifer gegründet, ist von notorischer Dürftigkeit; einige Fotos, mit Reißbrettstiften angeheftet, können den Passanten nicht mehr interessieren, der sie während eines Monats unverändert sieht; dieser ist entzückt zu wissen, daß Melle de Gaulle den Kommandanten de Boissieu geheiratet hat, aber er wäre auch sehr glücklich darüber, Dokumente zu haben, welche die großen internationalen Ereignisse betreffen.

Der Deutsche taumelt unter dem Gewicht der Freiheit, die wir ihm zugestanden haben; er hat die Gewohnheit verloren, für sich zu denken; er hat sie nie vollständig gehabt, er wurde immer dirigiert; er muß einen Lenker haben, ohne den er sich darüber keine Rechenschaft ablegt; das ist eine Frage von Takt und Geschicklichkeit, eine Persönlichkeit oder ein Organismus, so wie das deutsche Staatssekretariat, könnte es diese Aufgabe vielleicht erfüllen?“

Alle würden die französische Okkupation jener der Amerikaner vorziehen, die sie als „Chewing Gum und Dollar“ definieren, und deren brutale Methoden sie abschreckten.

Am 18. Januar 1946 traf sich erstmals die „Délégation d´instruction pour la denazification“.

1946 Jan 25. Immer noch ein Mangel an Interesse für eine deutsche Parteipolitik. Seit den Anfragen der SPD in Tübingen und Hirschau gab es keine weiteren Anfragen um Wiederzulassung.

Einige anti-nazi Versammlungen wurden abgehalten, besonders in Mössingen und in Rottenburg. Stadtrat Wandel aus Reutlingen sprach dabei über Greuel, die in Dachau begangen wurden. Die Konferenzen wurden mit Interesse verfolgt.

Die politische Lage in Frankreich beschäftigt die Mitglieder der lokalen Führungsschichten. Die Furcht vor einer Regierung, die General de Gaulle nicht länger verkörpert, ist sehr klar, weil sie in den Augen dieser Schicht einen kommunistischen Sieg kennzeichnen würde, der ihnen Angst macht, da die Gegend vor allem konservativ ist (Bauern, Ruheständler, ehemalige Professoren etc.)

Nichtsdestoweniger scheint es so, daß die Bevölkerung die französische Besatzung als kleineres Übel vorzieht. Die Franzosen sind Europäer, mit denen man reden kann, und die die Paragraphen von Verordnungen nicht rigide anwenden. Einige Fakten, die sich in der amerikanischen Zone zutrugen, und die bekannt wurden, trugen zur Verfestigung dieser Ansicht bei: in Augsburg wurden 87% der Funktionäre, Direktoren, Händler „épurés“. Das Leben mußte mit 13% der Menschen weitergehen, die mit der Lage auf dem Laufenden waren, und 87% Neuankömmlinge, die zuerst die Fragen studieren mußten. Gleichartig in der Umgebung von Augsburg soll ein Ort zwei Stunden lang im Dezember für öffentliche Plünderung freigegeben worden sein durch Israeliten, die in einem benachbarten Lager kantoniert waren und denen es an Kleidung und Schuhen fehlte.

Die Gemeinderatskommitees sind alle eingerichtet und bei der Arbeit. Das ist eine wertvolle Hilfe für die Bürgermeister, die nicht mehr alleine das ganze Gewicht der Verwaltung der Gemeinde tragen müssen. Andere können gleichfalls ihren Teil der Verantwortung tragen und der Bürgermeister ist nicht länger der kleine Diktator, welcher er bis jetzt sein konnte. Wenn auch in demokratischer Hinsicht die Ernennung der Kommitees statt ihrer Wahl nicht perfekt ist, ist es doch ein sehr großer Fortschritt, der in der Folge von den Einwohnern anerkannt wird, für die die Sache noch ein wenig neu ist.

1946 Feb 23. Wie im Vormonat, die versteckten Begierden aber präzisiert: „… sind noch unter den Jungen von 20 bis 30 Jahren mächtig, vor allem unter den Studenten, zweifellos Rebellen gegen die demokratischen Prinzipien“.

Der Abgang De Gaulles beeindruckte die Deutschen.

Es gibt Gerüchte, daß die Ruhr gegen Württemberg ausgetauscht werden sollte, Entwertung des deutschen Geldes…

„Die französische Propaganda ist immer noch von einer bemerkenswerten Schwäche. Die „médiocrité“ des Schwäbischen Tagblatts ist beunruhigend.“

„Künstlerische und kulturelle französische Veranstaltungen bilden für uns die beste Propaganda in einer Universitätsstadt wie Tübingen.“

Das Wohnungsamt wurde von Kittelberger übernommen, dem früheren Chef des Requisitionsamtes. Sein Vorgänger Huber hat das Requisitionsamt übernommen.

Die Mitglieder der Gemeinderatskommitees wurden meist mit bestimmten Aufgabengebieten betraut.

„Wir selbst sind immer mit der Gliederung und gleichfalls der Repräsentation der Berufe und der Schichten befaßt, insbesondere, was die Räte von Kommunen außer Tübingen betrifft. Die politischen Themen lassen die Menschen hier sehr indifferent und der politische Unterschied der Räte hat momentan keine große Bedeutung aus der Sicht der Dörfler, die es vorziehen, durch einen Bauern, einen der ihren, repräsentiert zu werden, gleichfalls ohne Partei vielmehr, als durch einen Arbeiter, der von einer anderen Region stammt, der aber zu einer Partei gehört und so sehr wie es ihm zusteht.

Die politische Aufteilung ist zur jetzigen Stunde interessant aus statistischer Sicht und gibt einen Überblick über die Stimmung des Landes; aber es wird angebracht sein, dem Faktum Rechnung zu tragen, daß wir keine Listen von Menschen , die an der Basis der Parteien gewählt wurden, aufstellen, sondern daß diese Listen jene Parteien anzeigen, deren Parteimitglieder das Vertrauen der Bauern besitzen.

1946 Feb 23. Antrag der KPD zur Autorisation für Stadt und Kreis Tübingen. Die Autorisation wurde noch nicht erteilt. Die wichtigsten Mitglieder wären Esser, früheres Reichstagsmitglied, krank, fremd im Kreis und vorgeschlagen als einer der führenden Verantwortlichen mehr aus Nächstenliebe als aus einem anderen Grund, Esser wird zweifellos keine große Tätigkeit entfalten; Kammer, Polizeichef, Zeeb, Chef der Kriminalpolizei. Sie sind im Allgemeinen extrem ruhig und „larges d´idées“, und es scheint nicht, daß man große Schwierigkeiten von dieser Partei zu erwarten hat, die, dazuhin, nicht sehr zahlreich sein wird. Ortsgruppen werden zweifellos in Tübingen, Rottenburg, Dusslingen, Mössingen, Öschingen, Bodelshausen, Pliezhausen und Kirchentellinsfurt gebildet. Die beiden letztgenannten Orte sind nämlich von zahlreichen Arbeitern bewohnt, die in Reutlingen arbeiten. Wenn die Partei einige Hundert Mitglieder im Kreis zählt, scheint es, als wäre dies das Maximum (300 ?).

Ihrerseits hat die SPD Anträge für die Ortsgruppen in Tübingen und Dußlingen gestellt. Gleich wie bei der KPD wurde die generelle Autorisation noch nicht erteilt. Die Tübinger Ortsgruppe der SPD wird als führende Mitglieder den BM Hartmayer, Vödisch vom Arbeitsamt haben. Jene in Dußlingen den BM Zahr, der uns sehr vorteilhaft bekannt ist. Diese Partei wird sicherlich viel zahlreicher sein, als jene der Kommunisten, aber es ist schwierig, ihre Bedeutung zahlenmäßig auszudrücken.Sie wird vielleicht in der Stadt wahrnehmbar sein, aber in den Dörfern wird die Mehrheit keine präzise Meinung haben und wird Menschen wählen, die gleichfalls wenig präzise Meinungen vertreten.

„Trotz einiger evidenter Verbesserungen sowohl hinsichtlich der Redaktion als auch der Präsentation der Lokalzeitung ‚Schwäbisches Tagblatt‘, bleibt die öffentliche Meinung ihr gegenüber immer noch sehr hart. Die Mängel haben sich nicht geändert. In den Augen der Mehrheit der Deutschen kann man diese Zeitung nicht anders qualifizieren, als mit dem Wort ‚Käseblättschen‘, noch stärker als unser ‚feuille de chou‘.

Unter 20 befragten Deutschen, 20 Deutsche aus unterschiedlichen Schichten, fanden 16 die Zeitung schlecht, 3 passabel, nur einer gut oder so ungefähr. Es scheint, daß man umgehend eine entschlossene Anstrengung unternehmen muß, um den Beitritt der Mehrheit der Leser zu erreichen.

In allgemeiner Hinsicht wird ihm insbesondere sein Charakter des politischen Propagandisten vorgeworfen. Der Ausdruck des „verkauften Journalisten“ wurde gehört. Der direkte politische Einfluß der Artikel ist praktisch gleich Null. Es scheint, als ob 12 Jahre maßloser nationalsozialistischer Propaganda das Publikum von jeder politischen Diskussion entfremdet haben. Von 20 Deutschen haben 9 bestätigt, diese Art von Artikeln niemals zu lesen, und sieben haben daran nicht mehr als ein sehr mittelmäßiges Interesse, (die 4 anderen lesen sie zweifellos mit Wut).

Fast alle sind erpicht darauf, das zu kennen und zu verstehen, was man ihnen während so vieler Jahre verborgen hat, gieren vor allem mehr nach weltweiten Informationen, mehr nach Artikeln über auswärtige Politik und Wirtschaft über die brennenden Themen der Stunde. Von 20 Deutschen Sprachen sich 5 für ein Blatt aus, wo das Lokale erstrangig sein soll, die 15 anderen verlangten im Gegenteil eine Zeitung, in der man die Welt zittern spüren könnte. Mehrere Deutsche sprachen sich für eine Beteiligung Auswärtiger, von etablierten französischen Journalisten, wie in den amerikanischen und englischen Zonen aus.

Man muß erneut auf die Notwendigkeit einer moderneren Präsentation der Zeitung zurückkommen: bessere Disposition der Texte, häufigere Verwendung romanischer und fetter Buchstaben für die wichtigen Passagen, Vielfalt der Titel, Verwendung fotographischer Klischees. Vielleicht könnte dann das „Schwäbische Tagblatt“ seinen trübseligen und abstoßenden (aspect morne et rébarbatif) Anblick verlieren.

1946 Feb 23. Alle Entnazifizierungsausschüsse arbeiten, außer jenem für Wirtschaft. Es gab Schwierigkeiten wegen Verzögerungen bei der Aufstellung von Unternehmenslisten und wegen der Berufung von Ausschußmitgliedern, da P. Zanker und Joppe wegen ihrer zweifelhaften politischen Vergangenheit nicht akzeptiert werden konnten.

Die Zahl der zu prüfenden Dossieres beläuft sich auf etwa 2200. Ungefähr 1600 davon konnten in einem Monat gesichtet werden. Die Arbeit sollte deshalb vor dem Ende des Monats beendet sein. Praktisch alle Funktionäre, die der NSDAP angehört hatten, würden belangt. Sie müssen mindestens Zurückstufungen bis zu 3 oder 4 Klassen hinnehmen. Die vorgeschlagenen Enthebungen werden wenig zahlreich sein. Es scheint in der Tat im allgemeinen vorzuziehen zu sein, die Menschen unter der Hand zu halten, die man kennt und die gefährlich sein könnten. Es ist auch möglich, ihre Aktivität zu kontrollieren. IN dieser Hinsicht, da im Fall der Deplazierung der Funktionär an dem Ort, wo er eingesetzt wird, unbekannt ist, und man dort schnell vergessen kann, daß er dort aus disziplinarischen Gründen ist. Die Amtsenthebungen sollen vor allem gegen Schulmeister, Professoren usw. angewendet werden, die nicht damit fortfahren dürfen, die Schüler zu unterrichten, die sie bereits kennen.

Die Arbeit hat in Tübingen sehr spät begonnen (die erste Versammlung der ersten Delegation, Justiz, fand am 21. Januar wegen zahlreicher Verzögerungen bei den Übermittlungen statt), die ersten Listen der Vorschläge der Delegationen werden uns sogleich zugestellt. Der Mangel an qualifiziertem Sekretariatspersonal macht sich auch in den deutschen Büros bemerkbar, die versuchen, Hilfskräfte einzustellen, um die Arbeit voranzutreiben.

Die Überprüfung einiger Fälle zieht sich hin, die betroffenen Funktionäre reichen lange Memoiren ein, um sich zu entschuldigen. Die Zahl der Funktionäre hat sich erhöht, und die Arbeit ergab befriedigende Ergebnisse angesichts der Zahl untersuchter Fälle und der Zeit, die diese Überprüfungen gekostet haben. Es ist nicht möglich, zur Stand sehr präzise Angaben zu machen, da alle Listen und Formulare noch nicht reingeschrieben sind. Die Ergebnisse wurden stenographisch von der Sekretärin der Delegation aufgenommen, die sie hinterher übersetzen und kopieren muß. Man kann jene vielleicht schätzen, die keinerlei Sanktion trifft (700-800). Unter den 1500 Verbleibenden kann eine näherungsweise Schätzung 1000 bis 1200 Zurückstufungen ergeben, der Rest sind Suspendierungen, Absetzungen, Versetzungen. Das sind freilich nur Schätzungen, eine genaue Angabe läßt sich erst nach dem Ende der Operation machen.

Die Ämter sind überlastet, vor allem in der Stadt. Die erteilten Befehle werden ohne Schwierigkeiten ausgeführt, allerdings mit weniger Eifer als während der allerersten Monate, als die Diensteifrigkeit Herrin war. Aber wenn ein Befehl gegeben ist, genügend klar und präzise, läßt seine Ausführung nichts vermissen.

Die Absprachen mit der Verwaltung (BM, LR) sind zahlreich und vertraulich, vor allem, da sie in ähnlichen Umständen sich befinden. Die Deutschen hängen in ihrer Position und ihren Interessen von uns a, die wir das klären, was wirklich nützlich ist, oder was nichts anderes, als Obstruktion ist.

1946 Mrz 31. „In der französischen Zone ist man freier, aber man hat nichts zu essen“.

Die Politik gewinnt an Raum. Eine Reihe von örtlichen Versammlungen in den Dörfern, zwei wichtige Versammlungen in Tübingen, eine der SPD, die andere priavt von Abgeordneten künftiger kommunistischer Ortsgruppen im Kreis, um ihr Programm zu verabschieden. Die Parteien gewannen sie viele Mitglieder? Die SPD erreicht 2500 bis 3000, die KPD 300 bis 400.

Hinsichtlich der Wahlen sind die lokalen Meinungen geteilt, der Landrat ist für baldige Wahlen. Er würde dann die Verantwortung dafür verlieren, die Bürgermeister auswählen zu müssen. Der OB meint, daß man nach dem kommenden Jahr nichts tun sollte, weil die Menschen sich noch nicht sehr für diese Fragen interessierten und daß sie in einem Jahr der Freiheit  noch keine Ungezwungenheit und eine Freiheit des Urteilsvermögens wiedergewonnen hätten, die wähend 12 Jahren im Zaum gehalten waren.

Die Deutschen zeigen sich sehr beunruhigt über die politische Situation und befürchten einen neuen Kreig anläßlich der Ereignisse im Iran. Die Diskussionen über die Zukunft Württemberg halten an: die einen behaupten, daß die Amerikaner das ganze Gebiet okkupieren wollen, die anderen versichern im Gegenteil, daß die Franzosen Stuttgart zurückhaben werden. Viele wären darüber froh, weil, wenn wir eine eiserne Hand in einem Velourhandschuh haben, die Amerikaner ihrerseits eine Hand aus Eisen in einem eisernen Handschuh haben, was die Entnazifizierung betrifft.

Der BM von Entringen wird zweifellos durch seinen Sohn ersetzt, weil er nicht alleine zurecht kommt und sich vom alten Bürgermeister helfen läßt, wogegen der Delegierte sich formell ausgesprochen hatte, weil der frühere Bürgermeister aus politischen Gründen abgesetzt worden war.

Der Landrat würde gerne verlangen, daß die Bms und die Mitglieder der Gemeinderatskommitees einer Wahl unterzogen würden und nicht einer Designation von Amts wegen. Es ist tatsächlich wahrscheinlich, daß sich die Menschen viel leichter Maßnahmen unterwerfen würden, die Menschen erlassen haben, welche sie selbst gewählt haben.

Die Vorschläge der Untersuchungsausschüsse der Entnazifizierung sind an uns gelangt und wurden alle an das regionale Militärgouvernement weitergereicht außer jenen der PTT, die zahlreich und schwierig zu bewerten sind.

Maßnahmen würden erst nach definitiver Entscheidung ergriffen werden.

1946 Mrz. IV. Das politische Leben erwacht ganz sanft. Einige Propaganda-Veranstaltungen hielt die SPD, in Tübingen unter anderem unter Vorsitz des Staatssekretärs Schmid, in Pfrondorf, in Kirchentellinsfurt, in Hirschau.

Die KPD hat kaum offiziell Versammlungen versucht, eine davon am 31. März waqr für die künftigen Delegierten der künftigen Kreisverbandes reserviert. Eine öffentliche Versammlung, die am Sonntag davor in Bodelshausen geplant war, wurde verboten, da die Partei noch nicht die offizielle Erlaubnis zu Bestehen hatte. Mittlerweile ist diese Autorisation erscheinen und den Anträgen wird zugestimmt werden.

Das Kommissariat der Sureté wird durch unsere Sorgfalt im Voraus über die Veranstaltungstermine informiert, so, daß es Spitzel dorthin schicken kann.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist sehr konservativ in der Gegend. Es ist möglich, daß die Landbevölkerung nicht freiwillig einer linken Partei beitreten und daß sie sich fast alle ungefähr als parteilos bezeichnen.

1946 Mrz. Es gibt keinen Zweifel, daß sich die Deutschen mit Zeitschriften aus der amerikanischen Zone versorgen. Einige bringen sie z.B. von Stuttgart mit und leihen sie unter ihren Freunden aus. Am beliebtesten sind die Stuttgarter Zeitung und die Neue Zeitung aus München. Man findet darin viel mehr Ideen, mehr Informationen und sie zeigen sich weniger unbeweglich in ihrer Propaganda. Es besteht andererseits die starke Möglichkeit, daß die Deutschen in der amerikanischen Zone gerade gegensätzlicher Meinung sind, weil mir berichtet worden ist, daß man dort freiwillig unsere Zeitungen liest.

Man muß feststellen, daß der Vorwurf des Mangels an Objektivität unserer journalistischen Propaganda sich wahrheitsgemäß nicht gegen uns richtet. Die Mehrzahl der Deutschen geniert sich nicht zu sagen, daß wir im Grunde genommen keine Propaganda haben (zumindest in dem Sinn, wie sie ihn verstehen). Sie geben zu, daß unsere übliche Toleranz uns dazu veranlaßt hat, die Rolle des Propagandisten Persönlichkeiten zu übertragen, denen wir vertrauen und bei denen wir und darauf beschränken, sie zu kontrollieren.

Sie sagen, das war das beste Mittel, weil die Parteilichkeit erneut in unseren Zeitungen regiere. Diese Extremisten redigieren genau das Gegenteil von dem, was die anderen Extremisten früher redigierten.

Nach einer Untersuchung, die wir durchgeführt haben, glauben wir, daß der am wenigsten gelesene Teil der Lokalzeitung das politische Editorial der ersten Seite ist. (Die meisten Menschen zeigen dafür kein Interesse oder tun so, als würden sie dafür kein Interesse zeigen) um so mehr, als die reinen Nachrichten am meisten beliebt sind. Die Deutschen belegen einen wirklichen Durst nach allgemeinen Informationen.

So weit es die Papierversorgung erlaubt, ist es unverzichtbar, die Deutschen mit dem zu versorgen, was diesen Informationsdurst stillt. „Gebt uns Zeitungen, Zeitschriften, Bücher!“ fordern fast alle. Man erstaunt über das Fortdauern bestimmter Nazi-Ideologien, bestimmter totalitärer Gedanken. Aber was haben wir unsererseits anderes getan, um sie zu bekämpfen, außer mit den Waffen, in geistiger Hinsicht, in moralischer Hinsicht. Es reicht nicht aus, zu sagen: ihr hattet unrecht, wir müssen beweisen können, daß wir recht haben. Die reine und einfache militärische Gewalt ist zum Glück nicht unser einziges Argument, aber wenn wir nichts oder wenig bringen, werden einige sagen: „ihr habt zerstört, aber ihr habt nichts gebracht, um zu ersetzen“.

„Militärisch stark, ja! Aber auch geistig stark!“

1946 Apr. Der geistige Zustand der Deutschen ist derselbe, d.h. passsives Gepräge, Ungewißheit über die Zukunft, politische Verwirrung, keine Chefs um sie zu führen, keine Ideen um sie zu entflammen.

Es liegt an uns, sie zu orientieren; es scheint nicht, daß wir dazu die Mittel haben, da unsere Propaganda schwach ist.

Verschiedene Persönlichkeiten drückten gegenüber dem Delegierten ihre Ablehnung eines Tausches in die amerikanische Zone aus.

Am Montag, dem 15. April, waren die 54 Bürgermeister des Kreises im Tübinger Rathaus versammelt, um vom Landrat Instruktionen über die Lage der Flüchtlinge, die Requisitionen, die Versorgung, die Steuern, das Standesamt zu erhalten. Ich war am Beginn der Sitzung anwesend. Der Landrat hielt eine Ansprache, während der er ausführte: „Ich kann ihnen versichern, daß wir unsere Pflichten gegenüber dem Militärgouvernement kennen und daß wir uns darum bemühen, sie mit Loyalität zu erfüllen, und ich bitte sie zu glauben, daß dies kein Verstoß gegen den guten Willen ist, wenn alles nicht gemacht worden wäre, wie es gekommen ist; der Grund dafür war in jedem Fall alleine die großen Schwierigkeiten, die sich stellten, vielleicht war das auch unserem Ungeschick zuzuschieben.  (75)

Der Landrat kommandiert unseren Kreis energisch. Der Tübinger OB, am 1. Januar ernannt, verwaltet die Stadt recht zufriedenstellend, beweist gegenüber alten Nazis eine anerkennenswerte Strenge, indem er ihre Häuser requiriert und sie zwingt, an Sonntagen bei Terrassierungsarbeiten zu arbeiten. (75)

1946 Mai. Die deutsche Verwaltung organisiert sich trotz den Schwierigkeiten, die durch die Dauer der Entnazifizierung hervorgerufen werden.

Immer mehr erstreckt sich die Rolle des Kreiskommandanten auf die Form einer Kontrolle. Der Kurier der Delegation ist sehr deutlich erleichtert. (85)

1946 Mai. Stand der deutschen Gesinnung. Die Sanktionen, die gegen die Stadt infolge des Raubes von drei Fahnen verhängt wurden, hatten erfreuliche Auswirkungen.

1. Sie bewiesen, daß unsere Besatzung, wenn sie human war, sich stramm und gerecht zeigen kann.

2. Die Nazis fürchten, daß sie einen Großteil der Sanktionen tragen müssen; sie erklären, daß, wenn man sie für schuldig befinde, man ihnen Gerechtigkeit geschehen lassen solle.

3. Die Bevölkerung hat verstanden, daß neue Zwischenfälle viel schwerer Sanktionen nach sich ziehen würden.

4. Gerüchte über die Identität der Schuldigen machten die Runde; man beschuldigte marokkanische Soldaten, Polen, Litauer denen man den Zugang zur Universität versagt hatte. Diese Gerüchte hatten kein anderes Ziel, als die Aufmerksamkeit von den wahren Schuldigen abzulenken, die vermutlich sehr junge Deutsche sind.

OB Hartmayer hat mit die Gefahr von Wahlen zu verstehen gegeben. Jene, die, wie er, mit Freimut mit den Franzosen gearbeitet haben, würden nicht wiedergewählt; sie würden ersetzt durch andere, mit denen wir sicherlich viel größere Schwierigkeiten hätten. Staatssekretär Schmidt, Landrat Renner teilen diese Ansicht.

Ich würde ehrlicherweise H. Hartmyer bedauern, einen ehrenhaften, integren, offenherzigen Mann, der sein Leben als Arbeiter in Tübingen begann, der eine demokratische politische Vergangenheit hat, der schließlich große Autorität unter der Bevölkerung genießt. (85)

Die Bevölkerung zeigt keinerlei politische Aktivität. In Tübingen beispielsweise zählt man gerade 150 bis 200 CDU-Mitglieder, gleichviele der SPD, 100 der KPD, wobei die letztgenannte Partei die größten Aktivitäten zeigt. (85)

1946 Jun. Wiederholt die zweifellos rebellische Einstellung unter den Studenten gegen die Prinzipien der Demokratie. (97)

Die Bevölkerung interessiert sich weiterhin nicht für politische Fragen. Insbesondere die Vorbereitung von Wahl-Listen spielt sich in aller Stille ab. Diese ist insbesondere in Tübingen an der Arbeit, das Datum des 12. Juli wird schwerlich respektiert werden.

Die Aktivität politischer Parteien manifestierte sich während des Monats durch mehrere Versammlungen; die KPD zeigte sich aktiv. Freilich kerinerlei Fieber, keine Passion. (97)

Die mögliche Gründung einer neuen politischen separatistischen Schwaben-Partei, die die Bildung einer Republik Schwaben unter französischem Protektorat anvisiert, scheint bewundernswerterweise den französischen politischen Ansichten zu dienen. Man darf erwarten, daß diese Partei autorisiert wird; vielleicht geschieht es, daß sie ausreichend Mitglieder anzieht, nicht so sehr, weil sie sich von Preußen trennen will oder vom Rest Deutschlands, oder weil sie sich unter französisches Protektorat stellen will, als vielmehr weil die örtliche Bevölkerung regionalistisch ist und weil ihr eine regionalistische Partei gefallen könnte. (96)

1946 Jun. Das Ende des Monats April trafen die Stadt Tübingen relativ strenge Sanktionen, die sich auf einen Monat verteilten. Diese Sanktionen waren im Schwäbischen Tagblatt veröffentlicht worden und begleitet durch einen Beschluß des Stadtrats und durch ein vom BM inspiriertes Kommunique. Sie wurden von einem Großteil der Bevölkerung anerkannt, die sie für gerecht hielten. Sie dienten als Verwarnung, unter dem Druck viel härterer Sanktionen im Falle neuer Zwischenfälle. Sie wurden loyal exekutiert, die Fahnen wurden am vorgeschriebenen Datum ausgeliefert. Die Nazi-Garde am Eingang der Kirche versah ihren Dienst korrekt und war nicht das Objekt irgendeiner Kundgebung. Heißt das, daß sich keine anderen Zwischenfälle ereignet hätten? Keineswegs. Man kann lediglich sagen, daß dies der erste ernsthafte seit 1 Jahr der Okkupation war. Aber es ist evident, daß die Deutschen, augenblicklich ohne Führer, ohne Ideal, sich ratlos fühlen. Sie erwarten die Gelegenheit, ihren Patriotismus und ihren Haß gegen den Besatzer zu manifestieren. Dieser Patriotismus, dieser Stolz auf die Größe Deutschlands hält an. Der Haß gegen den Besatzer mehrt sich, er wird sichtbar in der Arroganz und in der Disziplinlosigkeit einiger, wenn es gilt , Befehle auszuführen, zum Beispiel Mobiliarrequisitionen oder Personalrequisitionen. (98)

1946 Jul. Die Formel: Die Deutschen verwalten, die Franzosen kontrollieren“, wird effektiv. Der Delegué und die Dienststellenleiter sind nicht mehr ans Büro und ans Telefon gefesselt, sie können im Kreis herumreisen, Kontakt mit den Bms aufnehmen, den Unternehmern industrieller Firmen, den Bauern, den Schulleitern, den Pastoren und Priestern. (102)

1946 Jul. Die Probleme der Versorgung, des Wohnungswesens und der Arbeiten um die Gebäude instandzusetzen machen sich in allen Bereichen spürbar: die Ämter des Bürgermeisteramtes oder des Landrats sind durch diese Fragen überlastet, welche die Bevölkerung ernsthaft beunruhigen. Diese versteht nicht ausreichend warum, in einem reichen Land, die Rationen nicht weiter erhöht sind und würden gerne die Saarländer vor Hunger sterben lassen, um ein bißchen mehr Fett zu bekommen. (106)

1946 Jul. Die Ämter des Landratsamtes sind auf der Höhe. Der Landrat hat seine Bürgermeister in der Hand. Er freut sich auf die bevorstehenden Kommunalwahlen, die ihn von den Sorgen befreien, Gemeinderäte und Bürgermeister aussuchen zu müssen. Die „Querelen der Deutschen“, der Dörfler mit ihren Bürgermeistern sind bisweilen spaßig, aber sie komplizieren sehr wohl die Situation, die Designation eines BM, der nicht von allen Einwohnern einer Dorfes getragen wird. Die Gegner bemächtigen sich sofort aller Sorten unkontrollierbaren Klatsches und man kommt schließlich dazu, sich zu fragen, ob der Alte nicht dem neuen vorzuziehen war. Wahlen wären ein großer Fortschritt. (106)

1946 Jul. Politisches Leben. Alleine die KPD ist aktiv: sie begehrt, die Rolle der Hefe im Teig zu spielen, obwohl sie minimale Resultate erwartet. Die CDU ist sehr diskret, sie scheint Angst davor zu haben, daß man von ihr sprechen könnte, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; weil sie nicht sehr gut weiß, wohin sie geht, zieht sie es vor, möglichen Anhängern nicht viel erklären zu müssen. Die SPD wäre zahlenmäßig und als organisierte Partei die wichtigste Partei. Sie erscheint ziemlich gemäßigt und geht mit einem weinenden Auge, mehr oder weniger für Tübingen, eine Allianz mit den Kommunisten ein. (108)

Was die Wahlen betrifft, werden die Fristen respektiert, trotz anfänglicher Verspätungen in Tübingen-Stadt, die sofort behoben werden konnten. Ungefähr 70 Prozent der Wähler ließen sich einschreiben. Die Streichungen wurden ordnungsgemäß ausgeführt, aber die kommunalen Kommitees forderten in einigen Kommunen eine große Zahl von Wiedereintragungen, denen oft zugestimmt wurde. (108)

1946 Jul. Die Bevölkerung bleibt friedlich. Kein schwerer Zwischenfall. Keine Kundgebung. Freilich ohne Zeichen von Feindseligkeiten zu geben, setzt sie nicht mehr jenes Vertrauen in Frankreich, das sie vielleicht bereit war, ihm anfangs entgegenzubringen. Die Gründe für dieses Mißfallen enstpringen der Schwäche Frankreichs, eine wirtschaftliche und finanzielle Wiederankurbelung in Gang zu setzen, den Schwarzmarkt und die Unmoral zu unterbinden, von seiner Unfähigkeit, eine Verfassung zu erlassen, schließlich und vor allem die Meinungsverschiedenheiten mit seinen Alliierten über die Fragen der Ruhr, der Saar, der ökonomischen und politischen Zentralisierung Deutschlands. (109)

Der Besuch von General König gab der Tübinger Bevölkerung Gelegenheit, nicht etwa, sich einem delirischen Enthusiasmus hinzugeben – was weder seinem geistigen Zustand noch seinem Charakter entsprochen hätte – sondern ein Benehmen anzunehmen, die es bei diesem Besuch erlaubte, daß er in einer würdigen Atmosphäe ablief und ohne Zwischenfall. (109)

Die Deutschen sind beunruhigt über ihr Schicksal.Sie folgen aufmerksam den Debatten auf der Pariser Konferenz. Die einen sehnen ein Bündnis unter den Alliierten herbei, die die Hoffnung auf eine Ära des Friedens erlauben würde, die anderen sehen in der Unmöglichkeit Lösungen zustande zu bringen Möglichkeiten wenn nicht der Rache, so mindestens des Profits. (109)

Freilich grenzt für alle die Furcht eine Besatzung des Landes durch die Russen, infolge eines Krieges zwischen Angelsachsen und Russen, an Panik.

Trotz der Politik, die die Russen gegenüber Deutschland ausüben: zentralisierter Staat, Ruhr und Saar nicht losgelöst, Teilung der Gebiete… machen sich die Württemberger keinerlei Illusion über die Gefahren eines russischen Vorrangs… (110)

1946 Jul. Funktionäre der deutschen Verwaltung. Es sei vorauszusehen, daß bei den Wahlen einige Personen, die mit vielen augenblicklichen Schwierigkeiten und unpopulären Maßnahmen zurechtkommen müßten, nicht wiedergewählt würden. (111)

Der größte Teil ist sozialdemokratisch orientiert, die anderen Parteien halten sich wohl zurück, Verantwortung zu übernehmen. Sie wollen sich jungfräulich ohne allen Verdacht der Kollaboration vor den Wählern präsentieren. (111)

Sofern alles Resultate der Entnazifizierung bekannt sind, muß man neue Funktionäre rekrutieren. Das wird nicht ohne Schwierigkeiten gehen, obwohl man sie unter den Kriegsverwundeten finden kann, die zu physischer Arbeit unfähig sind. (111)

1946 Jul. Politik. KPD sehr aktiv, SPD aktiv, CDU – eine Partei im Schlaf, die schwäbisch-alemannische Bewegung formiert sich. Die KPD hat Ortsgruppen in Tübingen, Rottenburg, Pliezhausen, Mössingen, Bodelshausen, zählt ungefähr 150 Mitglieder, hat aber aktive Führer, vor allem Zeeb von Tübingen, Brossat, Dannhauser. Die Zahl der Veranstaltungen umfaßt ungefähr drei pro Woche, von 100 Zuhörern in Rottenburg und Tübingen bis 0 in Öschingen, wo die Versammlung wegen der Zuhörer abgesagt wurde. (112)

1946 Jul. Die SPD ist aktiv, sie zählt die meisten Ortsgruppen in Tübingen, Dußlingen, Mössingen, Kirchentellinsfurt, Pfrondorf, Rottenburg, Hirschau, Bodelshausen, Ofterdingen, Hagelloch, Pliezhausen. Hält relativ wenig regelmäßige Versammlungen im Verhältnis zur Zahl der Ortsgruppen ab. Die Redner sind vor allem Karrer, Vorsitzender der Ortsgruppe Tübingen, Frankc, Bürgermeister von Hirschau, und Drunsel, Generalsekretär der Partei. Gleichfalls bei besonderen Gelegenheiten Staatsrat Dr. Karl Schmid. (112)

1946 Jul. Die CDU hat keine Partei daß der Name die Tatsache ist, daß sie einen Vorsitzenden hat, oder kann, wenn man muß. Sie scheint weder festes Bureau, noch Lokal, noch vor allem ein gut definiertes Programm zu haben. Der Vorsitzende Krauss ist von Beruf Schneider, und Schneider vor allem, wie er selbst sagt. Er akzeptierte die Position, weil niemand anders wollte, oder nicht konnte… Sie wird trotzdem Anhänger haben, vor allem unter jenen, die gegen eine Sache wählen wollen, Kommunismus oder Sozialismus. (113)

1946 Jul. Die Wahlen werden gerne von den Schichten gesehen, die daran Interesse haben, Landratsamt, Bürgermeisteramt, aktive Mitglieder der Parteien. Der Rest der Bevölkerung ist daran mehr oder weniger uninteressiert. Trotzdem haben sich die Wähler in ziemlich großer Anzahl einschreiben lassen (70% in Tübingen). Unter insgesamt 28000 eingeschriebenen Wählern, wurden ungefähr 750 von der Liste gestrichen… (113)

1946 Aug. Die Tübinger Bevölkerung protestiert gegen die politische Tendenz des Schwäbischen Tagblatts, indem sie meint, daß diese Zeitung parteilichkeit zeige, indem es mit Gefälligkeit die sowjetischen Thesen internationaler Politik herausstellt und die französischen oder angelsächsischen verkleinert. (123)

1946 Aug. Deutsche Verwaltung. Die Vorbereitung der Wahlen spielt sich in aller Stille, um nicht zu sagen in Gleichgültigkeit ab. Die Tätigkeiten vor den Wahlen fanden termingerecht und gemäß den festgelegten Bedinungen statt.  Die Versammlungen sind zahlreich. Die CDU zeigt einige Aktivität, freilich ohne ein gut definiertes Programm und qualifizierte Redner zu haben. Die KPD greift die SPD heftig an, vor allem Dr. Schmid, Vorsitzender des Staatsrats, und schont demgegenüber die CDU. Die KPD versucht, die alten Nazis anzuziehen, indem sie ihnen ein Regime der Ordnung verspricht und indem sie ihren Straffreiheit zusichert. Professor Peter von der Universität, früheres Mitglied der NSDAP blieb gleichermaßen an der KPD haften. Ein Medizinstudent, Reifenberg, der sich ehemaliger Legionär nennt, früher bei der 2. Division Blindee engagiert, macht eine aktive Propaganda im Studentenmilieu zugunsten der KPD. Die CDU freut sich über Erfolge der Christdemokraten in Frankreich und in Italien. Sie zählt auf die weiblichen Stimmen, um die Mehrheit der Stimmen zu erhalten. (124)

Hier die Voraussagen, für die Zahl der Stimmen jeder Partei:

CDU 45%;     SPD 30%;      KPD 15%;           Demokraten 5%;   Diverse 5%

Diese Zahlen beziehen sich auf den Kreis. Es ist klar, daß der Anteil der CDU-Stimmen in Rottenburg viel stärker sein wird, im Gegensatz dazu weniger hoch in Tübingen und Mössingen. (125)

Liste von Ortsgruppen der Parteien (126f.)

1946 Sep. Leichte Krise der öffentlichen Meinung wegen der Requisitionen und der Ernährungslage.

Schwierigkeiten beim Passieren der Zonengranze. Der Württemberger sei sehr familiär und habe die Angewohnheit, bei allen möglichen Gelegenheiten seine Eltern zu treffen. Vor allem die Amerikaner würden scharf kontrollieren, was den Franzosen zugute komme.

Die Deutschen staunten über die Jugendlichen Truppen, die mit General Montsabert kamen. „Sie verglichen unsere Truppen während des Vorbeimarsches immer mit der Wehrmacht; das war häufig nicht zu unserem Vorteil.“ (137)

1946 Sep. Das politische Leben wird völlig von den Wahlen beherrscht. Wir haben diese Angelegenheit in Kapitel 1, 2. Sektion behandelt. (138)

1946 Okt. Landrat Renner hat seinen Stellvertreter Dr. Koebel verloren, der zur Justiz wechselte. Dr. heuer ist sein Nachfolger, er war BM von Pfrondorf, er hat sich sehr gut aufs Laufende gebracht und mit Erfolg die beachtliche Schwierigketi der Wahlen hinter sich gebracht. Das muß zu seiner Ehre gesagt werden. (141)

Gemäß den Versprechungen, die ihm bei seinem Eintritt in die Funktion als Landrat gemacht worden waren, mußte Landrat Renner offiziell bei der Justiz belassen werden und erhält dort den Posten des Landgerichtspräsidenten. Er wurde in Hechingen nominiert; aus persönlichen Gründen konnte er in diese Stadt nicht wieder gehen oder, vielmehr, das Gericht würde vielleicht aus ökonomischen Gründen aufgehoben werden. (141)

Man hatte ihm das Landgericht Tübingen in Aussicht gestellt, wo sich die Nachfolge des Präsidenten Schiele abzeichnete. Schiele scheint nicht bereit zu sehen, zu gehen; mehr noch, Capitaine Ebert ist absolut dagegen, daß Renner den Tübinger Posten einnimmt. Seine Verwaltungs- und politische Aktivität seien riskant, seine Unparteilichkeit beeinträchtigt zu haben. Renner wird deshalb Landrat bleiben.

Sein möglicher Nachfolger wäre Zahr (SPD gewesen, früherer BM von Dußlingen, fast ohne Gegenstimmen in seiner Gemeinde wiedergewählt.

1946 Okt. Die Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen sind eine Erleichterung für den Landrat, der nicht mehr die Verantwortung für die Einsetzung der kommissarischen Funktionäre trägt. Aber die Wahlen haben bestätigt, daß die von uns eingesetzten Bürgermeister das Vertrauen ihrer Mitgbürger hatten. (142)

1946 Okt. Die Monate August, September und Oktober wurden durch die Wahlen und ihre Vorbereitung gekennzeichnet. Zahlreiche Versammlungen wurden abgehalten. Die Genehmigung, die kürzlich der DVP erteilt wurde, erlaubte es ihr nicht, einen flächendeckenden Wahlkampf zu führen. Sie begnügte sich mit der Stadt Tübingen, wo sie einen hübschen Erfolg errang (7 Sitze von 24), dank der Zusammenstellung ihrer Liste, die ausschließlich gestandene Tübinger enthielt. (143)

Im folgenden gesellte sich der Bürgermeister von Bebenhausen Volle, vom Untersuchungsausschuß für die Entnazifizierung getroffen, dann wiedereingesetzt, zu dieser Partei. Das ist der einzige Bürgermeister im Kreis, der darin Mitglied ist. Es nützt nichts, auf die Erfolge, welche die CDU errang, zurückzukommen und auf die Zahl der Unabhängigen. Die SPD machte taktische Fehler und wählte ihre Kandidaten bei den Gemeinderatswahlen nicht immer besonders glücklich. Für die Wahlen zur Kreisversammlung hat ihr ihre Liste erlaubt, Kandidaten durchzubringen (so, wie alle anderen Parteien), die geschlagen worden wären, wenn sie nicht an der Spitze der Liste gestanden hätten. (143)

Es ist die SPD, in jedem Fall, die am wenigstens neue Stimmen bei den Wahlen zur Kreisversammlung gesammelte hat. (143)

Die CDU führt gerade eine Kampagne gegen die SPD, vor allem gegen Dr. Schmid, „Spielzeug in den Händen der Franzosen“, hört man den Dr. Weiss sagen. Die CDU glaubt, daß ihr die Plätze wieder zukommen und daß die Mitglieder der SPD ihre Zeit gehabt haben. (144)

Der relative Erfolg der Kommunisten ist dem persönlichen Einfluß von Zeeb, dem großen Animateur der KPD zuzuschreiben. Diese Partei, und Zeeb persönlich, gaben nicht immer Zeugnis von einer insgesamt guten Glaubwürdigkeit, indem sie die Posten, die ihnen in der Stadtverwaltung angeboten worden waren, ablehnten, sich im Nachhinein in der Presse darüber beklagten, daß der KPD keinerlei Posten zugeteilt worden sei, indem sie, wie es scheint, eine Richtigstellung durch eine Bekanntgabe des Bürgermeisters zurückwiesen… Wir sind in diesen Fragen nicht eingeschritten, da wir dachten, sie seien eine rein deutsche Angelegenheit. (144)

Die Wahlbeteiligung für die Kreisversammlung war sehr schwach (57,55% der Wahlberechtigten für den Kreis). Diese Versammlung interessiert das Leben in den Dörfern nicht direkt, und dort, wo kein Kandidat besonders und persönlich bekannt war, interessierten sich die Wähler dafür gar nicht (z.B. Kilchberg, 24,78% der Wahlberechtigten). (144)

1946 Okt. Es gibt keinerlei Zweifel daran, daß die Deutschen dabei sind, zum großen Teil zu vergessen, daß sie den Krieg verloren und bedigungslos kapituliert haben. Ein bißchen mehr und man muß sich dafür entschuldigen, gekommen zu sein. Trotzdem kann man nicht sagen, daß die öffentliche Meinung schlecht ist. Die in der amerikanischen Zone verteilten Nahrungsmittel werden hier beneidet; Milchpulver, Eipulver, Weißmehrl, Fisch, Ananassaft oder Grapefruitsaft. Aber die Menschen in der amerikanischen Zone beneiden die relative Freiheit, welche die Leute in der französischen Zone genießen… und sie wenden sich vom Grapefruitsaft ab, „der nicht gesüßt ist“. (145)

1946 Okt. In Tübingen wurde der Chef des Wohnungsamtes Kittelberger durch einen früheren Hotelier der Stadt, Max Kübler, ersetzt. (148)

Die personellen Veränderungen in der Verwaltung infolge der Entnazifizierung machen sich kaum bemerkbar. Man hat noch überhaupt nichts wegen dieses Faktums registrieren müssen. (148)

Die Funktionäre scheinen pünktlich zu arbeiten und sind von Papieren überschwemmt. Einige französische Fragebogen (ich will nicht anführen, daß der letzte Fragebogen des geographischen Dienstes, der eine komplette Darstellung des ganzen Kreises verlangt, detaillierte Wirtschaft, Produktion und Tonnage, Wälder, Flüsse, Stadtpläne mit allen offiziellen Gebäuden, Abwasserkanäle (mit Fotos wenn möglich), Anzahl der Klärgruben….) Wochen von Arbeit bedeuten, die Mobilisierung eines gesamten Personals, und vermutlich unter einem Stapel von Berichten verschwinden, wo sie letztendlich vergraben werden (in dreifacher französischer und dreifacher deutscher Ausfertigung „um die Übersetzungsfehler zu korrigieren“!). (148)

1946 Okt. Kapitel VIII, Politik. Wir haben in unserem Oktoberbericht von 1945 ausgedrückt: „… In strikter politischer Sicht sympathisiert die große Mehrheit des Gebietes nicht mit dem Kommunismus und klagt mitunter die Franzosen wegen einer zu großen Schwäche gegenüber diesen Ideen an“ und, weiter unten, „… die Einrichtung von Gemeinderatskommitees wird Anzeichen für das Interesse geben, welche die Bevölkerung politischen und lokalen Fragen entgegenbringt“.

Der durchlaufene Weg in einem Jahr ist beachtlich. Die Gemeinderatskommitees vom Oktober 1945 wurden eingerichtet. Ein Jahr später konnte man sie wählen. All das geschah ordnungsgemäß mit 82% Wahlbeteiligung. Es paßt im Gegenteil, den letzten Teil des Satzes zu korrigieren. Es hätte nicht heißen müssen: „Das Interesse, das politischen Fragen entgegengebracht wird, selbst lokalen“, sondern richtig: „selbst nicht lokalen“. Die bemerkenswerte Differenz der Nichtwahlbeteiligten zwischen den Gemeinderatswahlen und jenen zum Kreistag (17,54% gegen 42,47%) beweist, daß die Politik alleine im lokalen Bereich bis zur Gegenwart die Wähler aus ihrer politischen Schläfrigkeit wecken konnte, und daß diese nicht mehr länger in der Lage sind, sie in die Hand zu nehmen gemäß demokratischen Gewohnheiten , die sie für ihr Land bestimmen. Die kleinen Kirchturmgeschichten sind viel wichtiger als das allgemeine Interesse… (149)

Nachdem die Wahlen beendet sind, ist es möglich, aus ihnen eindeutige Lehren zu ziehen. Man muß aber zuvor die wichtigsten Resultate resümieren. (149)

Bürgermeisterwahl: Bürgermeister, welche die französische Macht eingesetzt oder akzeptiert hatte: 33 gewählt, 3 geschlagen. Neue als Ersatz für solche, die nicht mehr angetreten waren: 5. Der Dußlinger Bürgermeister Zahr nahm seine Wahl noch nicht an (gemahnt, dies zu tun) 1. Gewählt als Ersatz für entnazifizierte (bereits provisorisch ersetzt) 11. Neuer Posten zu besetzen (bisher hatte derselbe Bürgermeister beide Posten in Dettingen und Weiler innegehabt): 1. Summe 54.

Politische Zugehörigkeit der Bürgermeister: SPD 1 (eventuell 2, wenn der Dußlinger Bürgermeister seine Wahl annimmt), CDU 4, DVP 1, Unabhängige 48.

9 entnazifizierte und unwählbare Bürgermeister erhielten die Mehrheit der Stimmen ihrer Gemeinde. Drei von ihnen ließ der Kommissar für die Entnazifizierung durchkommen: Volle in Bebenhausen (DVP), Junger in Stockach, Holocher in Wendelsheim (beide unabhängig).

Ersatz wurde für die 6 anderen gewählt. Es gibt keine kommissarischen Bürgermeister. (150)

1946 Okt. Gemeinderatswahlen. Eingeschrieben: 47921, Wähler: 39518, 17,54% Wahlenthaltungen. Summe der präsentierten Listen: 82; KPD 7, SPD 9, CDU 11, DVP 1, Unabhängige 53, Panaschiert KPD/SPD 1. Zu verteilende Sitze: 352, darin die Stadt Tübingen enthalten: Tübingen 24, Rottenburg 10, Kirchentellinsfurt 8, Mössingen 8, Dusslingen 8, 49 andere Kommunen jeweils 6, insgesamt 294. (151)

1946 Okt. Sitzverteilung bei den Gemeinderatswahlen: KPD 8 (5,58%), SPD 24 (12,99%), CDU 55 (21,95%), DVP 7 (7,48%), Unabhängige 258 (45,32%). Ungültige Stimmen 6,26%. (151)

1946 Okt. Wahlen zum Tübinger Stadtrat. Eingeschrieben 15819, Wähler 12814, 19% Enthaltungen. 5 Listen von KPD; SPD, CDU, DVP, Unabhängigen. 24 Sitze zu vereilen: KPD 2 (8,93%), SPD 6 (22,5%), CDU 8 (31,02%), DVP 7 (24,28%), Unabhängige 1 (7,5%), ungültig 5,74%. (152)

1946 Okt. Kreistagswahlen. Eingeschrieben 48080, Wähler 27665, 42,47% Enthaltungen. 4 Listen KPD, SPD, CDU, DVP. 26 Sitze zu verteilen: KPD 3 (11,67%), SPD 5 (19,66%), CDU 14 (50,84%), DVP 4 (15,48%), ungültig 2,32%. (153)

Die Abwesenheit der Liste der Unabhängigen zwang eine viel größere Zahl von Wählern, für Parteilisten zu stimmen. Viele dieser Wähler enthielten sich einfach und simpel. Man könnte gemäß der folgenden Aufstellung die Unabhängigen auf 17909 schätzen… Es gab folgllich 9 bis 10000 Unabhängige, die sich nicht für eine Partei entscheiden konnten.

Vergleich zwischen Gemeinde- und Kreiswahlen: Die SPD behielt ihre Wählerzahl, KPD und DVP gewannen jeweils etwa 1000 Stimmen, die CDU 6500, 12000 weniger gingen zur Wahl. (154)

1946 Okt. Politische Einschätzung des Kreisdelegierten: KPD 7%, SPD 11%, CDU 29%, DVP 9%, Unabhängige 37%. (155)

1946 Okt. Kreistag. Bei 26 Sitzen: KPD 3 (6,72% der Stimmen, 11,53% der Sitze), SPD 5 (11,31% der Stimmen, 19,23% der Sitze), CDU 14 (29,25% der Stimmen, 53,84% der Sitze), DVP 4 (15,38% der Stimmen, 15,38% der Sitze). Die Sache ist so frappant, weil sie die absolute Mehrheit der CDU gegeben hat, die in Wirklichkeit nicht mehr als ein Drittel der Stimmen erreicht hat. Die SPD profitiert am wenigsten von diesem Stand der Dinge. (156)

1946 Okt. Der Delegierte zieht folgende Schlüsse:

a) Viel größeres Desinteresse an den Wahlen im Vergleich zu den Gemeinderats- oder Bürgermeisterwahlen. (Pures kommunales Interesse).

b) Durch Wahlenthaltungen verfälschte Resultate, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, daß die Rangfolge der Parteien die gleiche bleiben würde, wenn es mehr Wähler gegeben hätte: 1. CDU, 2. SPD, 3. DVP, 4. KPD. (156)

1946 Okt. Kreiswahlen. Das Spiel des Wahlgesetztes macht folgende Anmerkungen nötig: alle Parteien sammelten eine Anzahl von nichtpanaschierten Stimmen, die höher als 50% der für die Partei abgegebenen Listen lagen, die Gewählten wurden gemäß ihrer Reihenfolge auf der Kandidatenliste ihrer Partei gewählt, und nicht gemäß der parteiintern erhaltenen Stimmen. Die Gewählten wären sehr häufig andere gewesen, wenn die Abstimmung aufgrund der Stimmenmehrheit erfolgt wäre. Z.B. wäre bei den Kommunisten außer Zeeb und Stotz sowie Maier statt Blessing gewählt worden. Die SPD hätte zwar Renner und Strohm, nicht aber Carlo Schmid , F. Schmid und Roser durchgebracht, stattdessen Hartmeyer, Zahr und Karrer. Bei der CDU wären Heusel, Binder, Kemmler, Niethammer, Kirn, Theurer, Eitle, Stoll und Maier durchgekommen, nicht aber der zweitplazierte Schneider (23.) und vier weitere, statt deren Schwartz, Schweickert, Kern, Schumacher und Jäger. Bei der DVP wären außer dem klar erstplazierten Erbe Kaiser, Kocher und Käser nicht gewählt worden, sondern Grauer, Schweickhardt und Volle. (157)

1946 Okt. Der Delegierte stellt fest, daß durch das Wahlsystem häufig nicht jene gewählt werden, die die Wähler gerne als ihre Vertreter hätten. Als frappanteste Fälle nennt er: Erna Blessing von der KPD, obwohl nur 25. unter 26 Positionen anhand der Stimmen, erhielt sie den dritten Sitz ihrer Partei. Von der SPD wären weder Staatsrat Schmid noch Landesdirektor Dr. Roser gewählt worden. (158)

1946 Okt. Man kann aus den unterschiedlichen Wahlresultaten schließen:

a) die von uns eingesetzten Bürgermeister entsprechend zum großen Teil den Wünschen ihrer Verwalteten.

b) die Wahlen über jenen der Kommunen lassen die Wähler indifferent.

c) 9 bis 10000 Wähler von 48000 Eingeschriebenen können sich für keine Partei entscheiden.

d) im Kreis Tübingen hat die CDU eine starke Mehrheit.

e) in der Stadt Tübingen ist die Zahl der von den Parteien erzielten Stimmen sehr viel größer als im Kreis und die politische Unabhängigkeit der Wähler scheint hier viel größer zu sein. (158)

1946 Nov. Man wirft dem Staatssekretariat vor, 1200 Angestellte zu beschäftigen, und nicht 900 wie es Herr Schmid erklärt hat; ist die Zahl der Angestellten zu hoch? Die Deutschen antworten, daß sie nötig ist, um das Land zu verwalten und um den zahlreichen Anforderungen des Militärgouvernements gerecht zu werden. (162)

1946 Nov. Rede von Präsident Schmid vor der Beratenden Versammlung. Diese Rede ist sehr geschickt; sie antwortet auf Kritiken, deren Gegenstand Schmid ist; er hätte bei der Bevölkerung nicht so viel Erfolg, wenn sich nicht das regionale Militärgouvernement der Rundfunkübertragung widersetzt hätte. (163)

1946 Nov. Gründe für die schlechte Stimmungslage. (164)

1946 Dez. Politik. Das politische Leben ist verlangsamt. Die Wahlen sind vorbei und die Aktivität der Parteien lassen das spüren. Einige Versammlungen finden statt, selten und mit einiger Gleichgültigkeit.

Nach dem Hinweis eines qualifizierten deutschen Beobachters, sind der politische Sinn und das Interesse der Deutschen überhaupt nicht weiter entwickelt außer bei einem kleinen Kreis bekannter Propagandisten. Die Mehrheit der Menschen findet nach wie vor keinerlei Geschmack daran und die abgegebenen Stimmen bei den Wahlen entsprechen weniger einem Votum zugunsten einer Partei,… als zugunsten einer persönlichen Bekanntschaft oder einer vagen Idee, die mehr als eine andere vage Idee gefällt. (177)

Alle Parteien machten ihre Propaganda ungefähr auf derselben Basis: Versorgung, Wohnung, Zukunft Deutschlands… Wie soll man sich zwischen so gleichartigen Versprechungen entscheiden. Man weiß vor allem, gegen wen man sein muß, aber wenn das einmal festgelegt ist, weiß man nicht mehr ausreichend, welche andere Partei wählen und man folgt der Mehrheit der Leute. (177)

Ende November fand eine Wahl statt, jene des Nachfolgers von Zahr in Dusslingen. Zahr war im ersten Durchgang von einer großen Mehrheit gewählt worden, er hatte seine Wahl nicht angenommen in Voraussicht seiner Designation als Landrat. (177)

Der neue Gewählte Frey gehört keiner Partei an und hat den Ruf eines würdigen Mannes, der eine schwierige Gemeinde wie die seine verwalten könnte. Die Vorfälle in Dusslingen haben seine Aufgaben von Anfang an nicht erleichtert. (177)

1946 Dez. Besonders die Vorfälle in Dusslingen, die eine gewisse Erregung im Steinlachtal (Dusslingen, Mössingen, Nehren, Tahein) hervorgerufen haben, wo sie waren, wohlgemerkt, waren blitzschnell bekannt und deformiert, die Bevölkerung ist friedlich. Eine der ersten Gesten des Vertreters von Landrat Renner, Zahr, bestand darin, die Ruhe wieder herzustellen. In Nehren hielt er ein Treffen ab, um die Dinge auf den Punkt zu bringen und die Meinung zu beruhigen. Sein pfiffiger gesunder Menschenverstand und seine Leutseligkeit erlaubten es ihm, in diesen Operationen recht erfolgreich zu sein. (179)

1946 Dez. In politischer Hinsicht völlige Ruhe. Die Politik ist der großen Masse völlig gleichgültig. Der Einfluß der Kirche machte sich seit den Wahlen bemerkbar. Wie uns kürzlich einer unserer Beobachter sagte: „Geistliche kommandieren“. (179)

Die CDU wird sicherlich von ihren Vorteilen profitieren, die anderen Parteien mucken auf, das wird vielleicht ein bißchen Belebung bringen.

Die Entnazifizierung wird in einer sehr generellen Art kritisiert, es scheint vor allem, daß man sie nicht für unparteiisch hält und daß die Leute den Eindruck haben, einem Richter ausgeliefert zu sein, gegen den sie sich nicht verteidigen können. Die Entscheidungen seien manchmal sehr unterschiedlich bei den unterschiedlichen Kommissionen, es fehle eine Einheitlichkeit und Strafen aufgrund präziser Vorgaben (die es unmöglich zu haben gibt, weil der subjektive Teil immer viel größer ist, als der objektive Teil bei den zu fällenden Entscheidungen); aber eine ungeschickte Entnazifizierung würde Wasser auf die Mühlen der Nazis oder einer Art von anarchistischen Fraktion gießen. (180)

1946 Dez. Deutsche Verwaltung. Die Verwaltung der Stadt ist gut versehen, in der Hand gehalten durch einen Bürgermeister, der seine Beamten kennt, der seine Amtsleiter im allgemeinen gut gewählt hat, der sich aber manchmal durch Detailfragen überborden läßt, die sein gutes Herz oder seine Finesse verhindern, sie von Untergebenen behandeln zu lassen. Er nimmt sich freiwillig Fragen an, die keine Bedeutung für die Verwaltung haben, die ihn aber als einen guten und genereusen Menschen würdigen lassen können; Er befaßt sich gleichermaßen damit, selbst Fragen zu regeln, … (184)

1946 Dez. Was das Landratsamt betrifft, ist die Situation weniger klar: zu häufige Wechsel von leitendem Personal: im Oktober der Vertreter des Landrats Dr. Koebel, der von seiner ursprünglichen Verwaltung zurückgeholt wurde, der Justiz; sein Ersatz Dr. heuer sollte als Vertreter von Kalbfell in Reutlingen designiert werden; ein neuer Vertreter ist dabei, sich aufs Laufende zu bringen, Dr. Lehmann. (185)

Renner hatte sein Personal gut in der Hand; gewisse Schwankungen gibt es zur gegenwärtigen Stunde infolge dieser Personalwechsel, die in naher Zukunft auf ein striktes Minimum reduziert werden sollten, im Interesse der Wohlfahrt des Kreises. (185)

1947 Jan. Am 25.1.1947 wurde der neue Landrat eingesetzt, der frühere Dußlinger Bürgermeister Hermann Zahr. Er war während der Okkupation als Bürgermeister eingesetzt worden, um den früheren Bürgermeister Zenth, Mitglied der Partei und Propagandaleiter, zu ersetzen. Zahr war vom ersten Armee-Kommandanten in Dußlingen vorgeschlagen und vom Militärgouverneur eingesetzt worden. Die Tatsache, daß er kein „Schwabe“ ist, war ihm vorgeworfen worden, um so mehr, als er sich früher mit Theaterfragen befaßt hatte. Er ist „beau-parleur“, erwidert prompt und hat eine gewisse Finesse. „Er wird diese nicht gegen uns richten, wie wir hoffen.“ Die Gespräche mit ihm bezeichnet der Kreisgouverneur als „bonms“. Sie würden leicht bleiben, wenn man ihm ein „attentives“ Vertrauen entgegenbringe. (186)

1947 Jan. Die Stellvertreter des Landrats waren Dr. Heuer, Verwaltungsbeamter und früherer einige Monate lang Bürgermeister von Pfrondorf, „jeune, actif et und peu brouillon. Bien au courant, n´a jamais été l´objet d´observation ou de critiques dans ses rapports avec nous“. Dr. Lehmann war neu hinzugekommen. Er wird als klug bezeichnet, er ziehe es vor, die Anweisung des Gouvernements bei Angelegenheiten seines Ressorts einzuholen, bevor er eine Entscheidung treffe. „C´est und tendance a encourager, sie elle n´entre pas dans le détail de questions peu importantes“. (186)

1947 Jan. Die im September gewählten Bürgermeister stellten den Gouverneur im allgemeinen zufrieden. Nicht alle seien „d´un tempérament administratif“, aber sie würden in ihren Tätigkeiten durch die Verwaltungsaktuare des Landratsamtes unterstützt. (187)

1947 Jan. Vie politique. Die Aktivitäten der Parteien hätten sich verlangsamt.

1947 Jan. Die KPD veranstaltete eine Reihe von politischen Kursen unter der Verantwortlichkeit von Reifenberg. Er übermittelte sein Programm dem GM, das zu keinerlei Aufmerksamkeit Anlaß gab. Reifenberg war autorisiert worden, eine Reise nach Paris zu unternehmen. Einige lächerliche Zwischenfälle hinterließen unglücklicherweise ihre Spuren bei ihm (ungeschickte Beschattung, Diebstahl seines Koffers), es wurde aber nichts Unnormales in politischer Hinsicht gemeldet. (195)

1947 Jan. Das politische Leben der Gemeinden verstärkt sich. Einige Versammlungen, Bodelshausen (SPD Redner Dr. Karl Schmid), Tübingen, Mössingen. Die Mehrheit der Bevölkerung interessiert sich weiterhin nicht für Politik, insofern, als das, was sie interessiere, die für Deutschland bestimmte Zukunft sei und es sei der Glaube, extremistische Parteien als Steuerhebel zu sehen. (195)

1947 Jan. Hinsichtlich der Lebensmittelversorgung sei die die folgende kleine Anekdote zur Zeit verbreitet: „Hitler lebt. Aber, weil er Flüchtling in der französischen Zone ist, braucht man keinerlei Befürchtung zu haben – er wird dort sehr schnell vor Hunger sterben!“ Diese Geschichte soll ihren Ursprung in der amerikanischen Zone, in Stuttgart gehabt haben. (195)

1947 Jan. Die politischen Parteien hätten keinerlei Propagandainstrumente, sie würden alle dasselbe verheißen, Entnazifizierung – verbesserte Nahrungsversorgung – Wiederaufbau. Weil ein Teil dieser Elemente nicht in ihren Händen liegt, sondern von alliierter Kontrolle abängt, haben sie leichtes Spiel, Berge und Wunder zu versprechen und anschließend nichts von ihren Versprechen halten zu können. Viele Menschen sind nicht düpiert, und das ist zweifellos einer der zahlreichen Gründe für den allgemeinen Mangel an politischem Interesse. Man muß dem den Glauben einiger hinzufügen, warum sie in eine Partei eintreten. Sie sagen sich: „vielleicht müssen wir in einigen Jahren vor einer Säuberungskommission auftreten, weil wir zur KPD oder CDU gehört haben – enthalten wir uns“. Die Zahl der Bürgermeister, die einer Partei angehören, bezeugen diese Geisteshaltung – von 54 gehören 4 zur CDU, 1 zur SPD, 1 zur DVP, der nicht sicher zu dieser Partei gehört, einmal erklärt er, Mitglied zu sein, ein anderes Mal erklärt er sich für unabhängig. (196f.)

1947 Jan. Die Zahl der Bürgermeister, die einer Partei angehören, bezeugen diese Geisteshaltung – von 54 gehören 4 zur CDU, 1 zur SPD, 1 zur DVP, der nicht sicher zu dieser Partei gehört, einmal erklärt er, Mitglied zu sein, ein anderes Mal erklärt er sich für unabhängig. Es handelt sich um Volle in Bebenhausen, kleiner Mensch, völlig inoffensiv, Chef einer ganz kleinen Kommune, der die Besonderheit hat, bisweilen das festgelegte Kontingent für die Ablieferung von Milch zu überschreiten. Volle müßte entnazifiziert werden, aber im Einverständnis mit der Säuberungskommission konnte er auf seinem Platz gehalten werden. Wir gratulieren uns dazu. (195f.)

1947 Jan. Die Vorsitzenden der unterschiedlichen Parteien, die verantwortlich für den Kreis sind, sind weder der eine noch der andere sehr mit der Lage ihrer unterschiedlichen Ortsgruppen vertraut. Die CDU, die eine modelhafte Organisation haben müßte, rangiert hinter den anderen. Es war Kraus bisher nicht möglich, uns eine Übersicht über alle seine Ortsgruppen zu geben, die das Datum der Gründung und die Zahl der Mitglieder beinhalten sollte. Wenn die anderen Parteidelegierten eine Liste der Eintragungen liefern konnten, besonders die Zahl der Mitglieder, konnten sie nur ungefähre Gründungsdaten liefern.  (Es folgt eine Aufstellung der Ortsgruppen) (197)

1947 Feb. Hugo Schneider, BM von Rottenburg, wurde zum Landrat in Horb ernannt. Er wurde durch Herrn Joseph Schneider ersetzt, ein notorischer Anti-Nazi, früherer Bürgermeister, und der die Funktionen eines Bischöflichen Oberfinanzrats innehatte (Finanzberater des Bischofs). Herr Joseph Schneider hat nur den Titel eines kommissarischen Bürgermeisters, sechs Wochen nach seiner Nomination sollten Wahlen stattfinden. (207)

1947 Feb. Die politische Aktivität, außer jener der KPD, war während dieses Monats sehr verlangsamt. Die KPD organisierte 15 Versammlungen im Kreis, versammelte insgesamt 720 Zuhörer. Die CDU organisierte 2 nicht publizierte Versammlungen mit 125 Zuhörern. Die DVP organisierte 1 Mitgliederversammlung mit 30 Zuhörern. Die SPD organisierte 2 Mitgliederversammlungen mit 120 Zuhörern. (208)

1947 Feb. Die KPD die von der Unzufriedenheit profitiert, die von den Kampagnen für die Agrarpolitik des Staatssekretärs Weiss hervorgerufen wird, hat eine ausgedehnte Propagandaaktion gegen die CDU unter der Landbevölkerung veranstaltet. Die Themen der Versammlungen drehen sich alle um die Lebensmittelversorgung, die Schließung der Mühlen, die Agrarreformen etc… Die Zahl der Gehilfen ist in ziemlich deutlichem Anstieg, und zeigt das Interesse, welches Bauern diesen Fragen entgegenbringen. (208)

1947 Feb. Die SPD hat gerade ihr Leitungskommitee reorganisiert und strengt sich an, Mitglieder unter den Frauen zu gewinnen. Seine Aktivität bleibt deshalb sehr eingeschränkt und beschränkt sich auf die Vorbereitung des Kongresses, der in Reutlingen am 22 und 23. Februar stattfinden wird. Der politische Einfluß des Führers Kurt Schumacher ist gering. Es scheint, daß K. Schmid wegen ihm ein bißchen eifersüchtig ist und daß er versucht, den Schwerpunkt der sozialistischen Partei, der sich zur Zeit in Hannover und Hamburg befindet, nach Süden zu verlegen. (209)

1947 Feb. Die DVP zieht sich auf ihre politische Tradition zurück und zeigt keinerlei Aktivität. Ihre Verantwortlichkeit dafür liegt bei der Senilität ihrer Führer. (H. Wirthle ist fast 75 Jahr alt und H. Erbe 65). Diese Partei hat folglich große Chancen die protestantischen Stimmen der CDU zu gewinnen, infolge des Unterschieds, der gerade Katholiken und Protestanten hinsichtlich der Frage über die Konfessionsschule immer trennt. (209)

1947 Feb. Die CDU befindet sich noch immer im Zustand der internen Reorganisation. Ihre Führer verteidigen sich (im übrigen sehr schlecht) dagegen, für die Agrarpolitik von Dr. Weiss verantwortlich zu sein. Es steht außer Zweifel, daß die CDU eine große Zahl Wähler bei den Kampagnen infolge der Zwangsmaßnahmen, die gegen die Bauern angewendet wurden, verloren hat. Eine gewisse Vertrauenskrise beherrscht nebenbei bemerkt die lokalen „idiles“ der CDU und die Vertreter dieser Partei im Staassekretariat. Die Herren Krauss und Schneider werfen ihnen vor, ihre Zustimmung zur Nomination von Zahr als Landrat des Kreises gegeben zu haben, da sie selbst einen anderen Kandidaten gehabt hatten, Herrn Joseph Schneider (von Rottenburg), derselbe, der kürzlich zum kommissarischen Bürgermeister nominiert worden war. Die Jugendbewegung der CDU, die „Junge Union“ hat sich im Lauf des Monats entwickelt und umfaßt momentan etwa 30 junge Menschen von 20 bis 35 Jahren, fast alle Studenten an der Universität. Diese sehr aktive Gruppe wird durch die Abwesenheit einer spezifischen CDU-Zeitung behindert. Der Antrag der Autorisation, der vor mehr als zwei Monaten bei der Délégation Supérieure gestellt worden war, blieb ohne Antwort, was wohlverstanden die Junge Union ermutigt, zu glauben, daß das Militärgouvernment nur die sozialistischen oder kommunistischen Bewegungen unterstützt. Das Projekt einer Konstitution, die Herr Bock präsentiert hatte, wurde von den Deputierten der CDU zurückgewiesen, die ihm seine mangelnde Klarheit und seine Längen vorwarfen. Ein anderes Projekt des Professors Niethammer, gleichfalls von der CDU, wurde von dieser Partei befürwortet. Professor Niethammer machte darin einige sehr formelle Konzessionen über das Schulsystem, indem er vorschlug: „die gemischte christliche Schule, auf dem konfessionellen System basierend“, was heißt, daß die Schulen selbst interkonfessionell sein könnten, wenn die Eltern der Schüler es verlangten, daß aber die Lehrer, die dort unterrichteten, unterschiedliche Normalschulen für jede Konfession passieren mußten. Es ist wahrscheinlich, daß dieses Projekt nicht so akzeptiert werden wird wie von den anderen Parteien, und weitere lange Diskussionen in der konstitutionellen Versammlung hervorrufen wird. (209f.)

1947 Feb. Hugo Schneider, Bürgermeister von Rottenburg, wird Landrat in Horb. Joseph Schneider wird kommissarischer Bürgermeister in Rottenburg. Euer und Lehmann werden Beisitzer von Landrat Zahr. (213)

1947 Mrz. Wegen der Entnazifizierungen hat die deutsche Verwaltungen gewisse Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden. Am 23.3.47 fanden Bürgermeisterwahlen in Rottenburg statt. Einziger Kandidat war der kommissarische Bürgermeister Joseph Schneider, der von 2576 gültigen Stimmen 2555 erhielt. Die Bürgermeisterwahl in Bodelshausen wegen des Rücktritts des bisherigen Bürgermeisters wird am 27.4. stattfinden. Mittlerweile vertritt Franz Schmid die Stelle, Vorsitzender der SPD im Kreis und Kreistagsmitglied. Der BM von Hirschau erklärte seinen Rücktritt, Schneider übernahm provisorisch seine Funktionen. (219)

1947 Mrz. In der verfassunggebenden Landesversammlung ist die Spaltung zwischen der CDU und den übrigen Parteien total. Die CDU hat ihr Projekt der Délégation Supérieure präsentiert. Das Manöver ist geschickt. Im Falle der Zurückweisung des Projekts durch das GM wird uns die CDU verantwortlich machen sowohl für alle Fehler einer neuen Verfassung als auch für unsere Einmischung in ein demokratisches Regime. Die Ausarbeitung der Verfassung hat das Interesse für politische Fragen geweckt. Die Tatsache ist spärbar im intellektuellen Milieu in Tübingen. Die Studenten, die sich jeder Politik enthielten diskutieren leidenschaftlich das Projekt Niethammer, sie sind dort übrigens im allgemeinen feindselig, die föderalistische Idee verliert an Boden zugunsten des Unitarismus. (237)

1947 Apr. Die politische Säuberung hat große Lücken in den Rängen der deutschen Verwaltung gerissen. Es ist schwierig, sie zu füllen. (247)

1947 Apr. Am 23.3. war Joseph Schneider, Mitglied der CDU, zum Bürgermeister von Rottenburg gewählt worden. Der Hirschauer Bürgermeister, Herr Latus, trat zurück, Schneider übernimmt provisorisch seine Funktionen, Wahlen sollen am 29.4. stattfinden. (248)

1947 Apr. Die Maßnahmen der politischen Säuberung in Verwaltung und Wirtschaft sind ziemlich weit fortgeschritten, um die Weite der Entnazifizierung beurteilen zu können. Es fehlt nicht an Kritik: einige beurteilen die Entscheidungen als zu leicht hinsichtlich notorischer Nazis, im Gegensatz dazu meinen andere daß eine große Nachsicht gewichtige politische Konsequenzen haben würde. Letztere vertreten die These (discutable), daß es besser wäre, einen alten Nazi zu benutzen und zu überwachen, als ihn in die heimliche Opposition zu treiben. (248)

1947 Apr. Die Ausarbeitung einer Verfassung hat das Interesse für politische Fragen geweckt. Alle Schichten, besonders aber das intellektuelle Milieu  verfolgten die Debatten, welche die unterschiedlichen Parteien geführt hatten… (252)

1947 Mai. Bei den Landtagswahlen bezahlte die SPD nach Auffassung des Kreisdelegierten teuer für ihre loyale Zusammenarbeit mit dem GM. (273)

W. Sannwald (Hg.), Monatsberichte des französischen Kreisgouverneurs 1945-47, COLMARWH.DOC 09.04.1996, 30