28. September 2025

Erlebte Dinge

von Wolfgang Sannwald

Diese Texte sind 1993 und 1994 entstanden. Sie sind veröffentlicht in: Wolfgang Sannwald: Schiefertafel, Gasmaske und Petticoat: Erlebte Dinge und Erinnerungen aus dem Landkreis Tübingen. Ein Quellen- und Lesebuch zur persönlich erlebten Geschichte im 20. Jahrhundert, Gomaringen 1994.

Merkwürdig, wie in einer alten Karbidlampe plötzlich Leben aufflackert. Gleich einem Schlüssel öffnet sie die Geheimtür in eine vergangene Zeit, beschwört 70 Jahre alte Erinnerungen herauf: frühmorgendliche Radfahrten in den 20 Kilometer entfernten Textilbetrieb; späte Heimkehr mit anschließender Feldarbeit; Taglöhne, die gerade für eine Bahnfahrt ausgereicht hätten; das Vesper aus Most und Brot mit Blutwurst. Abenteuerlich, wenn die alte Funzel das Ende einer Spazierfahrt heraufbeschwört: erst im Freilauf den Berg hinab, dann zwischen zwei Frauen hindurch, einen Regenschirm mitgerissen, Sicht behindert, dann in einer Holzbeige endend.

„Erlebte Dinge“ sind Gegenstände, die Erinnerungen an vergangene Zeiten und Erlebnisse ins Gedächtnis rufen. Der Landkreis Tübingen veranstaltete in Zusammenarbeit mit seinen Kommunen 1993 und 1994 eine Wanderausstellung, die unter diesem Titel etwa 3000 Exponate zur Schau stellte. Das Konzentrat dieser Erinnerungsstücke zwischen Albrand und Schönbuch liegt nun gedruckt vor. Für das Buch wurden etwa 200 besonders spannende und interessante Stücke ausgewählt, abgebildet und mit ihrer Geschichte verbunden. „Erlebte Dinge“ stammen vor allem von den Umbrüchen in der Lebens­geschichte Einzelner. Diese Brüche können einerseits biographisch be­dingt sein wie Konfirmation, Schul­abschluß oder Hochzeit. Sie sind aber auch häufig identisch mit jenen der „großen“ Geschichte, mit Infla­tion, Krieg, NS-Regime, Besat­zungszeit, Wiederaufbau. Bei Zeit­genossen hinterließen diese histori­schen Ereignisse nachhaltige Ein­drücke. Ihre Erinnerungsstücke daran bewahren viele auf. Sie sind einem denkbaren Lebenslauf entsprechend geordnet, von der Kindheit, der Schulzeit, Berufs- und Alltagserfahrungen, über Kriegs- und Fluchterlebnisse bis hin zur Besatzungs- und Nachkriegszeit. So entsteht ein bunter Geschichtsreigen, der Schlaglichter auf die Ge­schichte des 20. Jahrhunderts wirft, wie sie die Bewohner des Landkreises erlebt haben. Freilich handelt es sich dabei wirklich nur um Schlaglichter, der Anspruch dieses Buches ist nicht, die Geschichte des 20. Jahrhunderts für den Landkreis darzustellen. Das Buch ist insofern Quellensammlung, Bilderbuch und Lesebuch einer Geschichte von unten in einem. Historisch informativ, interessant, mitunter spannend und nachdenklich taugt es zum Schauen und Schmökern gleichzeitig. Es kann bei Älteren einen Spaziergang in die eigene Vergangenheit anregen, Jüngeren bei der Annäherung an vergangene Zeiten und ihre Großeltern behilflich sein. Außerdem ist das Buch auch so konzipiert, daß es aus der Erfahrung des Ausstellungsprojektes gewonnene Anleitungen zur Erinnerungsarbeit mit Älteren und zu Begegnungen der Generationen gibt.

Zahlen

Etwa 13000 Besucher besuchten die Ausstellung in den 23 Wochen, wäh­rend denen sie von Oktober 1993 bis Dezember 1994 – in Detten­hausen, Ku­sterdingen, Mössingen, Kirchentel­linsfurt, Gomaringen, Bo­delshau­sen und Hirrlingen aufgebaut war. Etwa 400 Ältere stellten 3000 Erinnerungsstücke zur Verfügung. Ein Dutzend Altenclubs und 20 Schulklassen beteiligten sich an dem Projekt. In elf Kartons und auf 100 Stunden Tonbandmitschnitt sind die gesammelten Erinnerungen im Kreisarchiv für die Nachwelt doku­mentiert.

Der Weg ist ein Ziel

Wel­che Prozesse abliefen, als Ältere und Schüler die Erinnerungsschau für einzelne Orte vorbereiteten, hat große Bedeu­tung, mindestens so große, wie die Präsen­tation im vorliegenden Buch selbst.

Vernetzung

Das Ausstellungsprojekt „Erlebte Dinge“ ist ein Modell für die Vernet­zung, welche sich der Landkreis Tübingen in seiner Kulturkonzeption zum Ziel gesetzt hat. Gemeinden, Alten­clubs, Schulklassen, Schulen und historische Vereine haben dafür Hand in Hand gearbeitet. Über 90 Prozent der 300 bis 500 in jeder Gemeinde ausgestellten Gegen­stände brachten die Beteiligten im­mer zusammen. Von der Anzahl der Exponate her würde dies mancherorts schon für ein eigenes kleines Heimatmuseum reichen.

Ein Zugang zur Ge­schichte

„Mir hat die Ausstellung so gut gefal­len, weil ich daran mitge­macht ha­be“, notierte ein Schüler ins Stamm­buch der Ausstellung. Nicht nur ihn scheint das Ausstellungsprojekt für die Vergan­genheit interessiert zu haben. Ge­spannt hörten Schüler den Erzäh­lungen Älterer zu, erfuhren, wie sich die „große“ Geschichte in ihrer enge­ren Lebenswelt, ja, auf ihre eigenen Großeltern, auswirkte. Einen spiele­rischen Zugang fanden einige Kin­der, wenn sie in historischen Moden­schauen auf dem Laufsteg standen, an alten Geräten kurbelten, oder beim Ausstellungs­aufbau Hand an­legten.

Erinnerungsarbeit Älterer

Ob es sich um einen in Kriegsgefan­genschaft aus Blech geschnittenen Kamm handelt, um einen Schlüssel­bund aus dem in Ostpreußen zu­rückgelassenen Haus, um den von der Front geschickten Lederhand­schuh eines Gefallenen, die unter Lebensgefahr entschärfte Mine oder den Brief aus einem Konzentrations­lager. Der Krieg und das NS-Regime haben wie wenige andere Ereignisse ihre Spuren hinterlassen. Und es scheint bei den Älteren ein Bedürfnis danach zu geben, gerade diese Zeit aufzuarbeiten.

Aus einem Dutzend Altenclubs stellten insgesamt etwa 400 Ältere aus dem ganzen Kreisgebiet ihre Gegenstände und Erinner­ungen für die Ausstellung zur Verfügung. Im Gegenzug bot ihnen das Projekt Anlaß, sich mit der eigenen – mitun­ter vielleicht unverdauten – Vergan­genheit zu befassen. Ihre Erinnerun­gen waren plötzlich interessant und wertvoll – für die Mitarbeiter des Kreisarchivs, für die Schüler, für die Ausstellungs­besucher, für die Leser dieses Buches, für die Nachwelt. „Erinnern schmerzt und befreit“ kommentierte die Leiterin ei­nes Altenclubs Prozesse, die da­durch bei manchen in Gang kamen.

Generationendialog

Jung und alt bereiteten die Aus­stel­lungen gemeinsam vor. Schü­ler mußten als Hausaufgabe „erlebte Dinge“ und die zugehöri­gen Erinne­rungen von ihren Großeltern mitbrin­gen. Wie Rück­fragen zeigten, ließen sich viele Schüler bei dieser Gele­genheit erst­mals aus der Lebensge­schichte ihrer Großeltern erzählen. Be­gegnungen der Generationen fanden dar­überhinaus immer wieder statt, wenn Klassen in die Altenclubs kamen. Dort setzten sich ge­mischte Gruppen von jung und alt zusam­men. Schüler frag­ten dann nach den Geschichten jener Erin­nerungs­stücke, die Älte­re mitge­bracht hatten oder nach bestimmten Themen. Andererseits wollten auch die Älteren von den Schülern einiges wissen, so daß manche Klasse dazu angeregt wurde, ihre eigene Ausstellung mit ihren eigenen Erinnerungsstücken zu gestalten und diese der Kreisausstellung anzugliedern. „Ich habe gelernt, daß alte Menschen ganz nett sind“, steht im Bericht ei­ner Viertklässlerin.

Historische Informationen

Das Kreisarchiv begann das Projekt „Erlebte Dinge“, weil es Lebenserin­nerungen als Quellen für die Ge­schichte des 20. Jahr­hun­derts ge­winnen wollte. Ge­spräche zwischen jung und alt sowie Zeitzeugen­inter­views wur­den auf Tonband aufge­zeichnet, später transkribiert und ausgewer­tet. Ältere lieferten Tage­bücher, Briefe und Dokumente so­wie biographische Notizen ab. Auf diese Weise ist eine umfangreiche Doku­mentation zur lokalen Ge­schichte zustandege­kommen. Mit den Menschen, die ihre Erlebnisse erzählen kön­nen, drohen diese In­formationen verlorenzugehen.

Die Ausstellung

Textkärtchen erzählen

In der Ausstellung übernahmen Textkärtchen die Funktion des Erzählens.

Leittexte und Gliederung

Acht „Leittexte“ stel­len den hi­stori­schen Hintergrund des be­handelten Zeit­raums dar. Sie sind den Lebensabschnitten im Buch vorangestellt. Kind­heit und Schulzeit in den er­sten dreißig Jah­ren des Jahr­hunderts, ge­folgt vom Be­reich Berufsleben, Fa­milien­gründung, All­tag im Dritten Reich, den Erlebnissen im Zwei­ten Weltkrieg und auf der Flucht. Der letzte Abschnitt, Fünfziger Jahre, deu­tet die ver­änderten Lebensmu­ster und Le­bensum­stände in der Bun­desrepublik an.

Gestaltung der Ausstellung

Diese Glie­derung nimmt die Ausstel­lungs­gestal­tung auf, in der Kinder­betten, Pup­penstu­ben, Schulbänke, Arbeitsspinde, Mili­tär- sowie Flucht­kisten, Schränke und ein Kühl­schrank zu Vitrinen umgebaut sind. Kleine Inszenierungen, die immer wieder auf das Stilmittel der Ver­fremdung zurückgreifen, sollen zur kritischen Interpretation anregen.

Schlaglichter

Da es gerade die persönlichen Ge­schichten und Erinnerungen sind, die die Ausstel­lung prä­gten und jetzt für das Buch ausgewählt wurden, kann es nur Schlag­lichter auf den Verlauf  der Ge­schichte werfen. Aber es ist eine Vergangenheit aus der Sicht der Bürger, wie sie die letzten 60 bis 90 Jahre erlebt haben. Viele der Er­inne­rungen deuten den historischen Kon­text, der sie geprägt hat, nur an. Aber gera­de der Spielraum zwi­schen historischen oder politischen Fakten, individueller Wahr­­­­­­neh­mung und Er­inne­rung an die Ver­gangenheit macht die Erin­nerungsstücke so spannend und läßt sie zu „Erlebten Din­gen“ werden.

Kindheit

Ihre Kindheit erlebten vi­ele Ältere unter dem Ein­druck des Ersten Welt­krieges (1914-18) und der Weimarer Republik. Von Beginn an gefährde­ten linke und vor al­lem rechte Extremisten diese er­ste Demokratie auf deutschem Boden, die das Kaiserreich abge­löst hatte.

Viele Väter waren im Krieg gefal­len, das Geld verlor während der In­flation seinen Wert, bezahlte Ar­beitsplätze waren rar. Woher sollte der Lebens­unterhalt für die oft viel­köpfige Familie kommen? Wer einen Garten, ein Feld, ein paar Stück Vieh besaß, konnte sich in die­sen Notzeiten wenig­stens mit dem Lebensnotwen­dig­sten selbst versorgen.

Zeit zum Spielen blieb den Kindern kaum, denn die Eltern verlangten Mitarbeit auf dem Feld, im Stall, im Haushalt oder in der Werkstatt.

Glühbirne und Wasser­hahn gab es noch nicht in allen Häusern, Autos be­kam man selten zu Ge­sicht.

Spielzeit:

Puppe

Tatzen für zarte Hände

(Ku200#)

„Das war was ganz Besonderes, wenn man so eine schöne Puppe gekriegt hat“, berichtet eine 84jährige Kusterdingerin. Sie bekam diese Puppe  von ihren El­tern, als sie fünf Jahre alt war. Die „Kästnerpuppe“ hatte schon Schlafaugen, lange Zöpfe aus ech­tem Frauenhaar und einen wei­chen Lederkörper.  Außer der Besit­zerin spielten ihre beiden jüngeren Schwestern und später ihre Tochter mit der Puppe, wobei sie „ein bißchen rampo­niert“ wurde; die Zöpfe sind dün­ner und kürzer als früher, die Au­gen eingedrückt und festge­klemmt.

Beim Spiel ahmten die Kusterdinger Kinder damals mit Vorliebe den Schulalltag nach. „Da haben wir früher immer Lehrer gespielt mit unseren Puppen, deshalb sind das die zweiten Händle, die ersten sind weggefallen, weil die immer wie­der Schultatzen gekriegt ha­ben“. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Puppe neben anderen wertvol­len Dingen im Luftschutzkeller deponiert. „Die hat mer gehü­tet, da ist nix passiert, das war sie mir schon wert“.

Puppentheater, ca 1900 (Bo270)

Spielzeugwiege

Auf Stroh gebettet

(Ki13)

„Als Puppenmama war man immer für seine Puppen da“, erinnert sich eine Kirchentellinsfurterin. Die Wiege bekam sie als kleines Mädchen von ihrem Großvater, einem Zimmermann, der sie selbst gefer­tigt hatte. „Jeder meiner Freunde wollte das Bettchen schütteln und die Puppe in den Schlaf wiegen. Am Ende sangen wir noch ein Schlaf­lied, denn das Kind sollte doch auch schlafen“. An einer Stelle ist die Wiege geflickt: „Da hat man halt kein Geld gehabt und hat auf jeden Pfennig gucken müssen. Und dann hat man eben einen Draht rumgebunden, daß man wieder wiegen konnte. Das tät heute nie­mand mehr“. Das Bettzeug haben die Puppenmamas schon ein paarmal neu überzo­gen, original ist noch das Unterbett, das mit Spreu (den Hülsen vom Korn) gefüllt ist.

Auch die Betten von Kleinkindern wurden zu Beginn unseres Jahrhunderts in der Regel mit Spreu gefüllt. „Ich weiß noch“, erin­nert sich die Kirchen­tellinsfurterin, „daß man damals in die Betten Stroh reingetan hat. Das hat man müssen am Abend allweil aufschütteln und zu­sam­menpressen, richtig fest rein­drücken. Und morgens ein biß­chen auflockern“. Die Stroh­säcke waren in der Mitte geöffnet, damit man hineinfassen konnte. Vom Schlitz aus wurde dann das Stroh in die Ecken gedrückt und so fest hineingestopft, bis es hart war. Jeden Morgen mußte es wieder zu­rechtgemacht werden, denn wenn nicht genügend Stroh das Inlett prall füllte, war das schlecht für den Rücken. Das Bettenma­chen, meint die Kirchentellinsfurterin, war damals eine anstrengende, staubige Arbeit.

Zwei pickende Hühner

Spielzeug für 20 000 Reichsmark

(Hi)

20 000 Reichsmark hat dieses Spielzeug einmal gekostet! Eine 72jährige Hirrlingerin bekam die­ „pickenden Hühner“ 1923 von ihrem Va­ter geschenkt. Der war während der Inflationszeit einmal auf dem Markt in Hechingen. Statt einzukehren und für 20 000 Reichsmark ein Bier zu trin­ken, kaufte er seiner Toch­ter das Holzspielzeug.

„Glugger“ und „Balire“

Spielzeit auf der Dorfstraße

(Go214)

Zusammen mit anderen Kindern spiel­te eine Gomaringerin immer auf der Straße „Glugger“ (Glasmurmeln) und „Balire“ (Tonkugeln). Dafür mach­ten die Spieler eine Kuhle in die damals noch ungeteerte Straße, die als Ziel diente: „Man durfte so lange schucken, wie alle im Loch waren“. Ging eine Kugel daneben, dann war derjenige an der Reihe, des­sen Kugel am nächsten lag. Alle Kugeln, die ein Kind ins Loch gebracht hatte, durfte es mit­nehmen. Deshalb gingen man­che Kinder mit einem leeren Sack und an­dere mit einem prallgefüll­ten nach Hause. Die Glug­ger und Ba­liere gab es fast in je­dem Geschäft zu kaufen, wo sie gleich neben der Kasse postiert waren. Die Zeitzeugin erinnert sich, daß sie ihre Balire damals meist beim Buchbinder in Gomaringen erwarb. Sie kosteten einen Pfennig pro Stück, das war damals eine ganze Menge Geld.

Zwei Puppen

Sonntags- und Werktagsspielzeug

(Tü9-10)

Die beiden Puppen bekam eine Tübingerin, die damals noch in Sachsen lebte, im Februar 1924 zum Geburtstag. Als einzige Tochter verwöhnten sie die Eltern etwas und machten für die damalige Zeit großzügige Geschenke. Sie konnten sich das leisten, weil der Vater als Prokurist in einer Samenhandlung arbeitete. Die kleine Puppe aus Zelluloid gehörte zu einer Puppenstube mit Sofa, Tisch, gepolsterten Stühlen, einer Blumen­krippe und einer Standuhr. Freilich bekam die Tochter dieses Spielzeug jedes Jahr nur zweimal, am Geburtstag und an Weinachten, in die Hände. Anschließend räumten es ihre Eltern wieder weg.

Die große Puppe aus Porzellan durfte das Mädchen das ganze Jahr über bei sich behalten. Bei einem Umzug ging die Nase ka­putt und wurde daraufhin mit etwas rötli­chem Material repariert, so daß die Puppe jetzt rotnasig ist. Für ihren eigenen Sohn baute die Zeitzeugin diese Pup­penstube zu Weihnachten auf, um die Stimmung aus ihrer eigenen Kinderzeit wieder heraufzubeschwö­ren. Puppenstube und Puppen verwahrte sie ansonsten in Kartons verpackt auf dem Dachbo­den. Als sie 1987 aus der DDR nach Tübingen übersiedelte, mußte sie ihre Spielsachen zunächst zurücklassen. Erst nach dem Fall der Mauer konnte sie die Er­innerungsstücke hierher bringen. Die Puppen sitzen nun immer bei ihr auf  dem Sofa im Altersheim.

Kinderarbeit

Bohnenschnitzler

Kinder legen Hand an

(Ku48)

Bei der Fülle der anfallenden Arbeiten war es in der Jugendzeit der Großeltern in vielen Familien notwendig, daß auch die Kinder im Haushalt  mithalfen. So mußte eine Kusterdingerin immer den Bohnenschnitzler bedienen. Sie und ihre Ge­schwister steckten die Bohnen in das Gerät oder trieben die Kurbel. Man mußte aufpassen, daß man sich nicht in die Finger schnitt. Aus den Schnit­zen wurde dann Salat oder Gemüse zuberei­tet. Zum Konservieren legte man die Bohnenschnitze ähnlich wie Sau­erkraut in Steintöpfen ein. Man­che hängten die Bohnen zum Trocknen auf der Bühne an eine Leine. Die Kusterdingerin: „Das war eine Arbeit, die uns Kindern keinen Spaß machte, weil es auf der Bühne so heiß war“.

Hutsalon für Puppen

Lebenslauf eines armen Mädchens

(Go16)

Die folgende Geschichte schrieb eine Gomaringerin über ihre 1902 gebore­ne Schwiegermutter: „Es war einmal ein kleines Mädchen, das lebte am Anfang unseres Jahr­hunderts in Han­nover. Es hieß Elise und war in einer Familie mit vielen Kindern zu Hause. Weil das für die Mutter anstrengend war, wurde Elise zu den Großeltern gegeben und mußte da wohnen und bei der Arbeit mithelfen. Sie war sehr traurig darüber und er­zählte ihrem Va­ter davon. Weil er nichts daran ändern konnte oder wollte, aber Elise auch zu helfen wünschte, machte er ihr ein ganz besonderes Geschenk. Sie bekam ei­nen ‚Hutsalon‘, etwas, was sich kleine Mädchen damals wünsch­ten aber nie bekamen. Elise spielte gerne damit und als sie groß war, nahm sie ihn mit. Zuerst nach Wuppertal, da machte sie eine Ausbildung als Krankenschwe­ster. Weil das damals fast die ein­zige Möglichkeit für eine Frau war, ‚versorgt‘ zu werden, trat sie in einen Diakonissenverband ein, verpflichtete sich zum Dienst am Nächsten und zur Ehelosigkeit.

Als Elise 35 Jahre alt war, begegnete sie einem Pfarrer, der seine Frau verloren hatte und eine ’neue‘ Mutter für seine Kinder suchte. Das war ein triftiger Grund, aus dem Verband auszutreten. Sie ging also eine neue ‚Dienstverpflichtung‘ ein und heira­tete den Pfarrer. Da spielten die Mädchen in ihrer Fa­milie mit dem Hutsalon,  die Jungens durften das damals nicht.

Den Zweiten Weltkrieg erlebte Elise im Ruhrgebiet. Das Haus, in dem sie wohnte, wurde völlig zer­bombt, und sie konnte nur wenige pri­vate Dinge retten. Der Hutsalon war dabei. Zu Fuß wanderte sie vom Ruhr­gebiet nach Hessen, ihre Habselig­keiten nahm sie auf einem Hand­wagen mit. Dort arbeitete Elise mit ih­rem Mann wieder in einer Gemeinde; nach seiner Pensionierung zogen sie in die Nähe von Bielefeld, wo sie zu­sammen mit einer jungen Familie im Haus wohnten. Ei­nes Tages kramte sie den Hutsalon heraus, gab ihn den beiden kleinen Jungen zum Spielen, setzte sich auf den Fuß­boden und spielte mit. Die Jungen sind inzwischen erwachsen, Elise ist mit 93 Jahren gestorben und der Hut­salon ist mit einem der Jungen nach Gomaringen gekommen“.

Prägende Bilder

Jesusbild „Der gute Hirte“

Schales Gefühl im Kinderbett

 (Ku59)

Bis zur Schulzeit schlief eine Kusterdingerin im Kinderbett in der elterli­chen Kammer. Der „Gute Hirte“, der großformatig über dem Ehebett plaziert war,  begleitete sie in ih­rer Kindheit beim Einschlafen und war auch beim morgendlichen Aufwachen da. Die rötliche Hinter­grundstimmung des Bildes hinterließ bei ihr stets ein schales Gefühl. Sie überlegt: „Vielleicht verband sich dieses Gefühl damit, daß ich nicht gerne einschlief?“

Puttenbild

Gut gegen Mädchenmigräne

(GFA 117)

Seit sie denken kann, entsinnt sich eine Gomaringerin, hing dieses Bild in ihrem Kinderzimmer. Als Mädchen litt sie häufig unter Migräne. Wenn sie sich mit den starken Kopfschmerzen in ihr Zimmer zurückzog, betrachtete sie die heiteren Engelchen gerne zur Entspannung. Und es half. Das Bild hatte ihre Mutter von den verstorbenen Eltern geerbt.

Bleibende Eindrücke

von Eltern und Großeltern…

Kerzenhalter

Gewitterangst im Treppenhaus

(Bo165)

Furchtba­re Ängste durchlitten die Mut­ter und die Großmutter einer Bodelshäuserin bei jedem Gewitter. Der Kerzenhalter spielte in  blitzdurchzuckten Nächten eine wichtige Rolle. Damals hat­te die Familie in der Scheune und im Keller noch kein elek­trisches Licht, weshalb der Kerzenhal­ter sowieso immer griffbereit stand. Wenn nachts ein schweres Gewitter auf­zog, diente der Kerzenhalter als Notbeleuchtung. Die Großmutter stellte eine Kerze auf den Tisch und schloß die Türe auf, damit man fliehen konnte. Betend stand die Mutter da. „Das war ganz arg“, erinnert sich die Zeitzeugin: „wir Kinder mußten aus den Betten raus, mußten uns anziehen und auf die Treppe setzen. Wir durften nicht im Zimmer bleiben. Unsere Oma hat immer gesagt: ‚Auf die Treppe! Denn wenn was passiert, dann gleich raus zur Haustür!‘ Das ist mir noch in guter Erinnerung“. „Früher waren die Ge­witter wesentlich schwerer als heute“, meint die Bo­delshäuserin.

Rasiergarnitur

Raus aus der Küche!

(Ku160*)

Zu gern hätte eine Kusterdingerin als Kind einmal ihren Vater beim Rasieren beobachtet. Aber den machte Publikum ziemlich nervös und zugleich anfällig für ungewollte Ausrutscher mit dem Rasiermes­ser. Deshalb mußten jedes Wochenende alle Familienmitglieder für eine Weile aus der Küche verschwinden. Der Vater bestand darauf, seine wöchentliche Rasur in aller Ruhe und alleine zu erledigen! Spätestens nachdem er sämtliche Rasierutensilien wie Rasiermes­ser, Schleif­band,  Rasierpinsel, Schnurrbartbürstchen und Seifenschale feinsäuberlich auf dem Küchentisch ausgebreitet hatte, schickte er alle Anwesenden hinaus. Schnitt sich der Vater trotz der getroffenen Sicherheitsmaßnahmen doch einmal, benutzte er den blutstillenden Alaunstein oder legte einen Fetzen Zeitungspapier auf die verletzte Stelle, um das Blut aufzu­saugen. Die Rasiergarnitur hatte schon dem Großvater der Kusterdingerin gehört. Heute wird sie als Erinnerungsstück an Vater und Großvater aufbewahrt.

Spazierstock von Johannes Wagner

Der Bart des Opas und Schokoladekaffee

(Bo103, Bo109)

Eine Bodelshäuserin wuchs bis zum fünften Lebensjahr bei ihrem Großvater in Mössingen auf. Der verdiente seinen Lebensunterhalt damals hauptberuflich als Bauer. Gleichzeitig versah er ne­benberuf­lich das Amt des Waldmei­sters oder Waldschützen, heute würde man Revierförster sagen. Beson­ders eindrucksvoll war der Bart des Großva­ters: „Den hat er gepflegt aufs Äu­ßerste. Jeden Tag hat er ihn gewa­schen und gebürstet, und wenn es eine Nudelsuppe gegeben hat, dann hat er die Nudeln immer im Bart hängen gehabt, und das hab ich gar nicht sehen können“. Als das junge Mädchen später von Bodelshausen aus zu Besuch kam, sagte die Oma immer: „Jetzt guck, wo er ist“. Wenn der Opa nicht da war, dann gab sie der Enke­lin 20 Pfennig. „Und ich bin ins Lädle num und hab Blockschoko­lade geholt, und sie hat solang heiße Milch gemacht, und die hat sie mir da reingerieben. `Schokladkaffee` hat sie immer gesagt. Aber das hat Opa nicht wissen dürfen.“

Vogelfängerkäfig 1898

Zeiserl auf Leimruten

(Hi11/2)

Mit diesem Vogelfängerkäfig lockte der „Rudel Rudolf“, der Großvater einer heute 74jährigen Hirrlingerin, so manchen Piepmatz in die Falle. Dazu stellte der gelernte Zimmermann den Fangkäfig auf den Ac­ker. In die eine Hälfte des Kä­figs steckte er einen mit Leim bestrichenen Stab. Auf der ande­ren Seite saß ein Lockvogel. Wenn sich ein angelockter Vogel auf der Leimrute niederließ, blieb er dar­auf kleben. Auf diese Art wurden „Zeisle“ und Distelfinken für die Zucht und den Verkauf gefangen. Allerdings war diese Art des Vo­gel­fangs schon damals verboten, was den „Rudel Rudolf“ freilich nicht weiters störte.

Zwei Füchse

Beute aus dem Ersten Weltkrieg (Go172)

Als Andenken an ihre Eltern bewahrt eine Gomaringerin diese beiden Füchse in einem großen Schrank auf der Bühne auf. Während des Ersten Weltkrieges war ihr Vater als Soldat in Frank­reich. Bei einer Plünderung erbeutete sein Kamerad 100 Fuchsfelle, die er an andere Kame­raden weiterverschenkte. An­schließend hatte der Gomaringer Fronturlaub und brachte die Füch­se seiner Frau als Geschenk mit. Die ließ sie bei einem Reutlinger Kürschner zu Schals verarbeiten. Da ihr die braune Farbe der Füchse nicht gefiel, ließ sie einen davon dunkel färben.

Inflationsgeld

Sensationeller Schatzfund ohne Wert

(Ku386)

Ein Schatz aus Kusterdingen ohne Wert! Ihr Wohnzimmer ließ eine Kusterdinger Familie 1993 renovie­ren. Als ein Arbeiter das letzte Brett des Fußbodens herausriß, meinte der: „Vielleicht kommt auch noch Geld raus“. Tatsächlich fand er diese Schachtel. Darin lag warhaftig noch ein Brief vom 1. Oktober 1926, auf welchem die Kusterdingerin die Handschrift ihres Vaters erkannte. Der Vater hatte den Brief auf die Rückseite eines Werbezettels des Reutlinger Fotografen Karl Schmalz geschrieben. Karl Schmalz, erinnert sich die Zeitzeugin, war jüdischer Herkunft.

…Verwandten und Bekannten

Kinderhütle, 1927/28

Vom reichen Onkel aus Amerika

(Go149)

Als eines Tages der Onkel einer Gomaringer Familie aus Amerika zu Besuch kam, brachte er seiner Nichte das rosarote Hütle mit. „A bißle an Stolz“ verspürte die 1923 geborene Gomaringerin immer, wenn sie sonn­tags das Strohhütle auf ihre Zöpfe drückte.

Zentrifuge

Parteireden in der Werkstatt

(Bo321)

Mit dieser Zentrifuge verbindet ein Bodelshäuser wichtige Kindheitserinnerungen. Das Gerät stammt von seiner verstorbener Kusine, die im Ort als „Nestles Rosa“ bekannt war. Sie wohnte im selben Haus wie Jakob Nill, der 1895 den Ortsverein der SPD gegründet hatte. Als Bub verkehrte der Bodelshäuser deshalb oft im Haus der Nills. Von denen bekam er zu Ostern immer einen Osterhasen geschenkt und auch zu Weihnachten hatten sie stets eine Kleinigkeit für ihn parat. Den SPD-Politiker Jakob Nill, der von 1919 bis 1920 Landtagsabgeordneter in Stuttgart war und später Ehrenbürger der Gemeinde wurde, hat er als äußerst sparsamen Menschen in Erinnerung, der oft noch den letzten Brotriegel in Most „einbrockte“. Mitunter war unser Zeitzeuge zugegen, wenn Nill Parteireden in seiner Werkstatt vorbereitete. Dabei ging er auf und ab und erhob seine Stimme: „Meine Genossinnen und Genossen…“. „Dann hab ich gelacht“, erzählt der Bodelshäuser, „und der Jakob hat nacheinander einen Haufen Äpfel gegessen“.

Weihnachtszeit

Löwenkäfig

Bäh-Rufe gegen die liebe Verwandtschaft

(Mö60)

Eine Schülerin aus Bodelshausen er­zählt: „Diesen Löwen hat mein Opa als Dreijähriger von Stuttgarter Verwand­ten zum Weihnachtsfest 1926 be­kommen. Natürlich kann er sich nicht mehr daran erinnern. Als er älter wurde, hatte er seine Freude daran, Besucher mit die­sem Löwen zu er­schrecken. Er stellte sich dicht vor sie hin und sagte: `Schaut mal den schö­nen Löwen an!` Als sie dann nahe am Käfig waren, ließ er den Löwen her­ausspringen. Sie erschraken dann sehr, wenn die Käfigtüre nahe an der Nase vorbeisauste und der Löwe mit einem lauten `Bäh` heraussprang. Der Löwe wurde immer weiter vererbt. Erst an sei­nen eigenen Sohn und dann an sei­nen Enkel. So durfte er drei Gene­ratio­nen lang herausspringen und mit sei­nem Bäh-Ruf immer wieder Freude bereiten“.

Becher der Sonntagsschule

Genagelte Stiefel und Kappen aus Eisen

(Ku78)

Jedes Kind erhielt bei der Weihnachtsfeier der Kusterdinger Sonntagsschule 1925  einen solchen Be­cher. Damals gingen fast alle Kinder zur Sonntags­schule, die auch Kinderkirche genannt wurde. Heute steht der Becher in einer Kusterdinger Küche und dient als Behäl­ter für Bleistifte und Kugel­schrei­ber. Die beiden auf dem Becher abgebildeten Kin­der tragen Halbschuhe, was da­mals nicht üblich war. Man trug normalerweise gena­gelte Stiefel, die an Absatz und Kappe mit Eisen beschlagen waren, damit die Sohlen, die sehr viel kosteten, länger hielten. Beim Laufen klapperte es dann.

Puppe

Generationen spielten mit ihr

(Mö65)

Am Heiligen Abend 1944 bekam eine Mössinge­rin von ihrer Großmutter ein ganz besonderes Geschenk, eine Puppe! Das Weihnach­tsfest hat sie als  außergewöhnlich in Erinnerung, da man in Kriegsjah­ren solche Geschenke nur selten erhielt. Auch wenn mit der Puppe schon vorher die eigene Mutter und deren zehn Jahre ältere Cousine gespielt hatten. Für den Geburtstag nähte die Oma der Puppe extra ein neues Kleid. An jenem Weihnachtsabend saß das Mädchen noch lange im Wohnzimmer vor der Puppe und wagte kaum, sie anzufassen. Der Ofen war schon lange aus und die Eltern schliefen, da saß sie noch immer da und staunte. Aber irgendwann hörte sie die mahnende Stimme ihrer Mutter, sie solle doch zu Bett gehen, da morgen auch noch ein Tag sei.

Poesiealbum

Ein Kinderschicksal in Widmungssprüchen

(Ki56)

Dieses Poesiealbum ist ein Weihnachtsgeschenk aus dem Jahr 1939. Das Album war für die Besitzerin immer ein beson­deres Buch, auf das sie ganz außerordentlich stolz war, auch weil es einen Goldrand hatte. Heute stellt es eine wichtige Erinnerung an die verflossenen Jahre ihrer Schulzeit und Han­delsschulzeit dar. Auch Großmutter, Mutter und Geschwister schrieben einen Spruch hinein, nur der Vater trug sich nicht ein. Aus den Kriegsjahren stammen Eintragungen von einer Einquartierung, von der Evakuie­rung und dem Arbeitsplatz bei der Stadtsparkasse Aschersleben. Das Album enthält auch Einträge von Großbettlingen, wohin die heutige Kirchentellinsfurterin als Mädchen durch die Kinderland­verschickung kam. Damals hätte sie nie gedacht, daß sie jemals wieder im Schwabenland wohnen würde. Ihre persönliche Bilanz, trotz leidvoller Lebenserfahrungen: „Also alles in allem ei­ne ganz liebe Erinnerung an ver­gangene Zei­ten“.

Schulzeit

In der meist einklassigen Dorf­schule versuchte der Lehrer, Dis­ziplin sowie Lerneifer durch „Tatzen“ und „Hosenlupfete“ ein­zubläuen. Eine prügelfreie Pädagogik setzte sich auf dem Land nur langsam durch. Selten schaffte ein Schüler aus dem Dorf den Sprung aufs Gymna­sium. Mädchen be­kamen diese Chance fast nie. 

Wer mit 14 Jahren (nach der Konfirmation) die Schule verließ, fand wäh­rend der Wirtschaftskri­sen nach dem Ersten Weltkrieg nur schwer eine Lehrstelle.

Die Nationalsozialisten durch­setzten seit der Machtübergabe an Hitler den Schul­unterricht mit ihrem natio­nalistischen, rassisti­schen und kriegstreiber­ischen Gedankengut. „Hitlerjugend“ und „Bund deutscher Mädel“ sollten die Jugend für das Regi­me in Dienst nehmen.

Schiefertafel und Grif­felkasten

Rauchwolken im Klassenzimmer

(Mö140)

Diese Tafel, die ein Mös­sin­ger in den Kriegsjah­ren von 1939 bis 1945 benutzte, könnte viel erzählen. Zum Beispiel von Unterrichts­stunden, die ein Luft­schutzalarm abkürzte, oder von Jungenstreichen. An einen kann sich der ältere Mann noch beso­nders gut erinnern. Während der Kriegszeit gab es Möglichkeiten, an Pulverstäbchen aus Lagerbeständen der Wehrmacht heran­zukommen. Die schwarzen Stäb­chen konnte man gut gebrauchen, um ein Feuer anzuzünden, die weißen dagegen entwickelten nur stinken­den Rauch. Eines Schultages, als die Sonne so schön zum Fenster hereinschien,  kam ihm während des Unter­richts der Gedanke, ob wohl ein weißes Stäbchen zu entzünden wäre? Zu seinem Ent­setzen mußte er bald feststellen, daß dies möglich war, denn es ent­stand ein starker Qualm, der sich im ganzen Schulsaal ausbreitete. In seiner Not versuchte er, die Situation unter Kontrolle zu bringen, indem er das rauchende Stäbchen unter dem Tisch ausdrückte. Aus Versehen geriet es in den Schul­ranzen, was zur Folge hatte, daß die Tafel total schwarz wurde. Zum dicken Ende mußte er sie wieder mühevoll reinigen. Schlimmer jedoch war, daß sich der ganze Raum mit stinkendem Rauch füllte und es viele Mitschüler mit der Angst zu tun beka­men. Zum Schluß gab es für den Jungen heftige Schelte und saf­tige „Hosen­spannete“.

Tintenfaß, 1910

Zöpfe ins Tintenfaß gehängt

Tü3

Das Tintenfaß bekam der Mann einer Tübingerin wahrscheinlich von seinem Großvater. Sie selbst erinnert dieses Faß an ihre Schulzeit: „Damals, so 1925, schrieben wir in der Schule mit Tinte und Feder. Einmal brachte unser Lehrer Schneeglöckchen mit, stellte sie in das Tintenfaß, und sie wurden ganz blau, weil sie wie das Wasser jetzt die Tinte aufsogen. Die Tintenfässer in der Schule sahen allerdings anders aus: mit Hälsle und oben drin ein Pfröpfle. Mitschülerinnen spielten wir manchmal einen Streich, indem wir ihre Zöpfe in das Tintenfaß hängten“. Vielleicht hatte dazu das Experiment mit den blauben Schneeglöckchen angeregt.

Unterrichtsutensilien, 30er Jahre

Hosenspannete und Ausflugsmarsch

(Bo95,96,97,98,100)

Eine Bodelshäuserin, die 1932 in die Schule kam, erhielt eine Fibel mit dem eingeschrie­benen Namen „Helene Nr.1“. Damals waren zwei Schülerinnen in der Klas­se, die den­ gleichen Namen hatten, deshalb die Zählung. Beide Mädchen trugen dieselben bis zu 90 Zentimeter langen Zöpfe. Über die Zopflänge wußten sie  deshalb so genau Bescheid, weil der Lehrer die Zöpfe ausgemes­sen hatte. Das Lesebuch erinnert die Bodelshäuserin noch heute an die schreckliche Schelte, die sie bekommen hatte, als sie die `Bildle` darin anmalte. Der Lehrer be­nutzte auch schon mal einen Stock, ließ die Kinder sich bücken und sagte im Kommandoton die drei Worte: „Anziehen (den Rüc­ken anspannen), Prügel, Hoch!“

Auf Klassenwanderungen zum Roßberg oder Farrenberg mußten  die Kinder wie die Soldaten marschieren. Da hatte die Schülerin  immer ihr Rucksäckle dabei, in dem sie auch tagtäglich das Vesperbrot und etwas zu Trinken für die Pause mitbrachte.

Nach der Schule wollte sie zu­nächst gerne Friseuse werden, aber nach Ansicht des Vaters war das kein Beruf für ein Mädle. „Das war damals noch etwas verru­fen, wenn eine Frau Fri­seuse war“, meint die Bodelshäuserin, die dann die Tübinger Handelsschule besuchte und  „das Kaufmännische “ erlernte.

Schulranzen

Mit den Buben gerauft

(De11)

Der Schulranzen einer Dettenhäuserin trägt ein Monogramm, das ursprünglich aus zwei Buchstaben bestand. Ein Buchstabe fehlt. Er ging bei einem „Kämpfle“ mit den Buben, „natürlich nur den Schwächsten“, verloren.

Postkarte aus den Gewächshäusern der Wilhelma, 1920

Eis in Geschenkpapier

De134a

Die Postkarte stammt aus der Schulzeit einer Dettenhäuserin, als sie zusammen mit ihrer Klasse einen Ausflug in die Wilhelma nach Stuttgart machte. Das war ein großes Ereignis. Sie hockten unter der Plane eines Lastwagens und wurden so nach Stuttgart kutschiert. „Dort in der Markthalle habe ich die erste Banane meines Lebens gesehen. Für 10 Pfennig kriegte man eine, aber niemand hat sie gegessen, weil wir das nicht kannten. Ein Eis bekam man auch für 10 Pfennig. Meine Schulkameradin wollte es einpacken, um es der Mutter mitzubringen, die so etwas auch nicht kannte und es mal versuchen sollte“.

Nachthemd

Trotz der Mühe nie getragen

(Mö42)

Das Hemd wurde nie getragen, weil es soviel Arbeit gekostet hatte! Von 1911 bis 1913 nähte eine Mössingerin im schulischen Handarbeitsunterricht an diesem Stück, das ihr Konfirmationshemd werden sollte. Die Spitze mußte erst selbst gehäkelt und dann an das Leinenhemd an­genäht werden. Jeden Stich nähte das Mächen von Hand, den Abstand der Stiche mußte sie genau abzählen.

Betzinger „Blätzsock“

Bärenartiges Schuhwerk und schulische Zucht

(GFA7)

Als die Großmutter eines Gomaringers 1910 als junges Mädchen mit solchen Schuhen in die Schule kam, brummte ihr der Lehrer deshalb eine Strafarbeit auf. Zigmal mußte die Schülerin schreiben: „Man soll nicht mit bärenartigen Tatzen in die Schule kommen“. Waren die Blätzsocken auch einerseits als günstige Kinderschuhe beliebt, so galt es doch andererseits als anstößig, wenn man sie in der Schule trug. Dieses selbstgefertigte Schuhwerk trug unterschiedliche Namen, in Betzingen hießen sie „Blätzsock“, in Gomaringen „Husaren“, in Jettenburg „Schlauda“. Die Schuhe wurden aus Stoff- und Le­derresten angefertigt. Als Schuhform dienten Holzleisten unter­schiedlicher Größe. Über die Leiste zog man zunächst ei­nen Strumpf, damit die Schuhe schön warm waren, dann kamen die Stoffreste und das Außenma­terial darüber. Wichtig war guter Stoff für die Sohle, die später aus Leder- oder Kunstlederresten bestand. Jedenfalls hat die Besitzerin heute sonst nur noch positive Erinnerungen an das Schuhwerk:  „I han supergute Füß, kein Plattfuß und gar nix und bin in dene Blätza aufg­wachse“.

Schultasche

Ein Hase fährt ins Filstal

(Go209)

Es war 1943, mitten im Krieg. Ein 10jähriger Gomaringer sollte in die Stadt aufs Gymnasium, hatte aber keine Schulta­sche. Der Vater war Soldat und schrieb von der Front, er habe im Filstal einen Kriegskameraden, der eine Gerbe­rei be­sitze. Sein Sohn solle einen Hasen nehmen und den dem Ka­meraden brin­gen, dann bekomme er dafür ein Stück Leder für seine Tasche. So nahm der 10jährige Junge einen Hasen, steckte ihn in einen Sack und fuhr mit der Bahn ins Filstal. Tatsächlich erhielt er dort im Tausch gegen den Hasen ein Stück Leder. Daraus wurde dann die Schultasche angefertigt. Heute bewahrt er in der Tasche alte Familienakten auf.

Beruf / All­tag 

Die Weimarer Republik war von Anfang an durch den verlorenen Ersten Weltkrieg, verfassungs­mäßige Schwächen und die Agi­tation linker und vor allem rechter Extre­misten vorbelastet. Als infol­ge der „Weltwirtschaftskrise“ über sechs Millionen Men­schen keine Arbeit mehr hatten, verloren die verfas­sungstragenden Parteien vollends ihren Rückhalt bei den meisten Wählern. Hitler wurde zum Reichs­kanzler ernannt.

Die Arbeitstage für Män­ner und Frauen waren seinerzeit anstrengend und lang, in der Regel mußten Er­wachsene in der Industrie 50 Stunden pro Woche arbeiten. Viel Zeit blieb zudem für den Weg zum Arbeitsplatz zu Fuß, mit dem Rad, seltener per Bahn, auf der Strecke. Oft gab es zu Hause nach Feierabend weitere Arbeit im Stall oder auf dem Feld.

Eine qua­lifi­zierte Berufsausbildung, sei es in der Fabrik oder in einem dörflichen Handwerk, wurde nur den Jungen zugestanden; Mäd­chen mußten zu­ Hause arbeiten, wurden Dienstmädchen oder un­gelernte Arbeiterin. 

Arbeitswege

Essensgeschirr

Von 5 Uhr bis 21 Uhr aus dem Haus

(Go212)

Um die Jahrhundertwende gab es das „Gönninger Bähnle“ noch nicht. Wie viele andere brach der Großvater einer Gomaringerin, der damals bei Bosch in Reutlingen arbeitete, jeden Morgen um 5.00 Uhr zu Fuß auf. Erst abends um 21.00 Uhr kehrte er wieder von der Ar­beit nach Hause zurück. Ins Essensgeschirr tat ihm seine Frau jeden Morgen das Vesper hinein, es begleitete ihn stets auf dem Weg zur Arbeit.

Karbidlampe fürs Fahrrad

Radeln: zur Arbeit, den Berg hinab, auf die Holzbeige

(Ku188*, Bo46)

Von seinem Vater bekam ein Arbeiter aus Mähringen 1936 ein Fahrrad mit Karbidlampe, mit dem dieser bis dahin nach Reutlingen zur Arbeit gefahren war. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Vater den Arbeitsweg noch sieben Jahre lang zu Fuß zurückge­legt. Nun benutzte der Sohn tagtäglich den Drahtesel, um zur Firma Gminder zu kommen. Als Fahrradbeleuchtung diente die althergebrachte Karbidtech­nik. Um die Karbid­lampe zu betreiben, mußte ein Karbidstein mit dem Hammer zertrümmert werden. Das Ma­terial wurde unten in die Lampe gefüllt. Zusammen mit Wasser bildet Karbid ein ex­plosives Gas. Das Gas stieg nach oben und hielt dort ei­ne Flamme am Leuchten, wobei sich ein äußerst intensiver Ge­ruch entwickelte. Ein neues Rad mit Dynamo kaufte sich der Mähringer dann bereits ein Jahr später, 1937. Mit dem beginnenden Wirtschaftsaufschwung konnte er sich schon 1952 ein Motorrad leisten, viele im Ort schauten neidisch drein, wenn er vorbeibrauste. Sein erstes Auto erwarb er 1960. Insgesamt fuhr der Mähringer 25 Jahre zum selben Arbeitsplatz. Schließlich forderten Akkord- und Schichtarbeit ihren Tribut und ein Herzinfarkt machte ihn erwerbsunfähig.

An ein abenteuerliches Erlebnis erinnert einen Bodelshäuser seine Karbidlampe. Einmal, etwa 1920,  fuhr er mit seinem Fahrrad, das nur Freilauf hatte, nach Mössingen. Als er es den Berg hinunter „sauen“ ließ, konnte er zwei Frauen nicht mehr ausweichen. Er fuhr zwischen ihnen hindurch, wobei er aus Versehen einer den Schirm entriß. Der versperrte ihm dann gründlich die Sicht, so daß die Fahrt in einer Holzbeige endete. Die fiel übereinander. „Da mußt du so schnell wie möglich verschwinden“, dachte er und trat mächtig in die Pedale.

Berufliche Wege

…zur Post…

Brieflade von der Posthal­terstelle Hirrlingen

Jede Nacht Briefe zählen

(Hi5/11b)

Diese Brieflade stammt von der ehemaligen Hirrlin­ger Posthalterstelle. Ihr Klappern nervte Generationen von Postbeamten und deren Familienangehörigen. Angeschafft hat sie der langjährige Postagent Franz Eberhart (1891 – 1963). Er nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg teil und wurde be­reits in den ersten Kriegs­monaten schwer verwundet. Den Kriegsversehrten bestellte die Reichs­post im Frühjahr 1918 zum Posthalter in Hirrlingen. Vier Jahre später baute er ein Wohnhaus in der Rottenburgerstraße 32. Im Erdgeschoß richtete er die Poststelle ein, zunächst mit Telegraf, später mit einer Telefonzelle. Beim Bau wurde die Brieflade in die Au­ßenwand des Dienstzimmers eingepaßt. Die Farbreste be­zeugen, daß die Lade erst gelb, dann rot gestrichen war. Tag und Nacht klapperte der Deckel bei jedem Einwurf kurz und hart. Am nächsten Morgen wußte die oben schlafende Posthalterfamilie genau, wieviele Briefe eingewor­fen worden waren. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang haben die Hirrlinger dieser Brieflade ihre Postsachen anvertraut. Jeder einstige Briefeinwerfer wird sich an den Klapplaut des Deckels erinnern können. Die alte Post wurde 1980 im Wege der Dorfsanie­rung für die Ortsdurchfahrt abgebrochen. Ein Verwandter des Posthalters rettete die Lade.

…in fürstliche und bürgerliche Dienste…

Reisenähmaschine 1887

Eine wahrhaft fürstliche Geschichte

(GFA44)

Diese Nähmaschine hat eine wahrhaft fürstliche Ge­schichte. Nach dem Krieg von 1871 nahm der Fürst von Sig­maringen einen Mann aus Neh­ren mit auf sein Schloß. Dessen 1869 geborene Tochter Marie wuchs in Sigmaringen auf, ging dort auf eine Frauenarbeits­schule und bekam anschließend eine Stelle als Kammer­zofe am fürstlichen Hof. Ihre Nähmaschine, die sie sich speziell für ihren Dienst kaufte, ist besonders handlich konstruiert, um sie auf Reisen mitnehmen zu kön­nen. Die Zofe durfte ihre Herrschaft nämlich häufig begleiten, zum Beispiel nach Italien, auf die Insel Capri oder nach Südfrankreich. Unterwegs mußte sie dann oft kleine Änderungen an Ballkleidern und Anzügen ma­chen. Als später zwei hohenzol­lerische Prinzessinnen zwei Prinzen von Sachsen heirate­ten, folgte ihnen die Kammerzofe an den Hof nach Dresden. Wieder begleitete sie von dort aus die Herrschaften mit ihrer Nähmaschine durch ganz Europa. Bis 1905 blieb sie am königlichen Hof, dann trat sie eine Stelle bei der Freifrau von Littich an. Schließlich gab die mittler­weile 37jährige Kammerzofe das Leben in der großen wei­ten Welt auf, als sie am 3. März 1906 in der Stadtkir­che von Pirnau selbst heiratete. Zusammen mit ih­rem Mann kam sie wieder nach Nehren, wo ihr immer noch viele Leute Kleider zum Nä­hen und Ausbessern brachten. In den Notjahren nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich ihre Nachfahren mit der Maschine immer noch etwas hinzuver­dienen.

Weiße Dienstmädchenschürze

Extra Wäsche für die Herrschaft

(Ku0X)

Die weiße Schürze kaufte das Dienstmädchen Babette 1937 für ihre Stellung bei einem Ober­stabsarzt in Tübingen. Mit dieser Zeit verbindet sie schlechte Erinnerungen. Gnädige Frau verlangte beispielsweise, daß Babette, immer wenn der Gatte nach Hause kam, alles stehen und liegen ließ. Egal, bei welcher Arbeit sie gerade war, mußte das Dienstmädchen damit aufhören, die weiße Schürze anziehen und dem gnädigen Herrn die Tür öffnen. Ihre Wäsche durfte sie auch nicht zusammen mit jener der Familie waschen, sondern immer nur separat.

Den Einstieg in ihre Karriere als Dienstmädchen verdankte Babette ihrer Schwester. Während sie selbst bereits ein paar Tage nach ihrer Konfirmation, mit 13 Jahren, in einer Käserei arbeiten mußte, war ihre Schwester bei einer Familie in Obertürkheim als Dienstmädchen in Stellung gegangen, fühlte sich im fremden Ort aber sehr einsam. Um nicht weiter alleine sein zu müssen, vermittelte sie nun die inzwischen 18jährige Babette ihrer Herrschaft als weiteres Dienstmädchen. Eigentlich, so meint Babette rückblickend, wollte sie damals auch von zu Hause weg. Bald folgten Stellen in anderen Orten. Nach der schlechten Erfahrung in Tübingen fand das Dienstmädchen ein Unterkommen bei einer Wirtsfamilie in Betzingen. Babette, die heute in Kusterdingen lebt, hat diesen Arbeitgeber in besserer Erinnerung: „Ich hatte dort Familien­anschluß, das hat mir gefallen!“

Dienstbotenglocke um 1900

Klingeling im Architektenhaushalt

(Ku158)

Die Dienstbotenglocke erhielt eine Kusterdingerin als Erbstück nach dem Tod ihrer Tante, die als Dienst­mädchen in einem Reutlinger Architektenhaushalt gearbeitet hatte. Mit dieser Glocke wurde die Tante zu ihrer Zeit als Dienstmädchen von der gnädigen Frau, die im Rollstuhl saß, herbeigeru­fen. Später, als der Haushalt modernisiert wurde, schenkte die Hausfrau dem Dienstmäd­chen die Glocke.

… ins Handwerk…

Schreibbuch mit Sprungrücken 1920er Jahre

Kreideschnitt und Sprungrücken

(GFA48)

Ein Gomaringer stellte dieses Buch während seiner Ausbildung zum Buchbinder in der Weimarer Republik her. „I glaub, ein junger Buchbinder kann des heut nemme“, sagt er. Das be­sondere am Sprungrücken ist, daß beim Aufschlagen immer eine ebene Fläche ent­steht, auf der man bequem bis zum Rand schreiben kann. Die Arbeitszeit für diesen Einband betrug neun bis zehn Stunden. Zur Verzierung brachte der Buchbinder auf dem Rand einen Kreideschnitt auf. Dazu wurde Kreide aufgeschabt und anschließend Farbe mit einem Sprenggitter darüberge­spritzt. Je nachdem, ob un­ter der Farbe eine Kreide­schicht vorhanden war, entstand ein Marmo­rierungsef­fekt.

… über und unter der Er­de…

Steinschlegel

Halsbrecherische Steinfuhren von der Alb  

(GFA53)

„Unsere Väter“,  berichtet ein Gomaringer, „waren nach dem Ersten Weltkrieg froh, wenn sie Arbeit fanden“. Diese gab es zum Beispiel im Auftrag der Gemeinde beim Straßenbau, wo auch das „Steinschlegele“ zum Einsatz kam. Aus dem Steinbruch in Genkingen mußten Steine für den Straßenbelag geholt werden. Die Fuhrleute fuhren dazu mit einem „Druchenwagen“, der mit Brettern dichtge­macht war, hoch auf die Alb. Am frühen Morgen spannten sie zwei Pferde an und dann ging’s los. Die Ehefrauen mußten derweil den Stall fertigmachen. Bergauf hatte es bei der Fuhre keine Not, aber bergab. Der Wagen war ja schwer beladen. Als Sperre legten die Fuhrleute einen Bremsschuh mit einer starken Kette am Hinterrad an. Nun wollte der Fuhrmann aber auch nicht laufen, er setzte sich auf die Deich­sel, gleich hinter den Pferden. Von da aus konnte er die „Migge“ (Bremse) mit der Hand bedienen. Eine Gefahr lag darin, daß der nicht zu kleine Mostkrug stets auch mit dabei war. Ab und zu hatte der Fuhrmann auch mit dem Schlaf zu kämpfen, aber die Pferde fanden ja zum Glück ihren Weg alleine. In Gomaringen wurden dann die Steine an der Straßen­seite auf einen Haufen gesetzt. Um die großen Steinbrocken zu zerschlagen, brauchten die Arbeiter zunächst einen Vorschlaghammer. Sein Stil bestand aus gewachsenem Holz, zum Beispiel Schwarzdorn. Diese Stile waren recht bil­lig, dafür aber etwas rauh. Der Gomaringer erinnert sich noch gut daran, daß sich die Hände seines Vaters ge­nauso rauh anfühlten wie das Holz. Nach dem groben Zerschlagen mußten die Steine noch weiter zertrümmert werden. Für diese Arbeit hatte sich der Vater extra einen kleineren Hammer, den Steinschlegel, gekauft. Er setzte er sich also auf einer kleinen Unter­lage mitten in den Hau­fen und haute drauflos. Das zerklei­nerte Material diente dann als Fahrbahnbelag der Straße von Bronnweiler nach Gomarin­gen. Die Jungens brachten dem Vater das Mittagessen auf die Baustelle. Damit durch die Pause keine Zeit und kein Lohn verloren ging, klopften sie solange weiter, bis er gegessen hatte. 

Arschleder

Unter Tage gerutscht

(Bo260)

Das sogenannte „Arschleder“ trug der Großvater einer Bodelshäuserin, der um die Jahrhundertwen­de als Obersteiger im sächsischen Silber- und Kohlebergbau arbeitete. Damals rutschten die Arbeiter in die Stollen runter. Damit der Po beim Rutsch in die Tiefe nicht zu heiß wurde und die Hose ganz blieb, schnallten sie dieses Leder um.

…in die Textilindustrie…

Öllampe

Transmissionen geschmiert

(Ku75)

Diese Öllampe gehörte einem Kusterdinger, Jahrgang 1870, der über 90 Jahre alt wurde. Der Mann arbei­tete als „Öler“ in der Textilfabrik Leuze in Wannweil. Seine Aufgabe war es, die Transmissionen drei mal täglich zu ölen. Die Transmissionen, über Räder gespannte Riemen, übertrugen die Antriebskraft von der Dampfmaschine oder vom Elektromotor zu den Webstühlen. Schon vor dem offiziellen Arbeitsbeginn um sieben Uhr mußte die Kraftübertragung geölt sein. Wenn der Kusterdinger so früh morgens arbei­tete, war es oft noch dunkel, elektrisches Licht gab es nicht. So war ihm die Lampe ein unabdingbares Hilfsmittel bei seiner Arbeit. Die Lampe brannte mit Öl und hatte einen kleinen Haken, mit dem der „Öler“ sie an seiner Kleidung befestigen konnte, um beide Hände frei zu haben. Da die Tätigkeit ei­nes „Ölers“ selten und ungewöhnlich war, wurde er im Dorf nur der „Öler“ genannt, seine Familie hieß dementsprechend die „Ölers“. Dieser Name hat sich in Ku­sterdingen auch noch gehalten, als der Mann schon gar nicht mehr in seinem Be­ruf arbeitete. 

Haspel und Spulrädle, 1930

Mädchen muß dazuverdienen

(Ki145)

„Du mußt dazuverdienen!“ hieß es für eine 20jährige Kirchentellinsfurterin, als ihr Bruder 1930 aus der Schule kam und die elterliche Landwirtschaft übernahm. Bis dahin hatte die junge Frau die Landwirt­schaft bestellt und zudem ihren kranken Vater gepflegt. Jetzt mußte sie dem Hoferben weichen. Daraufhin nahm sie eine Stelle als Strickerin in einem kleinen Reutlinger Textilgeschäft, das Strickwaren und Unterwäsche führte, an. Zusammen mit einer Kollegin strickte sie Strümpfe und Ersatz­teile für Pullover und Manschetten, die dann im La­den verkauft wurden: „Zwei Personen hatten gerade mal genug Ar­beit um den Laden zu versorgen“.  Je nach Bedarf der Firma gab es seit 1930 mal halbtags oder mal ganztags Arbeit. Als die Firma 1976 schloß, konnten die langjährigen Arbeiterinnen übrige Wolle und Arbeitsge­räte mitnehmen. Von diesen Restbe­ständen bekam die Kirchentellinsfurterin so reichlich Material, daß sie sich daraus noch heute Pullover und Westen strickt. Auch die Haspel und das Spulrädle hat sie jetzt noch in Gebrauch.

Schiffchen für Maschinenweb­stuhl

Rüstungsgüter, Zwangsarbeiter, Stoff als Lohn

(Ki423)

Das Schiffchen stammt von einem Ma­schinenwebstuhl der ehemaligen Kirchentellins­furter Textilfirma Schirm. Ein Kirchentellinsfurter arbeitete dort von 1935 bis 1978. Er erinnert sich noch gut daran, wie dort unter anderem auch Zeltstoffe für den Kriegsbedarf der Wehrmacht gewebt wurden und während des Zweiten Welt­krieges die Firma Bo­sch in den Werkshallen Rüstungsgüter produzierte. Dazu wurden auch Zwangsar­beiter und Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine eingesetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat der Zeitzeuge 1947 der Gewerkschaft Textil und Bekleidung bei und wurde ein halbes Jahr später Betriebsrat. In der Nachkriegs­zeit webte er auch zu Hause in seiner freien Zeit und tauschte die Stoffe beim Metzger und anderen Händlern gegen Nahrungsmit­tel ein. Seine Frau nähte sich aus dem selbstgewebten Stoff ein Kostüm.

…in die Landwirtschaft…

Melkschemel

Auf dem Farren geritten

 (Ki20b, 32)

Ein Mann, der heute in Kirchentellinsfurt lebt, verlor im Alter von drei Jahren seine Mutter, sein Vater war bereits im Ersten Weltkrieg gefallen. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im  Waisenhaus  in Speyer. Danach begann er 1931 eine Lehre als Melker in Oberschlesien. Von 1959 bis 1964 arbeitete er auf dem Hofgut Einsiedel als Melker („Schweizer“), anschließend im Farrenstall der Gemeinde Kirchentellinsfurt. Der Schemel gehörte zur Ausrü­stung eines jeden Melkers: „Der Melkschemel mit einem Bein ist eine Drechslerar­beit mit einem Ansatz fürs Melkfett und wird ange­schnallt“. Als Melkerlehr­ling war er schon auf kleineren Bullen geritten, versuchte es auch auf dem Einsiedel und in Kirchentellinsfurt bei den großen: „Mein Hansi wog 21 Zentner, der größere Bulle mit 23 Zentnern war nicht geeignet. Ich war sehr stolz auf meine Bullen“.

Krautschneider

Im Stundenlohn Kraut geschnitten

(Bo236)

Diesen extra großen Krautschneider ließ sich ein Bodelshäuser anfertigen. Zur Erntezeit begab sich der Weber und Landwirt nach Feierabend zu den Bauern und schnitt in deren Auftrag Kraut. Für den Abend bezahlten sie ihm vier Mark, was für ihn einen wichtigen Ne­benverdienst darstellte.

Hopfenzopfler – Fingerhut

Der „Patentler“ und die „Fruchtkarätschen“

(Hi1/7)

Die Hirrlinger bauten bis etwa 1930 Hopfen an, in Frommenhau­sen gab es sogar bis zum Zweiten Weltkrieg Hopfengärten. Pflanzer und Ab­nehmer waren die Brauereien Krone und Waldhorn. Ein Hin­weis auf die einstige Hopfenkultur sind die Erfindungen des Ingenieurs Linus Hallmayer, den die Hirrlinger „Patentler“ nannten. Unter anderem er­fand er eine Hopfendarre, auf die er sogar das Reichs­patent erhielt. Auch dieser Fingerhut zum Hopfenzopfeln gehört zu seinen Erfindungen.

Eine Hirrlingerin erinnert sich an ihre Jugendzeit, als sie von 1930 bis 1937 zusammen mit Älteren gegen Entgelt zum Hopfenzopfeln nach Frommenhau­sen zur Annastia (genannt Stösel) gingen. Für einen „Simmeres­gratten“ erhielt man 25 Pfennige. Bei die­ser Arbeit leistete der Fingerhut gute Dienste. Er stammt aus dem Familien­fun­dus. Demnach hat man im Haus der Familie früher ebenfalls schon Hopfen gepflanzt und geerntet. In Frommenhausen gesellten sich zu den Lohnpflückerinnen auch ältere Frauen vom Dorf hinzu, die „Fruchtkarätschen“ genannt wurden und umsonst pflück­ten, um so ihre Geschichten und Neuigkei­ten an die Frauen zu bringen. Diese Rätscherinnen zupften fast jeden Tag in einer anderen Scheuer und trugen ihre Neu­igkeiten von Haus zu Haus. Bei der Hopfenernte wurden täglich fast alle gängigen Volkslieder gesungen.

Holzkumpf und Wetzstein

Gebraucht und geflickt

(Hi3/2)

Ein Hirrlinger Steinhauer­meister (1883-1959) nutzte als sparsamer Schwabe seinen abgebrochenen Wetzstein wei­ter, indem er als Handschutz ein Stück Holz ansetzte. Bis zu seinem Tod wetzte er da­mit seine Sense. Danach wurde nicht mehr viel von Hand gemäht, sonst wäre der Stein vielleicht noch heute in Gebrauch.

…Familienbetriebe

Die Bodelshäuser Schäferfamilie, 1912

Leben mit den Schafen

(Bo55)

„Man muß außer der Zeit kochen bei den Schäfern“, so erinnert sich die Tochter der Bodelshäuser Schäferfamilie an ein Leben, das sich nach den Bedürfnissen der Schafe richten mußte. Bei kaltem Wetter bekam der Vater schon morgens um zehn Uhr sein warmes Essen, bei Hitze kam er erst um halb zwei Uhr zu Tisch, „denn dann gehn die Schafe in den Schatten, und dann kann der Schäfer weg“. Vom Frühjahr bis zum Herbst war der Vater abwesend. Au­ßer bei den Mahlzeiten blieb er Tag und Nacht bei der Schafherde. Seine Tochter: „Schäferfrauen sind allein gewesen. Drum haben sie auch früher einen alten Spruch gehabt: `Die Schäferfrauen, die hend bei Nacht koin Ma und bei Tag kei Geld`“. Den­noch wurde der Beruf zur Fa­milientradition. Der Mann der Bodelshäuserin und später ihr Sohn entschieden sich ebenfalls für die Schäferei: „Es gehört schon etwas dazu. Das war im Blut bei uns, von beiden Seiten“.

Der Kirchentellinsfurter Baggersee

Kies und Eis verkauft

(Ki371)

Im Winter 1928/29 beschlos­sen Karl und Ernst Epple, in Kirchentel­linsfurt ein Kieswerk zu erstellen. Sie kauften Grundstücke auf und erbauten das Werk dort, wo sich heute der Bag­gersee befindet. Bereits im Frühjahr begannen sie damit, Kies zu fördern. Die schlimmsten Jahre für das Unternehmen brachte der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Einige Be­triebsangehörige mußten so­fort einrücken, andere später. Von den vorhandenen sechs LKW zog das Militär gleich vier für seine Transportkolonnen ein. Über den geförder­ten Kies verfügten weitgehend das Landratsamt und die Kreis­leitung der NSDAP. Militäranlagen und Rüstungs­betriebe erhielten die umfangreichsten Lieferungen. Nach Kriegsende führte die Firma mit ihren Lastwagen sonntags Flüchtlings­transporte durch. Während der Wintermo­nate, so lange der Baubetrieb ruhte, wurde im Baggersee Eis gesägt. Damit belieferte die Firma Brauereien. Seit 1985 wird in Kirchen­tellinsfurt kein Kies mehr gefördert. Im Zuge der neuen B 27 mußte die Firma Epple den Standort Kirchen­tellinsfurt aufgeben.

Emailleschild der Bodelshäuser Linden­brauerei

(Bo220)

Holzfaß 1910

Pech und Eichmaß

(Bo215)

Das Holzfaß von 1910 stammt aus dem Jahr, in dem der Großvater einer Bodelshäuserin die Wirtschaft „Zur Linde“ an der Hauptstraße samt der da­zugehörigen Brauerei übernahm. Jeden Sommer mußte der Brauer die Holzfässer neu „auspichen“. Dazu erhitzte er Pech in einem speziellen Apparat. Im Hof der Brauerei waren Holzlager aufge­stellt, auf denen Arbeiter die Fässer so lange rollten, bis das Pech erkaltet war. Wegen des Geruchs wurden die Fässer anschließend gewässert und von einem Mössinger Eichmeister neu geeicht, denn wenn Pech in die Fässer kam, ging meist ein halber oder ganzer Li­ter verloren. Früher hatte der Familienbetrieb unter dem Eichwald, wo jetzt das Schützenhaus steht, einen Eiskeller. Das Eis dazu schnitt der Vater im Winter aus dem Weiher. Mit dem Eis wurde dann im Sommer das Bier gekühlt.

Ölflasche

Ölbärbeles Rezept für Kinderschnuller

(Go215)

Alle 14 Tage fuhr einst das „Ölbärbele“ mit ihrem Handwagen durch Gomaringen. Darin standen zwei große Kannen mit Öl, von denen sie einen halben oder ei­nen Li­ter abmaß, je nachdem, wieviel die Kundinnen wollten. Eine Gomaringerin erinnert sich, daß ihre Mutter in dieser Ölflasche überwiegend Mohnöl hatte, das teilweise aus eigener Pflanzung stammte. Den Mohnsamen brachte man dann nach Dußlingen zur Ölmühle, wo er verarbeitet wurde. Sie erinnert sich auch noch an das Rezept für den Mohn­schnuller, den damals viele Kinder als Schlafmittel erhielten, da die Eltern sehr beschäftigt wa­ren. Dafür füllte die Mutter ein Gemisch aus Brot, Zucker und Mohn in ein Leintuch, feuchtete es an und steckte es dem Säugling oder Kleinkind in den Mund. Daraufhin wa­r es brav und schliefen seelig ein.

Kaffeemühle aus einem Laden

Generationen mahlten damit

(Hi16/1)

Die Kaffeemühle stammt aus dem Nachlaß eines Hirrlinger Kolonialwarenhändlers. Mit der Kaffeemühle konnten die Kunden ihren Röstkaffee im Laden selber mahlen. Als der Sohn das Geschäft 1920 übernahm, baute er die Kaffeemühle ab und be­wahrte sie auf. Der Enkel führte den Lebensmittel- und Gemischt­wa­renladen von 1963 bis zur Geschäftsaufgabe im Jahr 1992 weiter.

Rasierklingenschärfer

Neues kaufen sollten die Kunden

(Hi16/6)

Ein Hirrlinger Kolonialwarenhändler, Jahrgang 1892, verkaufte im eigenen Geschäft unter anderem auch Rasierklingen. Das hieß aber noch lange nicht, daß er für seinen eigenen Bedarf auf seine Ware zurückgreifen wollte. Nein, dazu war sie dem genügsamen Mann viel zu schade! Zum eigenen Gebrauch benutzte er zu Hause diesen Rasierklingenschärfer mit Schwungantrieb. Der sparsame Schwabe schärfte damit die einzelnen Klingen, bis sie völlig abgenutzt waren. Neue Klingen sollten nur die Kunden kaufen.

Schreibmaschine

Den Vater mit drei Jahren zuletzt gesehen

(Go121)

Diese Schreibmaschine erinnert einen Gomaringer an seinen Vater, den er nie so richtig kennengelernt hat. Der Vater war selbständiger Schlosser und kaufte das Gerät 1935 für sein Büro. Im Krieg ist der Schlosser gefallen. Seine Witwe verlieh danach die Maschine an einen Kaufmann. Als der Sohn dann in der Schule Maschi­nenschreiben lernte, bekam er sie wieder zurück. Er sagt: „Meinen Vater sah ich zuletzt 1944, als ich drei Jahre alt war“. Dem Beruf des Vaters, den schon der Großvater ausgeübt hatte, blieb auch er treu.

Drei Hobel

Von Meisterstücken und Kunststoffässern

(Go 9; Go7a,b)

Für die Gomaringer Schüler hörte am 15. April 1945, kurz vor dem Einmarsch der Franzosen, die Schule auf. Während zwei Drittel der Klasse später noch für ein halbes Jahr die Schule beendeten, fing der Rest gleich mit einer Lehre an. So auch der Besitzer dieser Hobel. Er durfte mit einer Ausnah­megenehmigung der Innung seine Küferlehre beim Vater im Oktober 1945 beginnen. Vier Jahre später fertigte er sein Gesellenfaß an. Nach dem Besuch der Meisterschule in Betzingen lieferte er 1955 innerhalb von vier Tagen ein 610 Literfaß als Meisterstück ab. Im­mer wieder unterbrochen durch andere Beschäftigungen, produzierte er zusammen mit dem Vater Fässer für Go­maringer und Aus­wärtige, etwa 40 Stück pro Jahr. Mitte der 50er Jahre war der Nachholbedarf an Mostfäs­sern, der sich durch den Krieg angestaut hatte, gedeckt, die Nachfrage sank rapide. Von 1955 bis 1960 arbeitete der Gomaringer Küfer deshalb als ei­ner von vier Gesellen bei einer Faßfabrik in Mössin­gen, die jährlich 1300 Bierfässer produzierte. Als auch dort das Geschäft zurückging, fing er 1961 bei einer Gomaringer Maschinen­fabrik an. Nebenher betrieb er die Küferei, die es schon seit über 100 Jahren im Ort gab, weiter. Als dann vor etwa 20 Jahren neuartige Kunststoffässer auf den Markt kamen, bekam er praktisch keinen Auftrag mehr. „Ich hätte nie gedacht, daß das mit den Kunststoffässern so schnell gehen würde“, meint er.

Hausarbeit

Waschbrett

Wäscheblau, das nimmt der Wäsche Grau

(Ku253)

Wäschewaschen war eine anstrengende, aufwendige Ar­beit, mit der Frauen alle vier Wochen für zwei bis drei Ta­ge vollauf be­schäftigt waren. „Meine Güte, ist das ein Heidengeschäft gewesen“, entsinnt sich eine Kusterdingerin. „Im Zuber, in dem sonst die Kinder gebadet wurden, haben wir die Wä­sche eingeweicht, anschlie­ßend etwas ausgewaschen und am anderen Tag mit warmem Wasser von Hand ge­waschen, dann zweimal ausgespült“. Da die Familie zu der Zeit noch keine Wasch­küche hatte, kochte sie die Wäsche vor dem Haus. Mit einem Stempel wurde die Wäsche weiterbearbeitet, danach auf einem Waschbrett gescheuert und anschließend auf dem Waschtisch gebürstet. Dem Spülwasser fügte man ein wenig „Wäscheblau“ zu, um vergilbte Sachen aufzufri­schen. Manche Hemden des Vaters wurden zum Stärken und Bügeln zu einer Frau im Ort gebracht.

Holzkohle-Bügeleisen

Die Probe mit dem feuchten Finger

(Mö45)

Wieviele Umstände früher mit der Bügelarbeit verbunden waren, beschreibt eine Mössinger Schülerin: „Meine Oma bekam dieses Bügeleisen 1930 zur Aussteuer bei ihrer Hochzeit. Holzkohle hat man beim Bäcker in einem alten Blecheimer geholt. Man hatte einen Herd, den man mit Holz feuerte. Die Kohle vom Bäcker wurde in das Bü­geleisen gelegt, darauf die heiße, fast brennende Kohle vom Herd. Dann wurde durch Schwenken des Bügeleisens die gesamte Kohle erhitzt und fast brennend gemacht. Um zu se­hen, ob man die richtige  Temperatur hatte, machte man den Finger ein wenig feucht und strich vorsichtig über die Bügelsohle. Wenn es zischte, war es die richtige Temperatur. Meine Oma kam einmal an das gerade geheizte Bügelei­sen, und es fiel auf den Boden. Man hatte damals Holzböden“.

Stickschablone, Pinsel, Farbe

Stich um Stich für die Aussteuer

(Ku86)

Vor 50 Jahren kaufte eine Kusterdingerin diese Schablonen in einem Weißwarengeschäft. Sie benutzte die Kupferschablonen, um alle Tischdecken, Leintücher, Kopfkissen und Steppdecken ihrer Aussteuer mit Monogrammen zu besticken. Mit dem Pinsel strich die junge Frau über die Farbe, legte die Schablone auf den Stoff und pinselte darüber, wodurch sie dann einen farbigen Buchstaben auf dem Stoff erzielte, den sie anschließend ausstickte. Auf das Paradekis­sen stickte sie ganz groß in der Mitte den Namen ein. Eine der Schablonen ist ausgeglüht, weil sie während eines Bombenangriffs im Zweiten Weltkrieg im Feuer lag. Das Haus, in dem die Familie damals in Stuttgart wohnte, wurde von einer Bombe getroffen und brannte aus. Nach dem Löschen durchsuchten sie die Trümmer nach Brauchbarem und fanden auch diese Schablone.

…Individuelle Berufswün­sche…

Fotoapparat und Foto aus einem Atelier, 20er Jahre

Sächsisch gesprochen, Schwäbisch gelernt

(Bo443,444)

Schon wäh­rend ihrer Schulzeit verfolgte eine Frau, die später nach Bodelshausen zog, die Fotografie als Hobby. Eine Leidenschaft, die sie mit ihrem Vater teilte. Ihr Hobby machte sie 1935 zum Beruf und stu­dierte an der „Lehranstalt für Licht­bildwesen“ in München. Aus der Studienzeit stammt auch das Foto. Es zeigt die spätere Bodelshäuserin, wie sie gerade mit einer 18×24 Kamera ihre Eltern fotogra­fiert.

In München war sie häufig in Straßenbahnen zu Museen, Be­hörden, staatlichen Stellen und Schaufenstern unterwegs, um dort zu fotografieren. Trotz der großen Kameraausrüstung, welche die junge Frau trug, half ihr niemand. Damals wäre das sonst durchaus üblich gewesen. Sie führt die Unhöflichkeit der Münchner darauf zurück, daß ihr sächsischer Dialekt Anstoß erregte. Deshalb lernte sie später auch Schwäbisch. Schaufenster mußte sie morgens um 6 Uhr ablichten, um Spiegelungsef­fekte der Sonne in den Scheiben auszuschalten. Als sie 1937 in einem Stuttgarter Fotolabor zu arbeiten begann, fand sie den Beruf bald zu langweilig, weshalb sie zur Landesbild­stelle wechselte. Dort führte sie bis zum Kriegsende die Fo­toabteilung. Sie ar­beitete unter anderem für das Planungs­amt in Stuttgart und fotografierte die Gartenschau.

Selbstporträt des Bodelshäu­ser Malers Gustav Nill

Ein begabter Schneider und sein Schicksal

(Bo527-536)

Sein Talent als Zeichner entdeckte der Bodelshäuser Gustav Nill, der am 19. Juni 1903 geboren wurde, während einer Schneiderleh­re im väterlichen Handwerksbetrieb. Zwei Semester lang besuchte er dann 1922 die Kunstakademie in Tübingen und arbeitete seitdem nebenberuf­lich als Kunstmaler und Bildhauer. Fabrikanten aus Bodels­hausen und Umgebung beauf­tragten den Schneider, ihre Anwesen und den Heimatort in Öl zu verewigen. Privatleute ließen von ihm Landschafts­bilder und Porträts zeich­nen, unter anderem als Hochzeitsgeschenk. Gustav Nill zeichnete mit Vorliebe Por­traits und Landschaften in Kohle, Aquarell, Tusche und Öl. Merkmal sei­ner Bilder sind die hellen und harmonischen Farben. Als Krug- und Tellermaler arbeitete er 1938 für ein halbes Jahr in einer Ke­ramikmanu­faktur in Zell am Harmersbach, wo der Verdienst jedoch nicht seinen Erwartungen entsprach. Gustav Nill wurde 1940 zum Militärdienst eingezogen und ist am 29. Juli 1944 bei Brest in der Bretagne ge­fallen, wo er auf einem Soldatenfriedhof beigesetzt wurde.

Feierabend

Altes Kugelspiel

Feierabendspaß im Hirrlinger „Kaiser“

Hi19/3

Nach Feierabend trafen sich die Stammgäste des früheren Hirrlinger Gasthauses „Kaiser“. Heute ist in dem Gebäude die Kreissparkasse untergebracht. Oft spielten sie dieses Kugelspiel, zu dem noch drei Kugeln gehören. Die Einsätze reichten von einem bis zu zehn Pfennigen.

Spielkartenpresse

Karten wie gedruckt

Bo284

Die Kartenpresse wurde im Schutt des Bodelshäuser Gasthauses Löwen gefunden. Wenn die Karten nach dem Spielen abgegriffen waren, legte sie der Wirt über Nacht in die Presse, damit die Stammgäste am nächsten Tag wieder mit schönen, glatten Karten spielen konnten.

NS-Regime und Krieg

Das NS-Regime konnte von An­fang an nur mit verbrecherischen Me­thoden existieren. Millio­nen von Juden, Sinti, Ro­ma, Homose­xuellen, An­gehörigen religiöser Sek­ten, Ordensgeistlichen, Pfar­rern, politischen Geg­nern, Behinderten sowie sogenannten „Arbeits­scheuen“, „Gewohnheitsverbrechern“ und anderen Personengruppen wurden anfangs ausge­grenzt und entrechtet, später verfolgt, depor­tiert und in Konzentrationsla­gern ermordet. Gleich zur Reichstags­wahl im März 1933 nach der Macht­übergabe an Hitler setzten die National­soziali­sten staatlich legi­timierte Terror­methoden gegen Oppositionelle ein. Aus dem Landkreis Tü­bingen kamen damals viele Kommunisten und Sozialdemokraten in ein „Schutzhaftlager“ auf dem Heu­berg bei Stetten. Dieses Lager ist mit den Konzentrations- und Vernich­tungslagern der 1940er Jahre, deren Ziel die Ermordung Deportierter war und zu de­nen beispielsweise Dachau oder Auschwitz ge­hörten, nur bedingt zu ver­gleichen.

Die Rassengesetze des Dritten Reiches schlossen seit 1935 vor allem jüdische Familien vom öffentlichen Leben und von vielen Berufen aus. Zum Programm der Nationalsozialisten gehörte von An­fang an die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Spitzenvertreter oberster Reichs- und Parteidienst­stellen organisierten in der „Wannsee – Konferenz“ am 20. Januar 1942 die planmäßige Deportation und Vernichtung der jüdi­schen Bevölkerung.

Im „Dritten Reich“ waren Rathaus, Gemeinderat und alle anderen Institu­tionen des öffentli­chen Lebens wie auch die Ver­eine „gleichgeschaltet„, sie stan­den im Dienst der NS-Ideolo­gie. Hakenkreuz­fahnen, Hitler­gruß, Hit­lerbilder, Hitlerlinden, Hitler-Straßen prägten den Alltag. Nationalsozia­listische Propagan­dafeste wie am 1.Mai, „gleichgeschaltete“ Mas­senmedi­en wie Zeitung, Film und Volks­empfänger durchdrangen das ganze Leben.

Seit der Machtübernahme durch die National­soziali­sten wurden auch viele junge Männer zum Reichs­arbeitsdienst, junge Frauen zu einem sogenannten „Pflichtjahr“ in der Land- oder Haus­wirtschaft einge­zogen. Vor allem gezielte Kriegsvorberei­tungen wie der Aufbau der Rü­stungsindustrie und der militärisch motivierte Straßenbau schufen Lehrstellen und Arbeits­plätze. Wer bis dahin nicht gewußt hatte, wie er für sich und seine Familie das Essen verdienen sollte, war froh über die­sen Aufschwung.

Mit dem deutschen Angriff auf Polen begann 1939 der Zweite Weltkrieg, der insgesamt über 50 Millio­nen Menschen das Leben kostete. Während die Männer an der Front wa­ren und viele dort umka­men, leisteten die Frauen zu Hause doppelte Arbeit auf den Feldern und in den Fabriken. Französi­sche, polnische, russische und andere Kriegsgefange­ne oder Fremdarbeiter mußten auch im Land­kreis Zwangsarbeit lei­sten.

Viele Lebensmittel und Kleidungs­stücke gab es nur noch gegen Bezugsscheine und Lebensmittelkar­ten. Im Laufe des Krieges wurden Städter wegen den Bomben­angriffen der Alliierten aufs Land evakuiert.

Hitlers Buben…

„Hitlerbüble“

Der SA-Mann und sein Büble

(GFA100)

Das „Hitlerbüble“ saß streng gehütet in der Wohnzimmervitrine eines Gomaringer SA-Mannes. Seine Kinder sollten die Puppe, die er ihnen als Vorbild präsentierte, hinter Glas betrachten und sie beim Spielen ja nicht beschädigen. Nur zu besonderen Anlässen wurde das Hitlerbüble aus seiner Vitrine ge­holt und durfte dann direkt bestaunt und berührt werden. Von seinem Sohn erwartete der Nationalsozialist, daß er sich als echter Hitlerbub erwies. Wenn die Fa­milie sonntags zusammen aus­ging, bestand der Vater darauf, daß sich der Junge, der mit zehn Jahren dem Jungvolk beigetreten war, in Uniform zeigte.  Mit ganzem Stolz erfüllte es ihn, als sein Kind im Alter von 16 Jahren Soldat  wurde.

Flöte des Jungvolks

Die Mutter ins KZ bringen?

(Ku402)

„Büble, du und dein Hitler“, das hörte ein Kusterdinger Schüler im Dritten Reich nicht nur einmal von seiner Mutter. Er bezeichnet seine damalige Haltung als die ei­nes Hitler-Fanati­kers. Die abgebildete Flöte spielte er während seiner Dienstzeit in der Hitlerjugend. Seine regimekritische Mut­ter zog ihn mit Niederlagen, etwa der von Stalingrad, so auf, daß er ihr einmal drohte: „Wenn du net mei Mutter wär­sch, no det i die ins KZ bringa“. Von der Ermordung der Juden habe er damals freilich noch kein klares Bild gehabt. Er habe aber schon Hinweise beobachtet, etwa von SS-Männern bewachte, geschlossene Ka­stenwa­gen. Darin hätten sie Juden abtransportiert.

Auch das Schicksal ei­nes Schulfreundes geht dem Kusterdinger, der seinerzeit in der Gegend von Ulm wohnte,  nach wie vor sehr na­he. Dessen Vater sei Sozialdemokrat gewesen und wäre ins KZ nach Dachau gekommen. Ihr Lehrer war damals Ortsgruppenleiter der NSDAP, über seinen Schreibtisch ging sämtliche amtliche Post. Eines Tages las er ein soeben eingetrof­fenes Schreiben der versam­melten Klasse vor. In dem Brief teilte die Leitung des Konzentrationslagers Dachau mit, daß der Vater des Freundes an einer Lungenentzündung gestorben sei; sollte die Witwe Anspruch auf seine Asche er­he­ben, so müsse sie 300.- Reichsmark („ein Haufen Geld damals“) überwei­sen. Das war für den Freund die erste Nachricht vom Tod des Vaters, der NSDAP-Lehrer trug sie hämisch vor, der unvorbereitete Schüler brach weinend zusammen. Der Ku­sterdinger er­innert sich: so habe er noch niemanden weinen hören, er selbst habe mitheulen müssen. Richtig realisiert hat der Kusterdinger das Verbre­chen an den Juden aber erst 1947, als er dabei war, wie Kranke in der Anstalt Stetten ihre Erlebnisse im Zusammenhang mit der Euthanasie nach­spielten.

FIS – Flöte, 1940er Jahre

Der Hitlerbube und die Halbjüdin

(Ku401)

Diese Flöte festigte die Beziehung  zwischen einem Hitlerjungen, der damals in der Nähe von Ulm lebte, und seiner halbjüdischen Flötenlehrerin. Obwohl die Eltern während des Zweiten Weltkrieges eigentlich kein Geld hatten, kauften sie ihrem Sohn die Flöte. Zu verdanken hatte er dies der Mutter einer Schulfreundin. Die Frau war Halbjüdin, was zur Folge hatte, daß sie vielen Repressionen ausgesetzt war und unter anderem keine Brotmarken erhielt. Trotzdem schaffte sie es, sich und ihre Tochter durch die Zucht von Angorahasen zu ernähren. Bei ihr nahm der Hitlerjunge Musikunterricht. Die Halbjüdin er­innert sich noch heute daran, daß ihr Flötenschüler immer betont habe, drei „H“ seien wichtig in sei­nem Leben: Heiland, Hitler und – das Dritte fällt ihr und ihm nicht mehr ein. Trotzdem überwog zwischen den beiden eine persönliche Beziehung, in der der begeisterte Hitlerjunge die Rassenpropaganda in den Hintergrund stellen konnte. Sie lehrte ihn das Flötenspiel und er war dankbar, daß sie seinen Vater überzeugt hatte, die Flöte zu kaufen.

Jacke des Jungvolks

Mußte jeder mitmachen?

(GFA101)

Als Zehnjähriger trat ein Gomaringer 1937 dem Jungvolk bei: „Als Bub mit zehn Jahren habe ich das getragen, das kurze Kittelchen“. Sein Vater, der selbst Mitglied der SA war, diente ihm als Vorbild für soldatischen Eifer. Der Junge spielte von 1937 bis 1941 beim Fanfarenzug des Jungvolks mit und hatte dort unzählige Auftritte, da die nationalsozialistische Jugendorganisati­on ihre kindlichen Mitglieder so oft wie möglich mit militäri­schem Zeremoniell trai­nierte. Bis heute ist dem Zeitzeugen der körperliche Drill und das Leben in Jungvolk und HJ im Gedächtnis geblieben. Er ist der Überzeugung, daß seine Mitgliedschaft in den nationalsozialistischen Jugendorganisationen unausweichlich war: „Mit zehn Jahren mußte man zum Jungvolk, da beißt keine Maus keinen Fa­den ab, ob der Vater un­terschrieben hat oder mit­gemacht hat, der ist nicht gefragt worden, gell. Da mußte jeder“.

Tatsächlich legten die Nationalso­zialisten besonderen Wert auf die regimekonforme Erziehung der Jugend. Schule, Jungvolk, Hitlerjugend, Bund deutscher Mädel und andere Organisa­tionen schworen die Kinder und Jugendlichen auf die Na­ziideologie ein. Die Hitlerjugend galt spätestens seit 1936 als zentrale Organisa­tion der Jugenderziehung schlechthin. Vor Elternhaus und Schule war sie für die „körperlich – geistige und sittliche Erziehung der Jugend“ zuständig und diente der „vormilitärischen Ertüchti­gung“. Die Militari­sierung der Jugend drückt sich beispielsweise in solchen Kinderuni­formen aus.

Westwallorden

Ein Schaffner steckt ein

De206

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden auch Mitglieder der Hitlerjugend zur Mitarbeit am Westwall kommandiert. Der Westwall diente als Befestigungslinie gegen Frankreich. Für den Arbeitseinatz gab es den Westwallorden. Die Nationalsozialisten setzten solche Symbole geschickt für ihre Zwecke ein, um damit eine nationalistische und kriegsbereite Stimmung zu erzeugen. Als HJ-Junge, so erzählt ein Dettenhäuser, trug man solche Orden voller Stolz. Einmal sei er während des Krieges in einem Zug gefahren, wo ihn der Schaffner wegen irgend einer Kleinigkeit anschnauzte. Da sei ihm ein mitreisender Offizier, der das Ritterkreuz, eine der höchsten Auszeichnungen, trug, beigesprungen. Der kanzelte den Schaffner ab, indem er auf die Auszeichnung des Jungen verwies und den Bahnbeamten fragte, was er denn schon geleistet habe.

Schulheft 1942/43

Nationalsozialisten diktieren mit

(GFA179)

Dieses Schulheft legt davon Zeugnis ab, wie weitgehend die Lehrerschaft im NS-Regime die Botschaften des Nationalsozialismus transportierte. Nach seinem Volksschulabschluß begann ein Gomaringer 1942 eine Ausbil­dung als Stricker. Im Heft, das er in der gewerblichen Berufsschule 1942/43 führte, beschreibt er in einem Aufsatz zum Thema „Was sich während der Sommerferi­en zugetragen hat“ die schweren Kämpfe bei Stalingrad. Auch in Diktaten, zum Beispiel über „Gesunde Ju­gend – wehrhafte Männer“, transportierten Lehrer die nationalsozialistische und kriegstreiberische Ideologie. Ein anderes Diktat über „Vererbung und Blutschutz“ ist im Zeichen des Massenmords an diskriminierten Bevölkerungsgruppen zu sehen.

Zwei Schülerzeichnungen 1942 – 1944

Panzer und Sturzkampfbomber

(Ku398

Als überzeugter Hitlerjunge malte ein Kusterdinger, der seine Schulzeit in Herrlingen bei Ulm verbrachte, diese Bilder in der sechsten und siebten Klasse. Sechzehn Bilder hat er bis heute aufbewahrt, wovon zehn Motive intensiv vom Krieg und der nationalsozia­li­stischen Propaganda geprägt sind. Die Vorlagen für Bilder von Sturzkampfbombern oder feuernden Panzerspähwagen fand der Schüler in den Kriegsbe­richten der Tageszei­tung. Seinen jugendlichen Fanatis­mus behielt der Zeitzeuge auch noch bei, als der Krieg zu Ende war. Da zog ihn seine Mut­ter wegen der Niederlage seiner Vorbilder auf. Aber er stand stramm, erhob den Arm zum Hitlergruß und sagte „Japan lebt noch“. Als die Amerikaner Filme über Konzentrationslager vorführten, hätten er und seine Kameraden sich halb tot gelacht. Erst ein bis zwei Jahre später habe er nach und nach das ganze Aus­maß der Verbrechen des Dritten Reiches erkannt und sei zum überzeugten Pazifi­sten ge­worden. Seine Verblen­dung führt der Kusterdinger auf die national­sozialistische Erziehung in Jungvolk, Hitlerjugend und Schule zurück. Auch die permanente Propaganda in den Me­dien und im öffentlichem Leben habe ihn zur Begeisterung verführt. Aus dieser Einsicht leitete der Zeitzeuge für seine eigene pädagogische Tätigkeit als Lehrer eine besondere Verantwort­ung ab.

…Mädchen

Halstuch des BdM

Ein mutiger Austritt

(Bo64)

Bereits als Zwölfjährige trat eine Bodelshäuserin den „Jungmädchen“ bei, dann aber auch ganz schnell wieder aus. Aus dieser Zeit stammt das Halstuch, das zur Uniform des „Bund deutscher Mädel“ (BdM) gehörte. Diese bestand weiterhin aus ei­nem dunkelblauen Rock mit einer weißen Bluse, braunen Halbschuhen, zu denen man im Sommer weiße „Söckle“ trug. Die Vereinnahmung durch die nationalsozialistische Jugendorganisation wurde der Bodelshäuserin bald zu viel: „Ich hatte keine Zeit dazu, zweimal die Woche dorthin zu springen“. Als sie austreten wollte, drohte ihr die Führerin an, daß sie Strafe zahlen müsse, wenn sie nicht mehr käme. Daraufhin nahm das junge Mädchen seinen ganzen Mut zusammen und erwiderte: „Dann streichen Sie mich bitte trotzdem!“ Von seiner Mutter konnte es keinen Rückhalt erwarten, denn ihr machte dieser Entschluß ganz schön Angst: „Deswegen sperrt man Dich noch ein!“

… und Mütter

Mutterkreuz

Gebären für den Krieg

(GFA 193)

„Im Hitlerreich da sollte jede Familie mindestens sechs, sieben, acht Kinder ha­ben und womöglich viele Jun­gens dabei, die Soldat geworden sind, die man tot schießen kann. Die Mädchen sollten dann wieder viele Kinder kriegen, das ist al­les so richtig durchdacht gewesen. Darum hat man für die deutsche Mutter das Mutter­kreuz gemacht“. Ein Gomaringer schildert hier aus seiner heutigen Sicht die Familienpolitik seit 1933. Tatsächlich zielte die re­striktive Frauenpolitik des NS-Regimes darauf ab, die männliche Vorherrschaft in Staat und Gesellschaft zu festigen und durch eine aggressive Geburtenpo­litik den Krieg vorzubereiten. Das Mutterkreuz sollte nicht nur als Ansporn dazu dienen, daß Frauen so viele Kinder wie möglich produzierten, sondern war zugleich auch Mittel der mörderischen Diskriminierungspolitik. Jü­dische Frauen, Mütter behinder­ter Kinder oder als „asozial“ definierte Mütter galten als nicht wür­dig, mit dem Mutterkreuz ausgezeichnet zu werden. Das von der Bevölkerung als „Kaninchenorden“ bezeichnete Abzeichen wurde in drei Stufen verliehen: in Bronze ab vier, in Silber ab sechs und in Gold ab acht Kindern.

Kleiner Ariernachweis

Warum keinen Widerstand geleistet?

(De8)

Um in die NS-Frauenschaft aufgenommen zu werden, brauchte die Mutter einer Dettenhäuserin einen Ariernachweis. Der Geburtsname der Mutter klang seinerzeit in den Ohren von Nationalsozialisten „verdächtig“ jüdisch. Ein Verwandter versuchte diesem scheinbaren „Makel“ entgegenzuwirken, indem er seine Tochter „Ary“ nannte, um die arische Abstammung nachzuweisen.

Aber zurück zu der Dettenhäuserin. Als ihre Tochter sie einmal fragte, „wieso sie keinen Widerstand geleistet hätte“, erklärte sie: „Wir waren zum einen noch zu jung, zum anderen stamme ich aus einer Arbeiterfamilie ohne diese politische und intellektuelle Bildung, wie sie zum Beispiel Sophie Scholl hatte. Wir glaubten, was uns vorgebetet wurde. Und als wir ins Großdeutsche Reich `übernommen` wurden, ging es uns erstmals besser, denn zuvor herrschte große Arbeitslosigkeit. Wir waren im BDM und in der HJ. Wir trugen eine Uniform, blaue Röcke, weiße Bluse und diese `Affenlederjäckchen`. Da wir aber arm waren, bekam ich keine solche Jacke. Einmal war der Führer bei uns in Zwickau, um die Bunkerlinie zu besichtigen. Manchen gab Hitler die Hand, die haben sich dann wochenlang die Hand nicht gewaschen“.

Gleichschaltung

Volksempfänger

Die Goebbelschnauze und der Krieg

(Mö20)

Eines Tages hörte die Familie, der dieser Volksempfänger gehörte, Nachrichten. Da das Radio die ganze Zeit brummte, drehten sie an dem Entbrumm­knopf und verstanden nur einzelne Wörter. Eines davon war „Krieg“. Später erzähl­ten die Nachbarn, daß Krieg ausgebrochen war, der Zweite Weltkrieg. Ein Mössinger Schüler hat sich von seinem Großvater dieses Erlebnis und die weiteren Erinnerungen an den Radioapparat erzählen lassen: „Man nannte diesen Radioappa­rat auch ‚Goebbelschnauze‘ nach dem Reich­spropagandami­nister Goebbels. Er war ein Minister von Adolf Hitler. Der Volksempfänger war das Radio des ‚kleinen Mannes‘ und verhältnismäßig billig. Das heißt: jeder konnte das Gerät kaufen, egal, wie arm er war. Für die Nazis war das Radio die Möglichkeit, an die Menschen heranzukom­men. Der Apparat stammt aus dem Jahre 1938. Man findet darauf noch den Adler mit dem Hakenkreuz und einen Hinweis zum Entbrummen. Alle Radios brummten damals, weil es noch keine so ausgefeilten Techniken gab wie heute. Das Ra­dio wurde hinten an dem He­bel eingeschal­tet. Den Sender suchte man auf dem vorderen Rad. Rechts ist die Feinab­stimmung, links der Lautstärkeregler. Die meisten Sendungen gingen da­mals von Berlin aus. Die An­sage lautete immer: ‚Hier spricht Berlin, hier spricht Berlin

„.

Der Rundfunk stellte für die Na­tiononal­sozialisten  das wichtigste Medium zur Massenbeeinflussung dar. Nach der Machtübergabe an Hitler 1933 wurde der Rundfunk gleichgeschaltet und Goebbels Reichspropagandaministerium unterstellt. Um möglichst jeden Haushalt in die Propaganda einzube­zie­hen, forcierte das Naziregime die Herstellung und Verbreitung der Rundfunkge­räte und setzte ein Preis­dik­tat für den Volksempfän­ger fest: 1933 durfte er 79 Reichsmark kosten, 1937 nur noch 59 Reichsmark. Vor allem die Reden Hitlers und anderer Parteifunktionäre übertrug der Rundfunk in kleinste Orte, wo die Übertragung mitunter als öf­fentliches Er­eignis insze­niert wurde. Betriebsleiter sollten dann die Arbeit in den Fabriken unterbrechen und alle Arbeiter zum Gemeinschafts­empfang versammeln.

Kunstfahrmaschine

Lieber alles aufessen

(Bo227)

Wie viele andere Einrichtungen, die nicht der nationalsozialistischen Ideologie entsprachen, mußte sich auch der Arbeiterrad­fahrverein Bodelshausen nach Hitlers Machtergreifung 1933 selbst auflösen. Das vergesse er gar nie, betont ein Bodelshäuser Zeitzeuge, „das war schon im Sommer ’33, wo der Hit­ler erst ein viertel oder ein halbes Jahr an der Macht war“. An diesem letzten Tag trainierten die Kunstfahrer morgens noch ein letztes Mal für eine große Abschiedsvorstellung. Als die Radler dabei mit vier Kunstfahrmaschinen im Waldhornsaal Rei­gen fuhren, sprang plötzlich ein Athlet einem anderen aus lauter verzweifeltem Übermut mit einem Satz  ins Genick. Am Ende der halsbrecherischen Szene lag das Zahnrad des Tretlagers auf dem Boden und der Rahmen war an zwei Stellen gebrochen. Da mittags  ein Reigen mit vier Ma­schinen geplant war und jetzt nur noch drei übrig blieben, standen die Sportler erstmal ratlos herum „Was sollen wir tun?“, lautete die Frage. Schließlich fuhren zwei Männer mit einem Fahrrad nach Stetten und liehen eine Maschine aus. So konnte der Reigen doch noch ge­fahren werden. An diesem Tag wurde auch das gesamte Vereinsvermögen bis auf die vier Saalma­schi­nen und ein Horn versteigert. Nach der Versteigerung trafen sich die ehemaligen Mitglieder im Waldhornsaal zu einem Fest, wo sie das kapitalisierte Vereinsver­mögen „versoffen“, damit es wenigstens keinem anderen in die Hände fiel. „Man hat gesagt, gut, jetzt macht man noch ein Fest, und dann essen und trinken alle Vereinsmitglieder kostenlos“. 

Das Buch „Hanseaten“

Eingestampfte Literatur in den Papierfabriken (Tü68)

Auf Veranlassung der nationalsozialistischen Regierung wurden seit 1933 aus den Bibliothe­ken alle Bücher jü­discher Autoren entfernt und vernichtet. Zu dieser Zeit arbeitete der Ehemann einer Tübinger Zeitzeugin in einer Papierfa­brik bei Berlin. Lastwagen karrten tonnenweise Bücher dorthin, die eingestampft werden sollten. Heimlich nahm der Beschäftigte einige Exem­plare, darunter auch dieses Buch von Rudolf Herzog mit dem Stempel „Aus der Volksbücherei Berlin-Pankow entfernt“, mit nach Hause.

Reichsarbeitsdienst (RAD)

Spaten des Reichsarbeits­dienstes

Für den Reichsparteitag exerziert

(GFA51)

Der Besitzer des Spatens rückte 1940 in Abtsgmünd bei Aalen zum Reichsarbeitsdienst (RAD) ein, wo er zu­erst eingekleidet wurde und am zweiten Tag den Spaten bekam. Dieser trägt die Auf­schrift „Ruhr-Spaten“. Für die Ausstellung „Erlebte Dinge“ malte der Besitzer auf das Erinnerungsstück „RAD 1940“. Der sogenannte „Reichsarbeitsdienst“ war 1935 geschaffen worden, als alle Deutschen zwischen 18 und 25 Jahren beiderlei Ge­schlechts zu einem halbjährigen Arbeitsdienst ver­pflichtet wurden. Ursprüng­lich sollten die Männer des RAD vor allem Böden kultivieren und Straßen bauen, ab 1938 mußten sie auch militärische Hilfsdienste leisten. Der RAD gehört zu denjenigen Organisatio­nen, mit deren Hilfe der na­tionalsozialistische Staat das gesamte Leben ideolo­gisch durchformte und die Gesellschaft militarisierte. Gleichzeitig sorgte diese Dienstpflicht dafür, die Ar­beitslosigkeit abzubauen beziehungsweise zu verschleiern. Die Bevölkerung sollte in dem militärisch strukturierten Arbeitsdienst disziplinie­rt werden, und schließlich standen der NS – Regierung billige Arbeitskräfte zur Verfügung.

Der Dienst beim RAD be­stand aus Arbeit und vormilitäri­schem Drill. Bei Abtsgmünd half der Gomaringer dabei, mit Hilfe von Draina­gen und Entwässerungsroh­ren ein großes Ackerland trockenzulegen. Mit dem Spaten arbeitete er am Vormittag auf der Baustelle, dann gab es eine Stunde Mittag, am Nachmittag wurde exerziert, da mußte der Spaten spiegel­blank sein. Für die Ausstel­lung wollte der Besitzer den jetzt auf dem Äckerle gebrauchten Spaten wieder wie früher polieren, ist mit dem Ergebnis aber kei­neswegs zufrieden. Der Drill war zwei Monate vor dem Reichs­parteitag der NSDAP in Nürnberg besonders intensiv, er dauerte den ganzen Tag über. Mit dem Spaten exerzierten die RAD-Männer wie mit einem Gewehr: „Spaten habt acht“, „Spaten über“, „Spaten ab“ hießen die Kommandos, die der Besitzer noch immer vorexer­zieren kann. „Und dann sind wir dagestanden, stunden­lang“, erinnert er sich. In Nürnberg marschierten ausgewählte RAD-Männer, die 1,75 Meter groß waren, im Stechschritt an der NSDAP-Spitze vorbei, der Gomaringer mit dabei.

Auch an den geringen Lohn erinnert sich der Zeitzeuge genau: 25 Pfennige gab es am Tag, alle 10 Tage war Löhnungsappell. Der Feldmei­ster als Führer der Truppe stand neben der Kasse, als die 2,50 Mark ausbezahlt wurden. Den Sold gab es in einer Münze zu zwei Mark und einem 50 Pfennigstück. Neben der Kasse standen Spendenkas­sen von Winterhilfswerk und Ro­tem Kreuz und jeder mußte etwas hineingeben. Kein Arbeits­dienstmann traute sich, da­für aus dem Geldbeutel 10 Pfennige herauszuholen, son­dern nahm das 50 Pfennigstück für die obligatori­sche milde Gabe. Ganz schön raffiniert ausgedacht findet der Gomaringer heute dieses Arrangement. So blieben für die kommenden zehn Tage nur noch zwei Mark übrig. Da­von mußte dann noch auf dem Markt Putzzeug für Spaten und Koppel gekauft werden, so daß noch ei­ne Mark blieb. „Und von der Mark, da trank man noch ein Glas Bier und sonst ein bißchen was“.

Armbinde mit Hakenkreuz

Arbeitsmänner an die Front

(GFA185)

„Der Sinn vom Arbeitsdienst war schon ein bißle eine vormilitärische Ausbildung“, berichet ein Gomaringer Zeitzeuge, der 1944 sechzehnjährig in eine Kriegsabteilung des RAD eingezogen wurde. „Am Kriegsende, da haben wir keinen Spaten mehr gekriegt“. Anstatt Sümpfe trocken zu legen, fuhr seine Einheit am 8. Februar 1945 mit schweren Flakgeschützen vom Stuttgarter Güterbahnhof aus an die polnische Grenze. Die Armbinde wies sie als Kriegsteilnehmer aus. Sie war wichtig, um bei einer Gefangennahme nicht als Partisan zu gelten. In Schlesien mußten die Soldaten freilich zur besseren Tarnung die Armbinde abnehmen: „denn das Rot leuchtete so“.

Tasse des Arbeitsdienstes

Ruinierte Gesundheit

(Ku166*)

Dieses Andenken an eine „schlechte Zeit“ ließ ein Kusterdinger aus der Kantine des Reichsarbeitsdienstes „mitlaufen“. Ein halbes Jahr lang lebte er in einem Lager des Arbeits­dienstes in der Nähe von Bruchsal. Dort arbeitete er beim  Autobahnbau und bei der Begradigung von Flüssen. Auch in Kusterdingen waren Männer beim Reichsarbeitsdienst, so erinnert er sich. Auf den Härten waren die Arbeitsmänner jedoch privat untergebracht. Bei Kriegsbeginn wurde der Kusterdinger zur Infanterie eingezo­gen. Zu Fuß, berichtet seine Ehefrau, marschierte er bis kurz vor Moskau und sah mit dem Fernglas nach Moskau hinein. Der Krieg verheerte seine Gesundheit, was die Gattin nach Kriegsende bitter erleben mußte: „Nichts zu essen, das Brot war eingefroren, nichts zu trinken, eingefroren in Schützengräben. Kein Wunder, daß mein Mann mit 51 Jahren gestorben ist“.

Brosche vom Arbeitsdienst

Dreschen und Kartoffeln ernten

(Bo 65)

Eine Bodelshäuserin leistete ihren Ar­beitsdienst auf einem Bauernhof in Klosterwald bei Meßkirch. Ein halbes Jahr mußte die Achtzehnjährige schwere Arbeiten verrichten, unter anderem dreschen und Kartoffeln ernten. Dafür erhielt sie am Tag 20 Pfennige und vom Bauern zusätzlich 40 Pfennige. Nachdem das halbe Jahr vorbei war, bekam sie diese Brosche. „Eigentlich hätte mein Bruder am 1. Oktober zum Arbeitsdienst gehen sol­len und ich am 2. Oktober 1942“, erzählt die Zeitzeugin. Da die Familie jedoch eigene Landwirtschaft hatte, und der Bruder gebraucht wurde, durfte er in Bodelshausen bleiben.

Alltagsbewältigung

Lebensmittelmarken

Denunziation im Dorfgeschäft

(Ku259)

Die Denunziation von Mitbürgern gehörte zu den tagtäglichen üblen Erscheinungen der nationalsozialistischen Diktatur. So konnte schon eine kleine kritische Bemerkung gefährlich werden, wie sich eine Kusterdinger Bürgerin anhand der Lebensmittelmarken erinnert. Die Lebensmittelmarken stammen noch von ihrer Schwägerin. Ei­nes Tages, so erzählt die Zeitzeugin, war Käse „aufgerufen“. Doch der Verkäufer teilte mit, daß der Käse ausverkauft sei und es erst morgen wieder welchen gäbe. Daraufhin erlaubte sich die Schwägerin die Bemerkung: „Es wird doch auch wahr sein…?!“. So­fort kam ein ortsbekannter „Obernazi“, der auch im Laden stand, auf sie zu und drohte: „Ich zeig sie an!“ Seine Ankündigung hat er dann aber doch nicht wahrgemacht.

Blechdose für Zichorie

Kaffeersatz aus Rüben und Gerste (Ki135)

Den Kaffeersatz aus Zichorie gab es in langen runden Päckchen zu kaufen, die dann in Blechdo­sen aufbewahrt wurden. In dieser Blechdose bewahrte die Mutter einer Kirchentellinsfurterin in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg ihren Kaffeersatz auf. Zichorie wurde damals zum Malzkaffee hinzugegeben, um ihn zu strecken. Die Kirchentellinsfurterin erinnert sich an den wunderba­ren Ge­schmack und die schöne Farbe, die der Kaffee durch die Zichorie erhielt. Eine Tablette Zichorie ließ man in Wasser aufkochen. Dann kam der Malzkaf­fee hinzu. Wieder wurde das Ganze zum Kochen gebracht, dann auf die Seite gestellt und zehn Minuten ziehen gelassen.

Während des Zweiten Welt­krieges waren Lebensmittel­ knapp und es gab keine Zichorie mehr. Deshalb stellte die Großmutter Ersatz her: sie schälte und schnitzelte Rüben, dörrte sie anschließend im Ofen und mahlte zum Schluß diesen Kaffeersatz. Auch den Ge­treidekaffee machte sie während des Krieges selbst. Dazu röstete sie die Gerste auf dem eisernen Ofen. Wenn das Korn trocken war und eine schöne braune Farbe hatte, konnte daraus Kaffeepulver gemahlen werden.

Milchzentrifuge

Kriegsnahrung: Butter aus Geißenmilch (GFA41)

Während des Zweiten Weltkrie­ges, als Milch und Milchprodukte ra­tioniert waren und die Bauern ihre Erträge ablie­fern mußten, verarbeitete eine Gomaringerin mit dieser Zentrifuge Geißenmilch. Kuh­milch mußte man damals ab­liefern, Ziegenmilch nicht. Deshalb hielten sich viele Leute Ziegen. Die Zentrifuge diente dazu, den Rahm von der Milch zu trennen. Auf den Tisch kam somit But­ter aus Ziegenmilch, diese wiederum wurde mitunter zu Butterschmalz ausgelassen. Das noch funktionstüchtige Stück, das aus dem 19. Jahrundert stammt, er­hielt die Besitzerin von ih­ren Schwiergerleuten, die es wiederum von ihren Eltern hatten.

Holzklepfer, circa 1946

Hartes Schuhwerk aus Hirrlingen

(Hi29/6)

Bei diesen „Holzklepfern“ handelt es sich um „harte Bereifung“, Ar­beitsschuhe aus dem Hirrlin­ger Schuhfabrikle des Bernhard Stumpp in der Wilhelmstraße. Das Unternehmen stellte dieses Produkt in den Notzeiten zwi­schen 1944 und 1947 in größeren Stückzahlen her. Ähnlich einfache Modelle verkaufte die Firma als Holzsandalen. Blasen an den Füßen und schweißge­tränkte Fußlappen waren Be­gleiter­scheinungen dieser Zeit. Auch die rot lackier­ten Holzsandalen für Kinder werden viele Ältere noch selbst getragen haben, Barfußgehen war da meist an­genehmer und bequemer.

Nachthemd mit Spitzenbesatz

Ein „Herrenhemd“ für den Zentner Weizen (Hi7/8)

Die erste Zeit nach Kriegsende steigerte noch die materielle Not der Bevölkerung. Ein jeder war mit dem „Organisieren“ des Lebensnotwendigen beschäftigt. Dieses Nachthemd erwarb eine Hirrlinger Bauersfamilie bei Kriegsende im Tausch gegen Lebensmittel. Eine ältere Angehörige erzählte dazu folgende Geschichte: „Im Jahr 1947 kam eine Frau aus Onstmettingen mit Bekannten in unser Haus, um Weizen ge­gen Naturalien einzutau­schen. Sie bot einfarbigen Segeltuchstoff – vermutlich aus Wehrmachtsbeständen – an. Mein Vater meinte, wir brauchten keinen Segel­tuch­stoff, er brauche vielmehr dringend ein Hemd für den Werktag. Die Frau weinte und bat inständig, ihr doch Weizen zu geben und dafür etwas zu nehmen, sie habe ja auch ein Herrenhemd dabei. Schließlich wurde man handelseinig: Stoff für etwa zwei Arbeitsschürzen und das besagte Herrenhemd tauschten wir für circa einen Zentner Weizen. Die Frau bedankte sich vielmals. Leider entpuppte sich das gute Her­renhemd als nobles Damen­nachthemd mit Spitzenbesatz. Zuerst war Vater sehr verärgert, aber schließlich hat er die Sache mit Humor betrachtet. Das besagte Nachthemd wurde nie benutzt, lediglich beim Fasnetsbut­zenspringen ab und zu angezogen. Seither ist es vor allem ein Erinnerungs­stück an jene unselige Zeit des Tauschhandels und der Not an allen Ecken und Enden“.

Trachtenleibchen und Samt­rest

Die Tracht dem Krieg geopfert

(Ki 102 a-b)

Das Leibchen und ein Stück Samt sind der letzte Rest einer einstmals stolzen Festtagstracht, die den Versorgungsengpässen während des Zweiten Weltkriegs zum Opfer gefallen ist. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrie­ges wurden viele Artikel des täglichen Bedarfs rationiert. So gab es von da an Textilien nur noch gegen Vorlage einer „Reichskleiderkarte“. Schneiderwerkstätten durften seit 1943 keine Oberbekleidung mehr neu anfertigen, nur noch Re­paraturen waren gestattet. Die nationalsozialistische Propaganda erklärte das Han­dar­beitsprinzip „aus Alt mach Neu“ zur na­tionalen Pflicht und gesamtgesell­schaftlichen Frauentugend. Angesichts dieser Notlage trennten zwei Schwestern, die heute in Kirchentellinsfurt leben, den Trachten­rock der Mutter auf und arbeiteten ihn zu zwei Röc­ken um.

Matrosenanzug

1941 „ergattert“

(Ki275)

Das Matrosenanzügle war der ganze Stolz seines dreijährigen Besitzers. Das gute Stück, das seine Mutter im Kriegsjahr 1941 „ergattern“ konnte, trug der kleine Junge natürlich nur sonntags. Die Mütze war mit dem patriotischen Aufdruck „Vaterland“ versehen und verrät durch ein Etikett auf der Innenseite, wo der Matrosenan­zug gekauft wurde, nämlich bei August Ruf in der Reutlinger Wil­helmstraße. Eine Kirchentellinsfurterin berichtet: „Die Kinder, die ein Matrosenanzügle angehabt haben, hat man schon für et­was Besonderes an­geguckt, noch heute ist meine Schwägerin stolz darauf, daß sie so etwas kaufen konnte“.  Da sie es nie übers Herz brachte, den Anzug zu verschenken, bewahrt sie ihn noch heute als Erinnerungsstück auf.

Spinnapparat

Alles in Butter: geschmuggelt und schwarzgebaut

(Hi1/9)

Dieser Spinnapparat ist ein Produkt der illegalen Tauschwirtschaft während des Zweiten Weltkrieges. Durch heimlichen Warentausch und Schwarzarbeit versuchte die Bevölkerung, Lebensnotwendiges zu organisieren. Eine Hirrlingerin tauschte diesen Spinnapparat im Kriegsjahr 1943 in Metzingen gegen Butter ein. Dazu mußte sie die Butter zunächst einmal abzweigen, dann nach Metzingen schmuggeln. Erst nach dem Erhalt des Naturallohns bauten Arbeiter in ihrem Betrieb das Spinngerät schwarz zusammen. Gegenüber herkömmlichen Spinnrädern brachte dieser Apparat eine wesentliche Arbeitserleichterung, da er über einen Laufriemen von einer Tretnähmaschine angetrieben wurde. Zum Spinnen verwendeten die Hirrlingerinnen damals „kartätschte“ Schaf­wolle. Diese  war „gestreckt“, das heißt, mit den Fasern alter Wolljacken, Socken und anderer gebrauchter Textilien vermischt. Dadurch ließen sich größere Wollge­wichte und letztendlich eine bessere Textilqualität erzielen als mit reiner Schurwolle.

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Zwangsarbeiter

Kusterdinger Zwangsarbeiter 1943

Ukrainer wegen Bagatelle hingerichtet

(Ku343)

Dieses Foto zeigt Zwangsarbeiter beim Besei­tigen von Hochwasserschäden zwischen Kusterdingen und Kirchentellinsfurt. Es entstand etwa einen Monat, nachdem in Ku­sterdingen ein SS-Kommando den ukrainischen Zwangsarbeiter Kalymon hingerich­tet hatte. Jene Hinrichtung am 12. Mai 1943 hatte das oberste SS-Gericht in Berlin wegen eines geringfü­gigen Vergehens verhängt, so daß die Strafe sämtliche Kusterdinger über­raschte. Wohl auch jene, die den Ukrai­ner angezeigt hatten. Alle im Ort be­findlichen Zwangsarbeiter mußten der Hinrichtung zusehen. Als ei­nen Monat später ein Hochwasser die Gemeinde heimsuchte, empfanden dies einige Ku­sterdinger als Strafe für dieses Unrecht. Auch erschien manchen im Ort jener  Bombenangriff im März 1944, der viele Kusterdinger Häuser dem Erdboden gleichmachte, als Rache der Alliier­ten für diese Exekution. Heute wissen wir, daß der Bombenangriff andere Ursachen hatte. Si­cher ist hingegen, daß Kusterdingen nach Kriegsende vor allem deshalb unter Raubzügen und Plünderungen ehemaliger Zwangsarbeiter zu leiden hatte, weil diese sich sehr wohl an jenen Justizmord erinnerten.

Politisch Verfolgte

Standuhr von Jakob Nill

„Heubergreifer“ Sozialdemokrat

 (Bo418)

Die Standuhr ist ein Andenken an den Bodelshäuser Sozialdemokraten Jakob Nill, der 1933 als „heubergreif“ galt, wie ein Geg­ner seinerzeit bei einer Wahlversamm­lung im Waldhornsaal in die Menge schrie. Auf dem Heuberg richteten die Nationalsozialisten bereits kurz nach der Machtübergabe an Hitler ein „Schutzhaftlager“ ein, in dem sie politische Gegner einsperrten, sie drangsalierten, mißhandelten und ihre Standfestigkeit brechen wollten. Nill hatte indessen Glück, so daß es „nur“ zu Denun­ziationen und anschließenden Verhören durch die Sicherheitspo­lizei kam. Sein großes Ansehen und seine einflußreichen Freunde konnten ihn vor längeren Haft­strafen bewahren. 1955 erhielt er das Bun­desverdienstkreuz und wurde Eh­ren­bürger seiner Gemeinde.

Relikte vernichteter Menschen

Massenmord an Juden

Ahnenpaß, 1934

Rassenwahn und Diskriminierung

(Ku37#)

„Unter Hitlers Zeiten“, erzählte eine Kusterdingerin, „muß­ten wir un­serem Lehrer einen Stammbaum unserer Familie abgeben“. Auf dem Rathaus holte die Schülerin die benötigten Bescheinigun­gen und füllte den Ariernachweis aus: „Daß man wußte, welcher Ab­stammung man war“. Solche Ariernachweise sind ein Ausfluß des Rassenwahns, der in der Ideologie der Na­tionalsozialisten eine besondere Rolle spielte. Jeder mußte bei der Heirat den Ahnenpaß vorlegen. Dies war eine der vielen diskriminierenden Me­thoden, um die Rassengesetze des Dritten Reiches, die seit 1935 beispielsweise Ehen zwischen Juden und Nichtjuden verboten, durchzusetzen. Auch beim Zu­gang zu verschiedenen Berufen und in den Staats­dienst mußte der Ahnenpaß vorgelegt werden. In letzter Konsequenz führten die Nationalsoziali­sten den Ahnenpaß wie die gesamte Rassengesetzgebung ein, um bestimmte Minderhei­ten auszugrenzen und sie schließlich in den Konzentrationslagern zu ermorden.

Postkarte aus Theresienstadt

Versteckter Hilferuf aus dem Konzentrationslager

(TüKA1)

Das letzte bekannte Lebenszeichen der Tübingerin Ilse Bloch-Löwenstein ist diese Postkarte aus dem Konzentrationslager Theresienstadt. Dorthin hatten SS-Mannschaften die Jüdin mit ihrem Mann am 18. Juni 1943 von Stuttgart aus deportiert. Die Dußlingerin, der sie diese Karte schickte, war mit der jüdischen Familie befreundet. Daß im Herbst 1943 überhaupt Post aus dem Konzentrationslager hinausgelangte, ist ein Wunder, das möglicherweise mit einer der wenigen Inspektionen von Rot-Kreuz-Komitees im „Vorzeige-KZ“ Theresienstadt zusammenhängt. Freilich mußte Ilse Bloch-Löwenstein ihre Karte so positiv formulieren, daß sie die Zensur passieren konnte. Deshalb konnte sie auch nur einen versteckten Hilferuf an die Freundin richten. Nur als Dank für ein nie erhaltenes Lebensmittelpaket konnte die Bitte um lebensnotwendige Nahrungsmittel, insbesondere Fett, die Zensur passieren. Hilfe brachte sie allerdings keine, der Vater von Frau Löwenstein kam kurz darauf um. Ilse Bloch-Löwenstein selbst verschleppten die Nationalsozialisten zusammen mit ihrem Mann und ihrer Mutter ein Jahr nach diesem Hilferuf weiter nach Auschwitz, wo sie am 23. Oktober 1944 in den Gaskammern ermordet wurden.

„Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch“ (Ku 330)

Vom Massenmord der jüdischen Bevölkerung gewußt

Eine Kusterdingerin und ihr Ehemann lebten während der NS-Zeit

 in Karlsruhe, wo sie mit einer jüdischen Rechtsanwaltsfamilie gut befreundet waren. Die jüdischen Freunde wurden ins Konzentrationslager deportiert und dort ermordet. Kurz vor der Deportation löste die jüdische Familie ihren Haushalt auf und schenkte der Kusterdingerin diese Bücher. Daß die Juden verbrecherisch behandelt wurden, das hatte sie, so die Zeitzeugin, spätestens mit den Nachrichten über das Warschauer Ghetto begriffen. „Da hat man ja gewußt, was mit den Juden geschieht, wo sie ganze Straßen ausgerottet haben!“ Schon frühzeitig habe sie die Vorahnung einer folgenden Vernichtungspolitik gehabt: „Das steht doch in ‚Mein Kampf‘ drin, überall war es zu lesen, daß Hitler die Juden ausrotten wollte!“

Ermordung Behinderter

Kundenausweis

Morde an Behinderten in Zwiefalten und Grafeneck

(Ku49)

Als eine Kusterdingerin kürzlich ein Kochbuch aufschlug, fiel ihr dieser Ausweis entgegen. Er gehörte ihrem Mann, der 1943 als Soldat fiel. Zuvor hatte er eine Stelle als Kutscher des Direktors in der Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten gehabt. Mit Grauen erinnert sich die Zeitzeugin, die damals di­rekt neben der Anstalt wohnte, an Busse mit verschmierten Fenstern, die Behinderte und psychisch Kranke nach Grafeneck fuhren, wo sie er­mordet wurden. Als der erste Transport nach Grafeneck stattfand, berichtet sie, hätten die Kranken zunächst nicht mißtrauisch reagiert und gesagt „ha, da ißt man auch Brot“. Als die Zurückgebliebenen aber merkten, daß keiner zurück­kehrte, hätten sie natürlich getobt. Daraufhin wurden sie mit Spritzen ruhiggestellt. Ihr Mann habe ihr erzählt, so die Kusterdingerin, daß sogar die besten Arbeiter, wenn sie manchmal nicht mehr konnten, mitgenommen wurden. „Das haben wir alles mitbe­kommen“, sagt sie, „uns hat es gegraust, wenn wir die Busse gesehen haben, aber man hat müssen so den Mund halten“.

Dem verbrecherischen natio­nalsozialisti­schen Programm zur Ermordung sogenannten „unwerten Lebens“, dem „Euthanasieprogramm“, fielen auch in der Zwiefalter „Heil- und Pflegeanstalt“, vor al­lem aber im nahegelegenen Grafeneck mehrere Tausend Menschen zum Opfer. In Kusterdingen erinnnert man sich heute noch an die Mitbürger, die in dieser „Tötungsanstalt“ umgebracht wurden.

Der Zweite Welt­krieg

Seit der Machtübernahme verfolgte Hitler ein massives Rü­stungsprogramm. Seine eigenen Ausführungen in „Mein Kampf“ und Auf­zeichnungen politischer und militärischer Führungskreise jener Jahre verraten eindeu­tig, daß Hitler den Krieg wollte. Der Rüstungsvor­sprung, den er im Laufe seiner ersten Amtsjahre gegenüber den Westmächten errang, reichte seinen eigenen Kalkulationen nach höch­stens bis 1945. Taten wie die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, der Einmarsch ins entmilitarisierte Rheinland, die Verlängerung der Wehrpflicht auf zwei Jahre, das Eingreifen in den Spani­schen Bürgerkrieg, die Einmärsche in Österreich, ins Sudetenland und in die Tschechoslowakei zeigen Hitlers ungebrochenen Willen zur militäri­schen Eskalation. Mit dem Überfall Deutsch­lands auf Polen am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg.

Schicksale an der Front

Teller zur Kriegsweihnacht 1943

Die Familie bleibt am Bahnhof zurück

(Gos36)

 Am 9. Dezember 1940 wurde der Vater einer Gomaringerin zur Wehrmacht eingezogen und in Frankreich staioniert. Die Tochter einnert sich noch gut an den Tag, als sie den Vater mit der Mutter und den vier Geschwistern zum Bahnhof brachte, von wo er in den Krieg fuhr. Da Weihnachten bevorstand, kauften sie auf dem Nachhauseweg einen Tannenbaum, obwohl sie das diesjährige Fest ohne den Vater und in Angst um sein Leben verbringen mußten. Als er 1944 Fronturlaub hatte, brachte er diesen Teller mit. Er selbst bekam ihn in Brest von einem Kunsthandwerker zu Weihnachten geschenkt. Der Vater hat diesen Teller im­mer ganz besonders gehütet und ihn seiner Tochter vererbt.

Holzpfeife

Partisanenkugel im Fensterrahmen

(Go207)

Ein Gomaringer war während des Krieges in Jugoslawien stationiert. Als er sich im Lazarettlager Precko, südlich von Zagreb in Kroatien, befand, schnitzte er diese Pfeife mit seinem Taschenmesser. Das Loch bohrte er mit einem ganz gewöhnlichen Draht. Der Besitzer der Pfeife hatte den Feldzug gegen Jugoslawien von Anfang an mitgemacht. Dabei stand er einmal mit einem Kameraden am Fenster in einem Unterrichtsraum. Plötzlich fiel ein Schuß. Ein Scharfschütze der Partisanen hatte die beiden im Mondlicht am Fenster gesehen. Das Geschoß durchschlug das Fensterkreuz zwischen den Köpfen der Soldaten, prallte an der Schultafel ab und blieb in der Wand stecken.

Taschenuhr „Wilhelm M.“

Schicksalhafte Verkettung im Tod

(Bo208)

Diese Uhr ist Zeuge zweier sich auf schicksalhafte Weise ähnelnder Todesfälle im Ersten und Zweiten Weltkrieg. So trug der Bodelshäuser Soldat Wilhelm M. diese Uhr im Ersten Weltkrieg. Ei­n Schuß in den Hals tötete ihn. Die Uhr wurde der Familie zurückge­schickt. Der Bruder des Gefallenen taufte einen seiner Söhne nach dem Namen des Getöteten. Dieser Wilhelm M. bekam später die Uhr seines ver­storbenen Onkels und Namensvetters. Als Soldat nahm er 1939 am deutschen Feldzug gegen Frankreich und 1941 am Rußlandfeld­zug teil. Dann, 1942, geschah es. Wieder kam ein Wilhelm M. aus Bodelshausen ums Leben, wieder traf ihn ein Schuß in den Hals: „Er hat dann ebenfalls diesen Hals­schuß gekriegt wie sein Onkel, und auch hier kam die Uhr zurück“.

Brotbeutel, 2. Weltkrieg

Einer Granate knapp entgangen

(Bo31)

Der Feldbeutel erinnert einen Bodelshäuser an eine Situation, in der er gerade noch mit dem Leben davonkam. Als Soldat der Infanterie nahm er beim deutschen Überfall auf eine ukrainische Stadt mit großen Uranbergwerken teil. Während des Angriffs wurde der Leutnant verwundet und schrie: „Kameraden, mich hat’s!“ Zu zweit, so erzählt der Zeitzeuge, seien sie zu ihm gekrochen und konnten ihn aus ihrem Vorrat an Verbandszeug aus dem Feldbeutel verbinden. Solange sie ihn versorgten, schlug an exakt derselben Stelle, an der die beiden noch kurz zuvor gelegen hatten, eine Granate ein. Der Schreck und die Erleichterung von damals sind dem Bodelshäuser noch sehr nahe: „Das war also eine Vorsehung!“

Holzschachtel – Mine

„Heimatschuß“ im Minenfeld

(GfA80)

Ein Gomaringer mußte von 1942 bis 1944 als Pionier an die Front in Rußland. Bei einem Vorstoß der Infanterie verlor ein Soldat durch Minen sein Bein. Deshalb mußten beim nächsten Angriff zwei Pioniere zuerst das Minen­feld räumen, einer von beiden war der Gomaringer. Beim Vorrobben hörte er es auf einmal knallen. Als er nach seinem Kameraden sah, war dessen Ellbogen abgerissen. Unter den Augen der Russen und im Schutz der eigenen Infanterie gelang es, den Verwundeten, dem der Arm abgebunden wurde, 300 Meter weit in den eigenen Graben zu bringen. Der Kamerad sang vor Freude, daß er nun heimkam. Er hatte den sogenannten „Heimatschuß“ erhalten. Der Gomaringer wurde im Verlauf des Krieges durch einen Gelenkdurchschuß verletzt.

Fotoapparat Agfa Isolette

„Am Ar­sch der Welt“ in Rußland

(Bo112,113)

Diesen Fotoapparat erwarb ein Bodelshäuser, als er während des Zweiten Weltkri­eges in Frankreich am sogenannten Atlantikwall stationiert war. Ein Kamerad hatte kein Geld mehr und versetzte ihm die  Agfa Iso­lette. Er nahm sie 1943 mit nach Rußland, wo er große Schwierigkeiten mit ihr hatte, „denn mit einem Fotoapparat belastet ist man nicht so kampffähig“. Da kam ihm eine Idee, er warf seine Gasmaske weg und steckte den Fotoapparat in die Gasmas­kenbüchse. Das war natürlich verboten, er durfte sich nicht erwischen lassen. Die Filme gab er Urlaubern mit, aber einige haben sie nicht mehr abgeliefert. Im Februar 1944 erlitt der Bodelshäuser eine Verwundung, konnte da­bei aber seine Gasmaske samt Inhalt retten. Immer noch versuchte er, die angebliche Gasmaske bei sich zu behalten. Er fragte wiederholt: „Ist meine Gasmaske noch da?“ Mit seiner Agfa Isolette machte der Besitzer auch das Foto von einem Weg­weiser, 113 km von Peters­burg entfernt. Das abgelich­te­te Schild zeigt einen Hin­tern und trägt die Auf­schrift: „zum Arsch der Welt“. Der Frontab­schnitt, den die Deutschen „zum Arsch der Welt“ benannt hatten, war der letzte Abschnitt der Autobahn von Leningrad nach Moskau.

Akkordeon

Ein Instrumentenkasten rettet Leben

(GOS24)

Eine Gomarin­ger Schülerin hat sich erzählen lassen, daß ihr Großvater ein sehr gebildeter und humorvoller Mann war. Er konnte viele Musikinstrumente spielen, zum Beispiel Geige und Klavier. Als er in den Krieg mußte, nahm er seine Mundhar­monika und sein Akkordeon mit und spielte, so oft er konnte, den Kameraden vor und sang mit ihnen. In Rußland wurde es dann „ganz schlimm“ an der Front. Den Großvater schickte man deshalb mit seinem Instrument dort hin, um durch seine Musik den Soldaten etwas Ablenkung zu bieten. So fuhr er eines Tages mit einem Motorrad in die Richtung, wo gekämpft wurde. Das Ak­kordeon war auf seinen Rücken geschnallt. Nur langsam kam er auf sumpfigen Wegen voran, oft mußte er absteigen und schieben.

Plötzlich hörte er einen Schuß und im selben Moment traf ihn eine Kugel. Er stürzte zu Boden, das Motorrad ebenso, und erst nach einigen Augenblicken kam er wieder zur Besinnung. Er lebte noch. Ja, er war gar nicht verletzt. Ein Wun­der! Die feindliche Kugel hatte  den Akkordeonkoffer, die Tasten, das Innere, das Ge­häuse durchschlagen und war im jenseitigen Kofferdeckel steckengeblie­ben. Später wurde dieses Instrument not­dürftig repariert und erst nach dem Krieg generalüber­holt. Der Großvater spielte noch viel auf seinem Instrument, und die Schülerin freute sich jedesmal darüber.

Flugbuch 1944/45

Heimmarsch quer durch Deutschland

(GFA198)

Dieses Flugbuch erinnert den Besitzer an seine Ausbildung als Flugzeugführer und daran, wie er sich am Ende des Krieges nach Hause durchschlug. Schon früh zeigte Ernst A. Interesse am Fliegen und be­suchte die Segelflug­schule der Hitlerjugend in Grosselfin­gen. Als ihn das Militär 1944 musterte, äußerte er gleich seinen Wunsch, Flieger zu werden. Noch heute ist unser Zeitzeuge sichtlich stolz darauf, einst zum „fliegenden Personal“ gehört zu haben. Nicht nur, daß man dort „Startverpflegung“ mit Milch und Keksen erhielt. Auch in Lokalen war es etwas Besonderes, als Flieger ein­zukehren. Zur Flugzeugführerausbildung schickte ihn die Luftwaffe nach Helmstedt. Der Kriegs­verlauf beendete die Ausbildung vorzeitig, die Flugschüler wurden zur Infante­rie versetzt.

Als Infanterist und zu Fuß machte Ernst A. den Rückzug vor den sowjetischen Streitkräften bis nach Schwerin mit. Unterwegs warf er die Pistole weg und trennte auch einige Seiten aus seinem Flugbuch heraus, damit niemand wissen konnte, wo er militärisch eingesetzt war. Schließlich, am 1. Mai, umstellten amerikanische Truppen seine Einheit. Zusammen mit einem Kameraden versteckte sich der Öschinger in einem abgestellten Werkzeugwagen, in der Dämmerung flüchteten sie. Eine fast dreiwöchige Flucht durch Deutsch­land begann, tags schlief man in Heuscho­bern, nachts ging es weiter. Leute, die am Ortsrand wohnten, verpflegten Ernst A. und seinen Kameraden. Eines Abends ge­langten sie in ein Dorf, wo plötzlich Schüsse knallten. Zwei Polen stöberten die beiden Wanderer auf, stellten Fragen nach dem Woher und brachten sie schließlich zum Bürgermeisteramt, wo bereits viele Flüchtige versam­melt waren. Der Öschinger gab alle Papiere au­ßer dem Flugbuch und seinem Soldbuch ab und erklärte, daß er zum Schluß in einer Motorenfabrik in Warnemünde gearbeitet hätte. Weil er die entspre­chenden Seiten im Flugbuch herausge­trennt hatte, gab es ja keine Papiere mehr, die das Gegenteil be­legen konnten. So konnte er einen gün­stigen Augenblick zur Fortsetzung der Flucht nutzen.

Dabei gelangte er auch an die Elbe. Andere Flüchtlinge hatten schon die Kähne zum Übersetzen benutzt, so daß jetzt alle am jenseitigen Ufer lagen. Schwimmer holten schließlich ein Boot herüber. Der Zeitzeuge meint, daß diese Schwimmer nur deshalb wieder herüberruderten, weil die Zurückgebliebenen wohlweislich deren Wertsachen zurückbehalten hatten. Die Flucht ging weiter Richtung Süden, oftmals 60 Kilometer am Tag. Am 21. Mai legte der Öschinger das letzte Wegstück von Stetten im Rem­stal bis in seinen Heimatort zu­rück. Nach dem Krieg konnte er seinen Wunsch, den Flugschein zu machen, nicht mehr realisieren. Indessen besucht er noch heute gelegentlich einen ehemaligen Kameraden, der ihn in seinem Sportflugzeug mitnimmt.

Der Krieg trifft die Familie

Taschenkalender, Taschenbi­bel, Handschuh

Todesnachrichten von der Ostfront

(Mö4abc)

Taschenkalender, Taschenbibel und Handschuh sind von einem Granatsplit­ter durchschla­gen. Öschinger Eltern erhielten diese Erinnerungsstücke zusammen mit der Nachricht vom Tod ihres Sohnes. Erschreckend drastisch erzählen die durchlöcherten Gegenstände vom Kriegstod des 19jährigen Jungen. Er war 1942 an die Ost­front nach Rußland gekommen, wo ihn bei einem russi­schen Angriff am 4. April 1942 der Granatsplit­ter so schwer verletzte, daß er noch am selben Tag auf dem Truppen­verbandsplatz starb. Etwa fünf Wochen später er­hielten die Eltern ei­nen Brief des Kompaniefüh­rers mit der Nachricht vom To­d des Sohnes und die übriggebliebenen per­sönlichen Dinge. Diese Erinnerungs­stücke bewahrt der Bruder zusammen mit Briefen und Bildern des Ge­fallenen in einem kleinen Holzkästchen auf.

Kleiner Wehrmachtfahrschein, 1944

Überraschungsbesuch zur Konfirmation

(Ku404)

Der Vater eines Immenhäusers war während des Zweiten Weltkrieges als Soldat bei einer Küstenbatterie in Frankreich stationiert. Als der Immen­häuser 1944 zusammen mit seiner Schwe­ster Konfirmation feierte, erhielt der Vater keinen Ur­laub und teilte dies mit. Am Tag der Konfirmation, als die Kinder in die Kirche ka­men, saß ein Mann in Uniform und mit voller Ausrüstung in der Bank. Ein Bart machte sein Gesicht nahezu unkennt­lich; doch dann erkannten die Kinder ihren Vater! „Das war meine größte Überra­schung und mein größtes Er­lebnis“, so das damalige Konfirmati­onskind heute. Für die Fahrt von Cherbourg hatte der Vater drei Tage gebraucht, da französische Partisanen einen Zug auf der Strecke gesprengt hatten. Im Zug war es proppenvoll und der Vater hatte sich, wie andere auch, im Gang ans Ge­päcknetz gebunden und im Stehen geschlafen.

Spielzeugbären, 1944

Ein Mitbringsel aus Rußland

(Ku12*)

Ein Kusterdinger bekam 1944 Urlaub von der russischen Front. Vor der Abreise fragten ihn russische Männer, ob er denn für seine Kinder ein Geschenk habe. Als er dies verneinte, fertigten sie ihm die beiden sägenden Bären aus Holz an. Das Holz fetteten sie an einigen Stellen und hielten es dann übers Feuer, wodurch die ge­fetteten Bereiche verbrann­ten und geschwärzt wurden. Der Kusterdinger sollte im Gegenzug von zu Hause ein Pfund Salz  mitbrin­gen. Seine Frau erinnert sich an das Geschenk: „Für unsere Kinder war dieses Mitbring­sel das erste Spielzeug, nachdem bei einem Bombenan­griff das Haus abgebrannt und alles mitverbrannt war“.

Spielzeugwagen mit Bauklötzen, 1943

Rindenbild aus Finnland, 1943

Generationenkonflikt nach der Heimkehr

(GFA65,66)

Der Vater einer Gomaringe­rin, die damals in Neckartailfin­gen wohnte, war von 1939 bis 1948, als er aus der Gefan­gen­schaft zurückkehrte, Soldat. 1942 war er zuletzt im Urlaub zu Hause gewe­sen. Ein Jahr danach kam dann ein Paket aus Finnland an – eine Sensation! Darin befand sich unter anderem auch das Rindenbild. Seinen Söhnen, sie waren drei und sechs Jahre alt, schickte er je­weils ein Wägelchen mit Bauklöt­zen. Noch heute fehlt kein Stück, obwohl jeden Tag damit „ge­schafft“ wurde, denn nach jedem Spiel mußte strikt aufgeräumt werden. Neun Jahre zählte die Tochter, als der Vater in den Krieg mußte und 18 Jahre, als er wiederkam. Die Ent­wicklung des Mädchens zur jungen Frau hatte der Vater also nicht mitbekom­men. Nach seiner Rück­kehr behandelte er die 18jährige immer noch wie ein Kind.  Beispielsweise verprügelte er seine Tochter, wenn sie nicht pünktlich um 20 Uhr zu Hause war. Weil sie das Verhalten des Vaters nicht aushielt, zog die junge Frau 1950 nach Gomaringen. Die Eltern folgten ihr spä­ter nach, und die Mutter brachte beim Umzug die alten ideellen Sa­chen mit, darunter den Wagen mit Bauklötzen. Zwar durften die Enkel bei der Oma mit den Bauklötzen spielen, muß­ten hinterher aber – so wie sie das auch schon früher streng gehandhabt hatte – alles wieder fein säu­berlich aufräumen.

„Kodak Junior 620“

Getauscht gegen Schmalz und Schnaps

(Mö61)

Den Fotoapparat tauschte ei­ne Öschingerin im Kriegsjahr 1940 gegen Schmalz und Schnaps ein. Das Geschäft vermittelte ein Erntehelfer von Bekannten, dessen Eltern ein Fotoge­schäft besaßen. Dieser Apparat war während des Krieges eines der wenigen Exemplare in ganz Öschingen. Mit ihm entstan­den viele Fotos, die eine Bekannte entwickelte und teilweise auch an die Front schickte, um die meist noch jungen Väter über die Entwicklung ihrer Kinder auf dem Laufenden zu halten. Bis heute hat ihn die Öschinge­rin sorgsam aufbewahrt, sie besaß nie einen anderen Fo­toapparat.

Der Reichsarbeitsdienst (RAD) im Krieg

Tagebuch 1944

Luftkampf über Stuttgart

(GFA139)

Ein Gomaringer rückte am 16. Februar 1944 beim Reichsarbeitsdienst in Böblingen ein; eineinhalb Monate später begann seine Ausbildung zum Flakhelfer in Vaihingen. In das Büchlein hat er seine Einsätze als Flaksoldat notiert, darunter auch die schweren Luftan­griffe des Jahres 1944 auf Stuttgart. „Am 9.8.44 eine feindliche Maschine (Lancaster) angeschossen“ hält er fest, oder „3 Fallschirmabsprünge mit eigenen Augen beobachtet (Maschine verlor schnell an Höhe und ist wahrscheinlich abgestürzt)“. Am 18. November 1944 beobachtete er einen Luftkampf zwischen einer deutschen Me 109 und einer englischen Mustang. „1 Me 109 von einer englischen Mustang abgeschossen. Pilot konnte sich retten durch Fall­schirmabsprung (Vaihingen)“. Unter dem Datum vom 21. November 1944 trug er folgendes ein: „Unter­feldwebel V., Geschützstaffelführer, tödlich verunglückt durch Rohrkrepie­rer“.

Bomben auf die Städte

Serviettenring

Alles, was vom Onkel blieb

Inv.-Nr.: Tü133

Dieser Serviettenring ist das einzige Erinnerungsstück, das vom Onkel einer Tübingerin geblieben ist. Sie schrieb dazu folgendes auf: „Dieser Serviettenring stammt von meinem Onkel Karl von Vagedes, der ihn laut Gravur zu Weihnachten 1910 erhielt. Mein Onkel war als junger Arzt mit Robert Koch in Afrika gewesen und hatte geholfen, den Erreger der Malaria zu entdecken. Wenn ich als Kind den Onkel in seiner Wohnung in Berlin besuchte, war ich jedesmal beeindruckt von den Erzählungen über die Forschungsarbeit in Afrika und von den fremdartigen Erinnerungsstücken aus jener Zeit. Von 1942, als sich die Bombenangriffe auf Berlin häuften, bis zum Januar 1944, als die russische Armee die Oder überschritt, lebte mein Onkel bei uns in einer kleinen Stadt in der Mark Brandenburg. Seinen Serviettenring benutzte er täglich. Dann mußten wir flüchten und nahmen eine Wohnung in Berlin. Der Onkel und all seine Habe verbrannten dort bei einem Bombenangriff. Als ich in meine inzwischen ausgeplünderte Wohnung zurückkehrte, fand sich als einziger Gegenstand in der Ecke eines Zimmers unter Gerümpel dieser Serviettenring. Er ist das einzige, das einzig Sichtbare, was von meinem Onkel übrigblieb“.

Werkbuch für die Metallindu­strie

Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen

(Ku400)

Ein Immenhäuser, der damals noch in der Nähe von Ulm lebte, schloß während des Zweiten Weltkrieges die Schule ab und begann am 3. April 1944 eine Lehre als Maschinenschlosser beim Hee­reszeugamt in Ulm. Das Heereszeugamt  und die Stadt Ulm als Verkehrs­kno­tenpunkt und mit wichtigen Betrieben der Rüstungsindu­strie waren ein bevorzugtes Ziel verheerender Bombenangriffe der Alliierten. In den Tagesberichten des Lehrlings finden sich immer wieder Einträge von Angriffen: „Aufräumungsarbeiten nach Terrorangriff“. Dies bedeutete, daß er und seine Kollegen zusammen mit aus­ländischen Zwangsarbei­tern die Straßen freischau­feln und erstickte Menschen aus den Kellern holen mußte.. Sie legten die Toten „wie Holz“ – so erinnert sich der Immenhäuser – auf die Straße und verdeckten deren Gesichter mit Tüchern.

Petroleumlampe

Warmes Licht im Bunker

(GFA106)

Eine Betzingerin, die heute in Goma­ringen lebt, erinnert diese Petroleum­lampe an die Kriegszeit. Sie weiß noch, daß diese Leuchte immer auf dem Dachboden lag, seitdem sie elektrisches Licht zu Hause hatten. Im Krieg wurde dann der Keller als Luft­schutzraum hergerichtet. Weil man dort eine Licht­quelle benötigte, die unabhängig von der elektri­schen Versorgung war, holte der Vater die Pe­troleumlampe von der Bühne. Diese Lampe war für das junge Schulmäd­chen etwas Besonderes im Luftschutz­keller, weil sie in dem kalten Raum ein bißchen „romantische Wärme“ ausstrahlte. Die Gomaringer­in erinnert sich auch noch an die schweren Bombenan­griffe auf das benachbarte Reutlingen 1945. Besonders eindrück­lich hat sie den Tag nach einem Angriff im Gedächtnis behalten, als sie durch die zerbombte Stadt ging und an einem völlig zerstörten Haus vorbeikam. Die Familie muß beim Kochen oder Essen überrascht worden sein, denn  die Nudeln lagen festgefroren am Boden.

Schildkrötpuppe, um 1945

Zerbombter Güterwaggon voller Spielsachen

(Mö64)

Die Patentante einer Bodelshäuse­rin wohnte am Ende des Zweiten Welt­krieges in Villingen beim Bahnhof. Diesen bombardierten wiederholt feindliche Flugzeuge, so daß die Züge nicht weiterfahren konnten. Leute, die in der Nähe des Bahnhofes wohn­ten, schauten immer wieder in den zerbombten Waggons nach, ob sie etwas Brauchbares finden könn­ten. Die Patentante der Bodelshäu­serin entdeckte mit ihrem Mann einen Waggon voller Spielsachen. Da die Villingerin  nicht wohlha­bend war, mußte sie meist sparsame Geschenke machen. Zum Geburts­tag 1945 aber konnte sie nun ihrem Patenkind ein großes Paket nach Bo­delshausen schicken. Darin befand sich, neben Spielen und Bü­chern, auch diese Puppe.

Bombensplitter, 1945

Angriff auf Tübinger Kasernen

(Ku306)

Bomben auf die Dörfer im Landkreis

Gasmaske

Von der Gemeinde verteilt

(Go142)

Eine Gomaringerin erhielt diese Gasmaske 1939 von der Gemeinde zugeteilt. Die ganze Familie war damit aus­gerüstet, noch heute hat sie drei Stück davon auf dem Dachboden. Das „F“ bezeich­net die Frauengröße.

Schild „Luftschutz Befehlsstelle“

Vorbereitung auf den Krieg im Betrieb

(Bo117)

Dieses Schild „Luftschutz-Befehls­stelle“ hing am Eingang der Bunkeran­lagen unter dem heutigen Kantinen­ge­bäude der Bodelshäuser Firma Maute. Das Haus war im Dritten Reich als Gefolg­schaftsgebäude errichtet worden. Der Besitzer des Hinweisschildes zieht daraus die Schlußfolgerung, daß sich die Nationalsozialisten schon früh auf einen Luftkrieg vorbereiteten. Heute ist der Bunker als Übungsraum an eine Rockband vermietet. Ab und zu laufen darin auch  die Versuche der Firma „Joma-Po­lytec“, die geräuschintensiv sind.

Schuhe, 1943/44

Arbeit eines Kriegsversehrten

(Ki360)

In den Kriegsjahren 1943/44 kaufte eine Kirchentellins­furterin diese Schuhe in einem Haushaltsladen unten im Dorf bei einem Kriegsversehrten. Nach seiner Verwundung war der Verkäufer, wie andere in seiner La­ge auch, ins Lazarett gekommen, wo es eine Art Beschäftigungsthe­rapie für die verletzten Soldaten gab. Die Zeitzeugin kommentiert: „Damit sie sich nicht so armselig und krank vorge­kommen sind“. Dort lernte er, wie man Schuhe aus den fabrikmäßig produzierten Papierschnüren herstellen konnte. Diese wurden zu Zöpfen geflochten, über Holzleisten gespannt und gleich mit einem Leinenfaden zusammengenäht. Der Kriegsver­sehrte fertigte auch Taschen an: „die waren so rund, wie so Schneckle aneinanderge­näht und hatten zwei Henkel dran. Das war prima, die ha­ben wir viel gehabt im Krieg“.

Fahrkarte, 1945

Tieffliegerangriff auf den Bahnhof

(Ku103)

Gegen Kriegsende konnte eine Bahnfahrt von Kirchentellins­furt nach Tübingen oder Reutlingen lebensgefährlich sein, da immer wieder Tiefflieger die Züge beschossen. Einige Kusterdinger er­innern sich noch an einen Fliegerangriff auf den Zug im Kirchentel­linsfurter Bahnhof, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen. Die Bombentrichter waren noch lange nach dem Krieg zu se­hen.

Diese alte Fahrkarte mit dem Stempel „Januar 1945“ kostete damals für die Strecke von Kirchentellinsfurt  nach Tübingen 30 Pfennige.

Flugzeugwrackteil

Abschuß über Hirrlingen

(Hi50/1-3)

Am Dienstag, dem 21. Mai 1991, wurden im Hirrlinger Gewerbegebiet die Überreste eines Jagdflugzeuges geborgen. Sie stammen von einer deutschen Maschine, die am 9. August 1944 abgeschossen worden war. Damals flog die alliierte Luftwaffe einen schweren Angriff gegen die Daimler-Benz-Werke in Sindelfingen. Zur Abwehr dieses Angriffes starteten deutsche Jagdflugzeuge von Schongau aus. Im Bereich Freudenstadt kam es zum Luftkampf, wobei bereits mehrere Piloten des deutschen Jagdge­schwaders abge­schossen wurden. Feindliche Maschi­nen jagten die Flugzeugführer Helmut Meissnerund Helmut Gebers bis in den Bereich Hirrlingen. Über Hirrlingen wurde der Fähnrich Gebersmit seiner Focke-Wulf 190 abgeschossen, Oberfähnrich Meissner kam bis Mössingen und wurde dort abgeschos­sen.

Eine Hirrlingerin, die damals als Mädchen mit der Mutter auf dem Feld Korn schnitt, beobachtete das Geschehen. Sie sah drei Flugzeuggruppen kommen, jeweils sechs bis acht Maschinen. „Wie sie gekommen sind, hat´s dauernd so gebatscht“. Die Mutter sagte „Duck dich!“, dann war ein „Pfeifen“ zu hören, das Mädchen sah „Funken“ in der Luft. „Und da wollte ich immer raufgucken, aber meine Mutter hat gesagt: da bist du dem Lot sein Weib, dich treffen sie doch auch noch vor lauter Naseweisigkeit“. Die Mutter legte sich in eine Furche und sagte „ich will´s nicht sehen“. „Und dann hat´s geschossen, es hat so ein richtiges Pfeifen gegeben in der Luft, und da hat sich ein Flugzeug abgetrennt. Du lieber Gott, der geht noch in den Himmel rein, der geht auf den Kirchturm zu, habe ich gesagt. Und da ist das Flugzeug abgestürzt, und die Kerle sind noch ein paar Mal gekreist, und dann hat´s Ruhe gegeben und dann hat man gesehen, daß eine Flamme raufgeht“.

Alte Hirrlinger berichten, die Braut des ab­geschossenen Piloten sei nach Hirrlingen zur Absturz­stelle gekommen und habe auch im Ort übernachtet. Der Sarg soll mehrere Tage in der Friedhofskapelle aufgebahrt gewesen sein. Weil es der verbrannten Leiche an Gewich­t fehlte, habe man Erde mit hineingefüllt. Von Hirrlingen wurde der Tote dann nach Böblingen überführt.

Englische Stab­brandbombe, 1944

Souvenir jugendlicher Sammler

(Mö150)

Ein Mössinger erlebte als dreizehnjäh­riger Junge im Keller des elterlichen Hauses, wie in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1944 über Talheim zahlreiche Brandbomben abgeworfen wurden und viele Häuser ab­brannten. Neugierig wie er war, lief er zum Bahnhof, weil ein Beamter sagte, die Bomben seien in Sebastians­weiler gefallen. Das war aber nicht so. Zu Hause erfuhr er, sie seien in Tal­heim abgeworfen worden. Er lief dorthin und sah, daß es bei Verwandten brannte. Diese Brandbombe fand er bei den anschlie­ßenden Aufräu­mungsarbeiten. Hin­ter der „Schwabenstube“ in Talheim lag noch eine Flügelbombe. Etwa 14 Tage später schmissen junge Kerle die Bombe gegen einen Baum, sie explodierte und tötete einen von ihnen.

Kusterdinger Bombennacht

In der Nacht vom 15. auf den 16. März 1944 bombardierten alliierte Flug­zeuge Kusterdin­gen. Sie warfen in großer Zahl Brandbomben ab, die ei­gentlich für Stuttgart bestimmt waren. Es gab drei Tote, fast 300 Haupt- und Nebengebäu­de brannten ab, 380 Men­schen wurden obdachlos.

Brandbombe, 1944

Pfarrer rettet die Kusterdinger Kirche

(Ku334)

Am 15.März 1944 durchschlug eine Brandbombe, die bei einem Angriff der Allierten abgeworfen wurde, das Dach der Kusterdinger Kirche und blieb auf der Bühne des Kirchenschiffes liegen. Pfarrer Martin gelang es, sie zu löschen. Auch den Kirchturm und das Pfarrhaus konnte er vor den Flammen retten.

Kaffeehafen

Aus dem Brandschutt geborgen

(Ku303)

Viele Kusterdinger verloren ihre Häuser und damit auch ihr gesamtes Hab und Gut bei dem Bomben­angriff  der Alliierten und den nachfolgenden Bränden im März 1944. Auch eine Familie konnte nur das nackte Leben retten, ihr Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Nachdem die Brände gelöscht waren, suchte die Hausfrau im Schutt nach Gegenständen, die noch zu gebrauchen waren. Dabei grub sie diesen Kaffeehafen aus. Eigentlich hoffte sie, ihr elektrisches Waffeleisen zu finden, aber das war vollkommen kaputt. „Ich habe sehr geklagt, daß unser ganzes Hab und Gut zerstört worden war. Mein Mann hat daraufhin gesagt: Oh Weib, das ist doch nicht so schlimm, viel schlimmer wärs, wenn wir da nach ei­nem Kind graben müßten!“

Zither

Original beim Bombenangriff verbrannt

(Ku53 *)

Das Elternhaus eines jungen Mädchens brannte in der Schreckensnacht des 15./16. März 1944 nieder, als Bomben auf Kusterdingen fielen. Dabei fiel auch die Zither, auf der die Kusterdingerin sich selbst das Spielen beigebracht hatte, den Flammen zum Opfer. Das bis auf die Grundmauern zerstörte Haus wurde nicht wieder­aufgebaut, die Familie wohnte lange Zeit bei Verwandten und Bekannten. Die hier gezeigte  Zither  aus dem Erzgebirge ist ein Geschenk des Sohnes und somit nur ein Ersatz für das verbrannte Originalinstrument.

Bombensplitter und alliierte Flugblätter 1942-1945

Versteckte Sammlung unter Reisigbüscheln

(Ku307; Ku305)

Unmittelbar nach dem Bombenangriff auf Kusterdin­gen sammelten zwei Brüder, einer hatte gerade das achtzehnte Lebensjahr vollendet, war aber noch nicht  zur Wehrmacht eingezogen worden, diese Bombensplitter. Die beiden hatten eine wahre Sammellei­denschaft für diesen „Kriegsschrott“ entwickelt und zeigten ein großes Interesse an der Dokumenta­tion dessen, was damals vor sich ging. Wahrscheinlich waren sie von ihrem Vater, der Geschichtslehrer war, beeinflußt.  Der Kusterdinger erinnert sich: „Wir sind damals sogar mit dem Fahrrad nach Böblingen gefahren, um nach einem Bom­benangriff dort die Splitter einzusammeln“. Die beiden sammelten auch sämtliche Flugblätter, die alliierte Bombenflug­zeuge abgeworfen hatten. Da es strengstens verboten war, solche Gegenstände zu besitzen und darauf auch ei­ne hohe Strafe stand, versteckten sie ihre Sammlung auf der Bühne unter Reisigbüscheln.

Das letzte Aufgebot:

Taschenbuch 1945

Fahnenflucht und Denunziation

(GFA223)

In das Taschenbuch hat ein Gomaringer seine Erlebnisse in den letzten Kriegstagen eingetragen. So steht unter dem 10. April noch ein „schöner Tag“, an dem er die Freundin Emmy „busierte“. Am Tag darauf ist eine „plötzliche Abfahrt mit dem Zug nach Ulm“ verzeichnet. Der Gomarin­ger befand sich seinerzeit im Gene­sungsurlaub, als er den Marschbefehl erhielt. Zusammen mit einem Kamera­den, der noch vom National­sozialismus überzeugt war, nahm er den Zug nach Stuttgart. Als sie aus Gomaringen hinausfuhren, meinte der andere „Die Heimat werden wir nicht mehr wiedersehen“. Unser Zeit­zeuge entgegnete, er werde sie sehr wohl wieder­sehen und hatte bereits ge­plant, nicht zur Front zurückzukehren.

Auf dem Stuttgarter Haupt­bahnhof trennten sich ihre Wege, und unser Gewährsmann kehrte direkt nach Hause zurück. Der Eintrag im Taschenbuch über die plötzliche Abreise bezieht sich auf den Zeitraum der folgenden Tage, als plötzlich die Feldjäger auftauchten. Ein Gomaringer muß ihn denunziert haben. Ihm drohte damals die stand­rechtliche Aburteilung wegen Fahnenflucht. Zum Glück war er gerade nicht zu Hause. Als der Fahnenflüchtige von der Polizeiaktion hörte, machte er sich schleunigst auf nach Ulm zu seiner Pioniereinheit, wo er sich meldete. Es geschah ihm nichts mehr. Gemeinsam mit seinen Ka­meraden marschierte er dann für ein Jahr in ame­rikanische Gefangenschaft.

Armbinde des Volkssturms

Mit 55 Jahren Krieg führen

(GFA184)

Diese Armbinde gehörte einem Gomaringer, der in den letzten Kriegsmonaten 55 Jahre alt war und zum Volkssturm einrücken mußte. Ab September 1944 wurde aus allen „waffenfähigen“ Männern, die nicht der Wehrmacht angehörten, der „Volkssturm“ gebildet. Er un­terstand dem „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler, war weder richtig ausgebildet noch ausgerüstet und wurde erbarmungslos in den sinnlosen Tod geschickt. Viele Volkssturmmänner kamen allerdings erst gar nicht mehr zum Einsatz.

Gefangenschaft

Im Laufe des Zweiten Welt­krieges gerieten viele deutsche Soldaten in alliierte Kriegsge­fangenschaft. Während die Amerikaner und Englän­der ih­re Gefangenen human behan­delten und relativ bald entließen, ging es vielen, die in russische Lager kamen, er­heblich schlechter. Sie wurden dort ähnlich behandelt wie viele russische Kriegsgefangene, die im Deutschen Reich als Zwangs­arbeiter eingesetzt worden waren. Im Mai 1950 erklärte die UdSSR die Rückführung der deutschen Kriegsge­fangenen für abgeschlossen. Indes­sen kehrten noch bis 1955 viele Tausend Kriegsge­fangene und in der Sowjet­union als Kriegsverbrecher Verurteilte zurück.

Fotoalbum, 1940-1945

Drei Jahre Ungewißheit

(Ki281)

Das Fotoalbum (1940-1945) eines Kirchen­tellinsfurters dokumentiert die Geschichte des Zweiten Weltkrieges aus der Sicht eines einfachen Soldaten und enthält Fotographien aus Frankreich und Rußland. Seine Frau erinnert das Ge­denkbuch daran, wie sie aus weiblicher Perspektive den Alltag während des Krieges erlebte: „Es war für uns Frauen eine harte Zeit. Wir waren vier Monate, sieben Monate, 18 Monate und so weiter von unseren Män­nern getrennt und mußten ne­ben der Kindererziehung auch überall aushelfen. Wir haben es gerne getan, auch beim Bauern sind wir eingesprun­gen. Ich meinte, die Gewißheit zu haben, daß mein Mann bei Kriegsende in amerikanische Gefangenschaft kam. Aber was geschah? Die Kriegsgefange­nen wurden den Russen übergeben, bis hinter die Wolga verfrachtet, wo mein Mann im Dezember 1945 gestorben sein soll. Ich ha­be dies dann erst 1948 erfahren“.

Aktentasche

Schotte schenkt Kriegsgefangenem Koffer!

(Inv.- Nr.: De251)

Der Vater einer Dettenhäuserin mußte in der Kriegsgefangenschaft in Schottland als Gärtner arbeiten. Als ihm sein Arbeitgeber einen alten Koffer schenkte, stellte er daraus diese Aktentasche her. Ob den schottischen Familienvater seine Großzügigkeit später gereut hat? Jedenfalls gefiel ihm die Tasche so gut, daß er sie kaufen wollte. Erst 1948 kehrte der Dettenhäuser aus der  Kriegsgefan­gen­schaft zurück. Im Gegensatz zu vielen anderen ehemaligen Soldaten, die zum Beispiel in russischer Gefangenschaft waren, erging es ihm in Schottland recht gut. Er konnte seiner Familie sogar Lebensmittel schicken. Die Tasche ist heute noch in Gebrauch.

Feuerzeug

Dank an einen Zahnarzt

(Bo455)

Französische Soldaten nahmen einen Bodelshäuser 1945 in Afrika gefangen. Der gelernte Zahnarzt behandelte im Gefangenenlager die deutschen Soldaten, die ihm zum Dank dieses selbstgeba­stelte Feuerzeug schenkten.

Flöte aus Frankreich

Mitbringsel eines Kriegsgefangenen

(Ku56*)

„Das ist eine ganz besondere Flöte“. Der Vater schenkte sie einer Kusterdin­gerin 1949, als er aus der Kriegsgefan­genenschaft in Frankreich zurückkam. Im Kriegsgefangenenlager erhielt man Zigaretten, und da ihr Vater Nichtrau­cher war, sammelte er immer die Marken und tauschte sie ge­gen diese Flöte ein. Die Ku­sterdingerin war damals 11 Jahre alt. Sie bekam das In­strument aus Bakelit zu ei­ner Zeit, als sie recht we­nig Spielzeug besaß: „Ich war ganz stolz darauf und hab‘ feste damit gespielt und natürlich auch viel reingespuckt. Ja, und weil mir diese kleine schwarze Bakelitflöte so gut gefallen hat, habe ich angefangen, Flöten zu sammeln“.

Kochtopf aus Konservenbüchsen

Von Brennesseln ernährt

Inv.-Nr.: Tü108

Russische Soldaten nahmen einen Tübinger während des Zweiten Weltkrieges gefangen. Sie sperrten ihn bis 1949 in einem sibirischen Lager ein. Die Kriegsgefangenen sammelten Brennesseln, Melde und andere genießbare Pflanzen, die sie dann in solche Blechbüchsen stopften. Die zusammengesteckten Dosen legten sie so lange ins offene Feuer, bis der Inhalt gar war. „Dies“, so der Zeitzeuge, „war dann mengenmäßig mehr Essen, als wir aus der Lagerküche erhielten“. Die Kochvorrichtung hat er für die Ausstellung „Erlebte Dinge“ nachgebaut.

Blechdose

Zum Tausch gegen Brot

(Ki121)

Schon im Alter von 17 Jahren  zog die Wehrmacht 1943 einen Kirchentellinsfurter ein. Soldaten der Roten Armee nahmen ihn am 9. Mai 1945 in Ostpreußen gefangen. Im Ge­fangenenlager Saratow an der Wolga stellte er dann solche Zigarettendosen her und verkaufte sie an die russische Bevö­lkerung, zum Teil nur für ein Stück­chen Brot. Der Zeitzeuge erinnert sich: „Da hab ich  lange geschabt, gebogen, mit Steinen gerieben und mit einem alten Nagel geritzt“. Diese Zigarettendose hat er als einzige zum Andenken behalten. Er gravierte die Buchstaben GG, zwei Herzen und auf der Rückseite eine Rosette hinein. Auch nachdem er 1950 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, bewahrte er in der Dose weiterhin Tabak und Zi­garetten auf.  

Tabakschachtel

Mit Monogramm, Estland 1945 (Hi10/6)

Diese Tabakschachtel mit dem Monogramm „Estland 1945“ stellte ein Hirrlinger in russischer Gefangenschaft her.

Kamm aus Aluminiumblech

In Gefangenschaft hergestellt

(GFA33)

Der Mann einer Gomaringerin kam 1949 aus russischer Kriegsgefangen­schaft zurück. Zur Erinnerung an diese Zeit brachte er einen Kamm mit, den er im Lager aus einem Aluminium­blech geschnitten hatte. Solche Gegenstände stellten die Kriegsgefangenen aus vorhandenem Material her, um sie bei der Bevölke­rung ge­gen Lebensmittel einzutau­schen.

Postkarte

Erstes Lebenszeichen aus der Gefangenschaft

(GFA210)

Dies ist die erste Post­karte, die eine Gomaringerin 1945 von ihrem Mann aus rus­sischer Kriegsgefangenschaft er­hielt. Über eine Suchmel­dung des Roten Kreuzes gelang es ihr damals, den abgerissenen Kontakt zu ihm wieder herzustellen. Sie selbst war mit ihrer einjährigen Tochter inzwischen auf der Flucht in Schleswig – Holstein gelandet, später kam sie an die Wiesaz. In langen Abständen von bis zu einem halben Jahr bekam die Gomaringerin Post von ihrem Mann. Endlich, 1949, wurde er entlassen und konnte zu sei­ner Familie zurückkehren.

Luftwaffenuniform

In Kriegsgefangenschaft getragen

(Ku298)

Diese Luftwaffenuni­form bekam ein Mähringer 1943 in kanadischer Gefangenschaft ausgehändigt. Knöpfe und Schulterstücke waren zuvor entfernt worden. Bei seiner Entlassung und Heimkehr drei Jahre später trug er noch die gleiche Kleidung. Allerdings hatte er sie in Schottland, wo er auch einige Zeit inhaftiert war, eingefärbt, die Hose blau und die Jacke braun, so daß sie ziviler aussah.

Spielzeug: Hühnerfütterung 1945 – 47

Erster Preis im Kriegsgefangenenlager

(Hi12/1)

Ein Hirrlinger war lange in französi­scher Gefangen­schaft. Der Lagerkom­mandant schrieb einen Wettbewerb aus, bei dem ein Duplikat dieses handgefer­tigten Spielzeugs den ersten Preis erzielte. Als Gegengabe er­hielt der Gefangene ein französisches Baguette und eine Schachtel Zigaretten. Seine Frau erinnert sich: „Für meinen Mann war dieses Spielzeug so wertvoll, daß er es vor den Kindern versteckte“.

Kriegsgefangenenbrief

Der Trick mit der  Texaspost

(Tü41)

Amerikanische Soldaten nahmen einen Hagellocher im Juli 1943 in Sizilien ge­fangen. Dieser Briefum­schlag ist eine Erinnerung an das, was er als Gefange­ner die „Texaspost“ nannte. Wie sie funktionierte, berichtete der Zeitzeuge: „Im Camp kam die ganze Post, die aus Europa eintraf, zur Verteilung. Mitgefangene, die in ein anderes Lager verlegt wurden, nahmen leere Briefumschläge, auf denen ich als Absender stand, mit. Jetzt haben die zum Beispiel ins `Camp Mexia` einen Brief an jemanden ge­schrieben, der dort gar nicht einsaß. Der wurde dann gestempelt ‚Not in Camp Me­xia‘. Der Brief, nunmehr mit einer Nachricht meines Freundes versehen, kam dann unzensiert zu mir ins Lager `zurück`, weil ich ja als Absender darauf stand. Die Amerikaner wunderten sich immer, daß wir als Kriegsge­fangene meist wußten, was in den anderen Lagern los war“.

Pullunder, 1944/45

Zeichnung aus der Kriegsge­fangenschaft, 1944/45

In Gefan­genschaft selbst gestrickt

(Ku177,178*)

Das gezeichnete Zeltlager in Kanada war die erste Station eines kriegsgefan­genen Soldaten aus Mähringen. Er war bereits 1943 bei der Niederlage des Afrikakorps in amerikanische Gefan­gen­schaft geraten. Die klimati­sche Umstellung von der nordafrikanischen Wärme auf den harten kanadischen Winter mit bis zu 40 Grad Kälte, machte ihm ziemlich zu schaffen. Die Zelte wa­ren unbeheizt, die Gefangenen verbrannten sogar Riegelseife, um wenigstens etwas Wärme zu erzeugen. Sie lagen auf dem Holzboden, ein jeder mit sieben Decken. „Es war so kalt“, erzählt der Zeitzeuge, „daß die Wasserlei­tungen brachen, und wir die Zelte und Fenster mit Fett bestrichen“. Im Lager galt die sogenannte Zigaretten­währung. Da der Mähringer nicht rauchte, hatte er im­mer Geld und konnte deshalb das Bild von einem künstle­risch begabten Leidensgenos­sen kaufen.

Auch den Pullunder strickte er während seiner Kriegsgefan­genschaft in einem kanadi­schen Holzfällerlager. Die Stricknadeln dazu fertigte er aus Stacheldraht an, indem er die Krampen wegmachte und dann vorne ei­ne Spitze schliff. Die Wolle bestand aus aufgezogenen Buschstrümpfen. Von denen kaufte er sich drei Paar, trennte sie auf und strickte damit zwei Pullover. Da ka­men ihm die langen Winter zu Hause zugute: „Im Winter, wenn man nicht raus konnte, hat meine Mutter Strümpfe gestrickt. Und dann hab ich gesagt: Mutter, ich will auch ein paar Nadeln haben. Natürlich habe ich damals nicht schön gestrickt, aber doch hatte ich das Wissen noch in mir, und dadurch habe ich dann im Holzfällerla­ger das Stricken angefangen“.

Ihm war schon klar, daß Stricken keine Männerarbeit war, aber er fertigte sieben oder acht Pullover an, auch für Kameraden. Es gab wenige andere Ge­fangene, die auch strickten. „Man war froh, daß man eine Arbeit gehabt hat“, meint der Mähringer rückblickend. Auch Un­terhosen und Unterhemden zo­g er auf und strickte mit der Wolle. „Jacken konnte man in der Kriegsgefangenschaft nicht anziehen, denn sie hätten beim Schaffen behindert. Wir mußten jeden Tag 20 Bäume umhauen, 120 Bäume in der Woche. Den Pul­lunder habe ich ziemlich dicht gestrickt, denn draußen war es ja kalt. Ich ziehe ihn jetzt noch im Win­ter an, wenn ich rausgehe“.

Kriegsgefangenenpostkarte, 1946

Exakt berechnete Abwesenheit: 7,6 Jahre

 (Mö208)

Mehr als siebeneinhalb Jahre trennte das nationalso­zialistische Regime einen Mössinger von seiner Frau, nur unterbro­chen durch gelegentlichen Urlaub. Dies  hat er ganz ge­nau nachgerechnet: 323 Tage dau­erte der Arbeitsdienst, 1492 Tage der Kriegsdienst in der Wehrmacht und ge­nau 959,5 Tage die tschechische und russische Gefangenschaft. Am Samstag, den 19. Dezember 1947, kam er um 12 Uhr zurück nach Mössingen, und von dieser Minute an war er wieder zu Hause und ein freier Mensch: „Wenn ich mich auch zuerst wieder an die Freiheit gewöhnen mußte“.

Entlassungsschein aus Kriegsgefan­genschaft

Dem Endkampf entronnen

(Bo114)

Dieses Formular erhielt ein Bodelshäu­ser bei seiner Ent­lassung aus amerika­nischer Kriegsgefangenschaft. Bei Kriegsende war er aus dem Lazarett entlassen worden und sollte noch in ei­ner Scharfschützenkompanie der SS zum „Endkampf“ in den Bergen antreten. Es gelang ihm, einen Lastwagen zu organisieren, mit dem er sich Richtung Westen absetzen konnte. Er überschritt dabei die Demarkati­ons­linie zwischen Russen und Amerika­nern und geriet deshalb in amerikanische Gefangen­schaft. Als er bereits nach vier Wochen wieder aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, wollte er weiter in die französische Besatzungszone. Der Transport ging nach Tuttlingen. „Tuttlingen war damals be­kannt“, erzählt der Bodelshäuser, „wir wußten, daß in Tuttlingen die Franzosen wieder Gefangene machen und sie nach Frankreich zum Arbeitseinsatz transportieren“. Deshalb sei fast die Hälfte des Heimkehrertransports im Bayrischen vom Zug gesprun­gen. Ein amerikanischer Oberleutnant fuhr indessen als Transport­begleiter bis nach Tuttlingen mit und erwirkte bei den Franzosen, daß die Rückkehrer auch tat­sächlich direkt nach Hause gehen konnten. Als einer der ersten Kriegsheimkehrer kam der Bodelshäuser deshalb bereits im Ju­ni 1945 zurück. Der gelernte Kaufmann mußte damals „wohl oder übel“ erst einmal die elterliche Landwirtschaft betreiben, weil alle Brüder weg waren.

Entlassungsschein aus der Kriegsge­fangenschaft 1946

Hirrlingen im Bezirk Stuttgart

(Hi5/7)

Der Besitzer gab in seinem Ent­lassungs­schein an, daß sein Heimatort Hirrlin­gen im Be­zirk Stuttgart liege. Es war seinerzeit bekannt, daß Kriegsgefange­ne in die amerikanische Besatzungszo­ne früher entlassen wurden, als in die französische. Da Hirrlingen eigentlich im Kreis Tübingen und damit in der französischen Zone lag, wies er den Ort kurzerhand dem Bezirk Stuttgart und da­mit der amerikanischen Zone zu.

Entlassungsschein 1950, Glück­wunschkarte „Ein Schwa­bengruß“

Der letzte Kriegsheimkehrer aus Hirrlingen

(Hi7/13,18)

Dies ist der Entlassungs­schein des letzten Kriegs­heimkehrers aus Hirrlin­gen. Er war am 7. September 1939 eingezo­gen worden, russische Soldaten nahmen ihn am 12. Mai 1945 in der Tschechei gefangen. In Stettin mußte er dann zusammen mit 7000 anderen Gefange­nen in drei Tagen 30 Beuteschiffe beladen. Ab Februar 1947 setzten ihn die Tschechen unter Tage in einer Erzgrube ein. Dort feierte er seinen 29. Geburtstag, zu dem ihm Kameraden diese Glückwunsch­karte schenkten. Ein Jahr später wurde er im Stollen verschüttet. Ein Hun­gerstreik, bei dem die Bewacher den Gefangenen ei­nerseits mit Erschießung drohten, ihnen an­dererseits eine gedeckte Tafel anboten, endete schließlich mit dem Sieg der Streikenden. Mit ihnen kam der Hirrlinger nach Frankfurt an der Oder ins Entlassungslager und von dort aus nach Friedland.

Kerze „Ich leuchte für Dich“

Warten und Hoffen auf die Rückkehr der Männer

(Ku71)

Überall im Dorf, so erinnert sich eine Kusterdingerin, wurden 1948 eine oder mehrere derartige Ker­zen ins Fenster gestellt. Sie dienten dem Gedenken an jene Kriegsgefangenen, die noch nicht heimge­kehrt waren. Diese Kerze ist eine der ersten Erinnerungen der Frau an einen Hei­ligabend in ihrer Kindheit.

Die Überlebenden kehren heim

Kriegsgefangenenkleidung 1947

Ein Besenstil aus der Lagertoilette zum Stock umfunktioniert

(Mö1-9)

Ein Mössinger bekam diese Kleidung am 2. Dezember 1947 ausgehändigt, dem Tag, an dem er aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. Einer Knieverletzung, die ihn ins Lazarett von Petrosawodsk (der heutigen Partnerstadt von Tübingen) gebracht hatte, verdankte er die Entlassung.  Mit  einer Unterhose, einem Hemd, einer wattierten Jacke und einer wattierten Hose bekleidet, trat er seinen Rückweg an. Der Kittel ist eine ehemalige Wintertarnjacke der deutschen Wehrmacht. In die Stiefel hat der Mössinger nachträglich einen Draht eingezogen, um den Zustand bei seiner Entlassung wiederherzustellen. Wegen seiner Knieverletzung mußte sich der Heimkehrer bei der Reise auf einen Stock stützen. Mit diesem Luxus konnte die Krankenstation aber nicht dienen. Deshalb bediente sich der Mössinger in Petrosawodsk selbst. Kuzerhand funktionierte er den Stil eines Besens auf dem Abort zum Krankenstock um.

Heimkehrerpostkarte

Groß gegangen, klein gekommen

(Ku358)

Mit dieser Postkarte kündigte ein Kusterdinger seine Rückkehr aus rus­sischer Kriegsgefangen­schaft an. Als seine Frau die Karte bekam, wußte sie nicht mehr, was tun vor Glück. „Mir war zwar bekannt, daß er noch lebte, doch war er schon so lange weg, daß die Kinder ihren Vater nicht mehr kannten!“ Als er zu Hause war, bemerkten die beiden Jungens: „Groß bist‘ in den Krieg gegangen, klein bist du gekommen“. Vier Jahre hatten sie ihren Vater, der an Dystrophie erkrankt war, nicht gesehen. Vater und Söhne waren sich ganz fremd geworden. Damals besaß die Familie fast gar nichts mehr, weil das Haus durch einen Bomben­angriff auf Kusterdin­gen völlig niederge­brannt war. Sie wohnten in einer klei­nen Baracke, einer Art Schopf, „einem Hundshäusle ohne Tisch und Stuhl“, wie es die Kusterdingerin rückblickend bezeichnet. Ein alter Mann und ein Nachbar schenkten den Ausgebombten einen Tisch und zwei Stühle. Damit alle drei Personen sitzen konnten, legten sie ein Brett zwischen beide Stühle. In dem Schopf gab es nicht einmal Wasser. Eine Nachbarin schenkte ihnen ei­nen Eimer und sie durften bei ihr Wasser zum Kochen und Waschen holen. Für die Körperwäsche erhielten sie noch eine zusätzliche Schüssel zum Umfüllen. „Die ganze Familie hat sich in einem Wasser ge­wa­schen, weil es doch so kostbar war“.

Möbel einer Puppenstube, 1946

In der Gefangenschaft gebastelt

(Mö43)

Am 10. Oktober 1946 kehrte der Großvater einer Mössinger Schülerin aus dem Zweiten Weltkrieg zurück, er brachte diese Puppenmöbel mit. Seiner Enkelin hat die Patentante die folgende – wohl etwas dramatisierte – Geschichte erzählt und dabei die „Puppenstube“ sorgsam ausgepackt: „Über 16 Monate lang war der Opa hinter Sta­cheldraht in einem Lager in England. Vorher hatte er in Rußland gehungert und bekam nun täglich kleinste Rationen. Das, was die amerikanischen Bewacher üb­rig hatten, warfen sie in den Müll und schütteten Asche darüber. An diese Mülltonnen schlich der Opa heran und fand ne­ben Zigarettenkippen und schmutzi­gen Dosenresten so manches Brauch­bare, unter anderem ein wenig Holz und eine kaputte Scheibe Plexiglas. Weil er sich nach seinen zwei Mäd­chen, die fünf und zwei Jahre alt wa­ren, sehnte, entstanden für deren Puppen­stuben nach und nach verschiedene Möbel­stücke. In die hat er seine ganze Vater­liebe hineinpoliert. Vielleicht hätte er sonst durchgedreht und einen Fluchtversuch unternommen und wäre dabei erschossen worden. Und deine Mama und dich hätte es dann gar nicht gegeben, denn sie wurde erst 1954 geboren“.

Kriegsende, Flucht, Ver­trei­bung

Im April 1945 marschier­ten fran­zösische Trup­pen im Landkreis Tübin­gen ein. Dabei kam es zu Plünder­ungen und Ver­gewalti­gungen. Für die einen bedeutete das Ende des nationalsozialisti­schen Regimes eine „Befreiung“, andere nannten das Kriegsende „Umsturz“ oder „Zusammenbruch“.

In dieser Zeit, in der die Wirt­schaft nicht mehr funktionierte, fehlende Erwerbsmöglichkeiten, Versorgungsengpässe und Hun­gerkrisen die Deutschen viel stär­ker trafen, als während des ge­samten Krieges, orga­nisierten die Frauen das Überleben. Viele Männer waren gefallen, vermißt oder in Kriegsgefangen­schaft. Es dauerte mitun­ter Jahre, bis Familien wieder zusammenfan­den. Jeder sechste, der 1961 im Landkreis wohnte, kam in den Nach­kriegs­jahren als Vertriebener oder Flüchtling hierher.

Der Landkreis Tübingen unterstand der französischen Militärverwaltung, welche die Demokratisierung des gesamten öffentlichen Lebens einleitete. Ehemalige Funktio­näre der NSDAP, die kein „Persilschein“ bei der mit unterschiedlicher Konsequenz und Intensität durchgeführten „Entnazifizierung“ entlastete, verlo­ren meist ihre Posten.

Das Kriegsende steht bevor

„Handwerkzeug“ – Kiste, 1945

Nichts dem Feind überlassen

(Go8)

In die Gebäude ländlicher Textilbetrie­be wurden während des Zweiten Welt­krieges häufig rüstungswich­tige Betriebe aus den von Luftangriffen bedrohten Bal­lungsgebieten verlagert. Die Gomaringer Firma Dölker (heute Naturana) mußte der Stuttgarter Werkzeugfabrik Hahn und Kolb Platz einräu­men. Kurz vor dem Einmarsch der Franzosen im April 1945 räumte die Firma ihre Lager, um die Waren lieber der Go­maringer Bevölkerung zu ge­ben, als sie dem Feind in die Hände fallen zu lassen. Eine Zeitzeugin erinnert sich, daß damals der Büttel den Sonderver­kauf ausschellte. Der Vater erwarb diese Werkzeugkiste, vom Inhalt ist nicht mehr viel erhal­ten.

Rechnung über Wein, 1944

In letzter Stunde noch spendabel

(Go6)

Acht Tage vor dem Einmarsch der Franzosen in Gomaringen im April 1945 erhielten der Küfer Kern und der Bahnhofs­wirt Baumann den Auftrag, mit einem Fuhrwerk Wein in Reutlingen abzuholen. Die Lager sollten zugunsten der Bevölkerung geleert werden. Von Tieffliegern bedroht, machten sich die beiden Fuhrleute unter ständiger Lebensgefahr auf den Weg. Die Ehefrauen und Kinder zitterten um die beiden. Obwohl es an dem Tag wirklich einen Angriff gab, kamen sie samt 1200 Litern Wein des Jahrgangs 1944  unversehrt nach Gomaringen zurück. Alle waren heilfroh. Während es jahrelang kaum Wein gegeben hatte, bekam jetzt jeder Erwachsene gegen Lebensmittelkarten gleich einen ganzen  Li­ter im Farrenstall ausge­schenkt.

Gürtel und Löffel

Mössinger plündern im Versorgungslager

(Mö158,159)

Gürtel und Löffel stammen aus einem Versor­gungslager für die deutsche Reichsmarine in Mössingen. Dieses war in den Gebäuden der Textilfabrik „Pausa“ un­tergebracht, deren jüdischen Besitzer die Nationalsozialisten zwangsenteig­net hatten. Im April 1945, kurz vor dem Einmarsch der Franzosen, öffneten die Behörden das Lager und verkauften die Kleider, Schuhe so­wie sonstigen Utensilien an die Bevölkerung, um sie nicht „dem Feind“ in die Hände fallen zu lassen. Freilich blieb eine Menge übrig, weil der Verkauf stoppte, als die Franzosen von Rottenburg nach Tübingen vormarschierten. Nach dem Einmarsch der Franzosen stürmten dann die Mössinger das Marinelager, man nahm mit, was man brauchen und tragen konnte. Auch die „Zwangsarbeiter“, vor allem 300 Holländer, die bei der Maschinenfabrik „Esslinger“ unter dem NS-Re­gime Zwangsarbeit geleistet hatten, kleideten sich dort ein.

Russischer Ausweis

Mit Todesängsten von Lager zu Lager

(De)

In den letzten Wochen vor Kriegsende arbeitete eine Frau, die heute in Dettenhausen lebt, als Krankenpflegeschülerin im böhmischen Eger bei den „Braunen Schwestern“. In den letzten Kriegstagen erklärte die deutsche militärische Führung Eger zur Festung. Ein Tieffliegerangriff setzte die Stadt in Brand. Es war nicht klar, ob die Russen oder die Amerikaner zuerst einmarschieren würden. Vor den russischen Soldaten herrschte so große Furcht, daß die Oberschwester ihre Schülerinnen darauf vorbereitete,  (Gift-) Kapseln einzunehmen.Weiter berichtet die Dettenhäuserin: „Wir sind in der Nacht durch ein Toilettenfenster geflohen und kamen zum Marktplatz, wo ein Erhenkter hing. Wir trafen Soldaten, die uns aus Eger hinaus brachten“. Kaum zu Hause, erhielt sie die Weisung, in der Küche eines tschechischen Soldatenlagers zu helfen. Man drohte ihr und ihren Kolleginnen: „Morgen kommt ein Trupp deutscher Soldaten, denen werden im Keller die Augen ausgestochen, und ihr müßt dabei zusehen“. „Ein tschechischer Leutnant, den wir wegen seines Bartes Rasputin nannten, beruhigte uns, daß uns nichts geschehen würde, und er besorgte uns eine Arbeit außerhalb des Lagers bei einem Konditor. Bis zur Ausweisung waren wir dann dort. Wir fürchteten den Einmarsch der Russen. Letztlich jedoch waren die Russen unsere Beschützer vor den Tschechen. Handwerker und in der Krankenpflege Beschäftigte durften etwas länger in Nordböhmen bleiben. Alle anderen mußten schon Anfang Juni die Heimat verlassen. Da meine Mutter im Lazarett tätig war, konnten wir noch bleiben und wurden erst Anfang September ausgewiesen. Die Russen, aber besonders die Tschechen, hatten uns ausgeplündert. Wir hatten einen jüdisch – russischen Ortskommandateur, der recht nett war und uns nach Vorsprache meiner Schwester Gutscheine für die Wiederbeschaffung  ausstellte. Bei der Ausweisung durften wir nur 30 Kilogramm Gepäck mitnehmen, so verloren wir wieder fast alles. Häufig nahmen die Tschechen auch das noch an der Grenze weg“. Als die Familie nach Sachsen kam, erlebte sie bittere Enttäuschungen von den deutschen Landsleuten: „Sie fanden es gerecht, daß man uns rausgeschmissen hatte. Noch 1938 waren sie, wir nannten sie Kaffeesachsen, zu Kaffee und Kuchen zu uns gekommen, und jetzt gaben sie uns nicht mal einen Schluck Wasser. In Güterwaggons schaffte man uns von einem Bahnhof zum anderen. Nirgends wollte man uns haben und bis rauf in den Harz gab es keinen Platz. Sehr viele aus den KZ’s und aus Polen waren unterwegs, wie eine Völkerwanderung. Von Zittau wurden wir erst mal nach Risa, wo es ein großes Auffanglager gab, hingebracht. Es gab wenig zu essen. Auf den Bauernhöfen tauschten wir Schmuck und Stoffe gegen Essen.“ Von einem  russischen Mann bekamen die Flüchtlinge ein Brot. Zurück in Dessau, kamen sie in ein riesiges Lager mit vielen Ausländern.  Dort bekamen sie zu hören: „Jetzt geht es euch so wie uns und ihr kommt auch ins KZ!“  Für alle, die etwas mit dem NS- Regime zu tun hatten und insbesondere für kleinere Funktionäre, gab es nach Angaben der Zeitzeugin in Zwickau ein Lager, das von den Tschechen eingerichtet worden war „Dort ging es ganz brutal her. Ich hatte Verwandte, die dort waren.“

Dann kam die Familie in die `Junkerssiedlung` nach Waldersee bei Dessau. „Dort wollten die Leute uns auch nicht nehmen. Es war wieder ein Kommunist, der uns ein Zimmer beschaffte. Die Schlesier wollte damals auch niemand aufnehmen.Wenn man selbst betroffen ist, sieht man das anders“. Die Dettenhäuserin meint jedoch im Nachhinein, daß es bei ihnen in Böhmen nicht zu den großen Übergriffen russischer Soldaten wie in Ostpreußen gekommen sei. „Mehr waren die Tschechen zu fürchten, die der Familie meines Mannes, die aus der Woijwodina geflohen war, die beiden Fuhrwerke wegnahmen, sie in den Wald trieben und mit Erschießung drohten. Vergessen kann man das nicht“. Der Mann der Dettenhäuserin, der seinerzeit in der Woijwodina im ehemaligen Jugoslawien lebte, ergänzt die Darstellung seiner Frau über das Verhalten Ortsansässiger gegenüber Flüchtlingen: „Es kamen Flüchtlinge aus dem Banat, die wir auch nur ungern aufnahmen. Es gab immer Ausreden wie : `Wir haben den Hof schon gekehrt`, was zu einem geflügelten Wort wurde“.

Unmittelbar nach dem Ein­marsch

Feldflasche

Weiße Fahne auf dem Bodelshäuser Kirchturm

(Bo319)

Ein Bodelshäuser, der wegen seiner schweren Verwundung am 16. April 1945 in sein Heimatdorf zurückkehrte, besaß nur noch das Nötigste an Hab und Gut: die Kleidung, die er auf dem Leib trug, eine Feldflasche und einen Brotbeutel. Wenige Tage nach seiner Ankunft marschierten die französischen Besatzungstruppen an einem Sonntag, dem 22. April 1945, im Ort ein. Der Berichtende meint, es sei im Ort „nichts passiert“, weil die Bevölkerung den französischen Soldaten Zigaretten und andere Dinge zugesteckt habe, um sie freundlich zu stimmen. Als Zeichen der Kapitulation hißte er eine große, weiße Fahne, genauer ein Bettuch an einem Baumstutzen, auf dem Kirchturm. Das war eine nicht ungefährliche Tat, denn fanatische Nazis bedrohten noch immer jeden mit dem Tod, der sich ergeben wollte.

Bismarckbüste vom Gasthaus „Zum Deutschen Kaiser“

Schießübungen französischer Besatzungssoldaten

(Hi30/2-6)

Das Gasthaus „Zum deutschen Kaiser“ gehörte zu den ältesten Hirrlin­gens, es stand am Platz der heutigen Kreissparkasse. Ein Zeitzeuge war zum Zeitpunkt des Einmarsches der Franzo­sen sechs Jahre alt. Sein Vater, ein Lehrer, lebte mit seinen neun Kindern im Schloß, im Stockwerk über dem heutigen Bürgermeister­amt. Als die Franzosen kamen, wurde gerade eine vom Vater „organisierte“ Sau schwarz ge­schlachtet. Obwohl die Familie ihre Wohnung innerhalb einer Stunde für die neue Ortskommandantur räumen mußte, gelang es, das Fleisch in verdeckten Wannen zu retten.

Einige Tage später trieben sich die ausgehungerten Kinder in der Nähe der französischen Feldküche  beim Schloßweiher herum. Da trat ein offensichtlich be­trunkener französischer Sol­dat heraus und schoß wild um sich, wobei er versuchte, die Bismarckbüste am Gasthaus „Zum Deutschen Kai­ser“ zu treffen. Erst nach mehreren Fehlschüssen traf er mitten in die Brust. Spä­ter, als das Gasthaus zur Kreisspar­kasse umgebaut wurde, rettete der Zeitzeuge die Büste und gab sie zum Restaurator. Freilich wollte er unbedingt, daß der Durchschuß erhalten bleiben sollte. Er war sehr enttäuscht, als der Restau­rator  ihn zustopfte.

Fotoapparat und Berechtigung

Kaum einer durfte Foto oder Radio behalten

(Ku130)

Nach dem Einmarsch der Franzosen mußte die Bevö­lkerung zunächst Waffen, Mu­nition, Rundfunkgeräte, Fo­toapparate und Feldstecher in einem von der Ortspolizei bewachten Lokal an die Militärregierung abgeben. Manche allerdings gingen das Risiko ein und versteck­ten ihre Apparate. Dieser Fotoapparat ist einer der wenigen, welche Deutsche mit offizieller Erlaubnis behalten durften. Der Va­ter einer Kusterdingerin er­hielt dafür von der französischen Besatzungsmacht eine Genehmigung. 

Fotoapparat Rolleiflex, 1937

Hinterm Backofen eingemauert

(Bo464)

Eine gelernte Fotografin kaufte diesen Fotoapparat schon 1937. Während des Krieges trug sie ihn ständig bei sich, auch wenn Luftalarm war und die Bunker aufgesucht werden mußten. Nachdem eine Bombe ihr Stuttgarter Haus zerstört hatte, wohnte sie in Göppingen. Zur Arbeit mußte sie nach Stuttgart pendeln. Als bei Kriegsende die Amerikaner von Norden her vorrückten, floh sie mit dem Fahrrad und al­lem, was sie noch besaß, nach Hüttisheim bei Ulm zu Verwandten der Schwiegerel­tern. Weil „der Ami vor der Tür stand“, mauerte der Ver­wandte, ein Bäckermei­ster, die Kamera hinter dem Backofen ein. Erst als sich die Situation beruhigt hatte, kam die Rol­leiflex wieder zum Vorschein. Die Bodelshäuserin gehörte nun zu den wenigen, die noch einen Fotoapparat hatten. Sie verdiente sich einen Teil ihres Auskommens mit dem Fotografieren von Schulklassen oder Familien­feierlichkei­ten. Vom Ersparten konnte sie sich dann ihre ersten Möbel kaufen.

Zeichnungen einer Frau in Tracht

Der Besatzer wollte nur malen

 (Ki3)

Die Zeichnungen von etwa 1945 zeigen die Mutter einer Kirchentellinsfurterin, in Tracht gekleidet, beim Besuch der Kirche. Der Maler Albani, der seit dem Einmarsch der französischen Besatzungstruppen in Tübingen arbeitete, sah die Frau in der Kirche und war von ihr überaus beeindruckt. Sogleich ging er aufs Rathaus, um ihre Adresse zu erfahren. Dort zeigte man sich zunächst bestürzt darüber, was wohl der Besatzer von einer Hiesigen wollte. Das klärte der Maler aber gleich auf: „er habe ei­ne schöne alte Frau gesehen und wolle sie gerne malen“.

Ehrenschützenscheibe (Inv.- Nr. Hi ?)

Diese Ehrenschützenscheibe aus dem Jahr 1933 hing bei einem Hirrlinger bis 1949 im Hausflur. Als er aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, entsetzte ihn dieses Andenken, denn es trug zu diesem Zeitpunkt im­mer noch im rechten unteren Feld das Hakenkreuz­symbol, auf dessen Verwendung mittlerweile hohe Strafen standen. Eilig wurde es mit schwarzer Farbe dick übermalt. Der Schütze hatte die Eh­renscheibe bei ei­nem Preisschießen in Burladin­gen errungen, nachdem die Nazis den eigenen Verein unter Zwang auf­gelöst hatten. Die 4000.- Mark, die zu diesem Zeit­punkt in der Vereinskasse gewesen wa­ren, wurden damals unter die Mitglieder verteilt. Seinen An­teil setzte der Hirrlinger als Startgeld beim Burladinger Wettschießen .

Notbehelfe und Tausch­wirtschaft

Elektrisches Feuerzeug 1947

Gefährliches Zündeln an der Steckdose

(GFA17)

In der Zeit von 1945 bis zur Währungs­reform 1948 gab es so gut wie keine Streichhöl­zer. Ein Feuerstein für das Feuerzeug kostete circa drei Reichs­mark. Gleichzeitig verdiente ein normaler Arbeiter 80 Pfennige bis eine Reichsmark je Stunde, so daß er sich diesen Luxus nicht lei­sten konnte.

Ein Gomaringer machte darum einige Feueranzünder selbst. Das Konstruktionsprinzip schaute er bei anderen ab: das Elektrofeuerzeug wurde in die Steckdose gesteckt; anschließend fuhr man mit einem in Benzin ge­tränkten Wattebausch schnell über die Metall­streifen. Durch die Verbindung unterschiedlicher Pole funkte es. Die Funken wiederum setzten das Petroleum am Wattebausch in Brand. Somit konnte – meist am Herd – Feuer gemacht werden. Der Gomaringer produzierte eine kleine Serie solcher Geräte, gab sie Verwandten oder tauschte sie gegen an­dere benötigte Dinge. Bei dieser Konstruktion lagen die stromfüh­renden Teile frei. Man kann daraus schließen, daß der Umgang mit diesem abenteuerlichen Gerät lebensgefährlich war. Dieser Umstand macht besonders deutlich, wie dringend man damals Er­satz für Feuerzeuge benötigte.

Salatlöffel

Von der Offizierskantine in die Gomaringer Salatschüssel

(Go167)

Bei Kriegs­ende nahm ein Gomaringer, der als Soldat in einem Offizierskasino seinen Dienst getan hatte, diesen Löffel mit nach Hause. Der Löffel, der zuvor auf die Tische von Offizieren der Wehrmacht gedeckt worden war, wurde nun noch lange Zeit in der Gomaringer Küche benutzt. Die Mutter verwendete ihn meistens, um den Salat für die zehnköpfige Familie anzumachen. Weil Aluminium ein rela­tiv weiches Material ist, nutzte sich der Löffel im Laufe der Jahre stark ab.

Kerzenleuchter 1946/47

Geschenke erhalten die Freundschaft

(GFA35)

„Was kann man seiner Freundin zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken, wenn es nichts zu kaufen gibt?“ fragte sich ein Gomaringer in der Nachkriegszeit. Da er gelernter Maschinen­schlosser war, fertigte er ihr diesen Kerzen­leuchter nebenbei in seiner Arbeitsstätte bei der Dußlinger Firma Irus an.

Russischer Pelzmantel

Offizier – Schäfer – Nikolaus

(Bo108)

Den Offziersmantel brachte ein ehemaliger Wehrmachtsleutnant aus russischer Gefangen­schaft mit. In Bodelshausen tauschte er ihn bei einer Schäferfamilie gegen einen Zentner Weizen ein. Der Kriegsheimkehrer blieb anschließend einige Zeit in der Schä­ferei, arbeitete mit und verdiente sich dabei seinen Lebensunterhalt. Der Sohn des Schäfers trug dann den Pelzmantel, später benutzten ihn verschiedene Bodelshäuser Vereine als Kostüm bei Nikolausfeiern.

Radio in der Porzellanvase, 1946

Den Franzosen entflohen

(Mö119)

Das Porzellanradio kaufte der Opa ei­nes Mössinger Schülers angeblich auf dem Schwarz­markt in Stuttgart. Es war sein er­ster Kauf nach einer drei Wochen dauernden Flucht aus französischer Kriegsgefan­genschaft. Da ihn französische Soldaten nach seinem Ausbruch suchten, konnte er sich seinerzeit nur in der amerikanischen Zone aufhal­ten. Diese Art von Radiogerät war durchaus modern. Noch nach der Währungsreform produzierte auch die Tübinger Firma Lenartz, die ihren Betrieb zunächst in Garagen aufnahm, solche Geräte.

Stoff, 1946/47

Lohn zum Tauschen

(Ki191)

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entlohnte die Kirchentellinsfurter Textilfirma Schirm ihre Arbeiter eine Zeit lang nicht nur durch Geldzahlungen, sondern auch in Form der seinerzeit viel beliebteren Naturalien. Für einen Teil ihres Lohnes bekamen die Arbeiterinnen und Arbeiter einen Gutschein, der in Stoff eingelöst werden konnte. Aus dieser Zeit stammt der abgebildete rotkarierte Stoff, der „Elsa-Rockstoff“ genannt wurde und etwa so dick ist wie Moltonstoff. Besonders be­liebt war er, so eine Kirchentellinsfurterin, bei den Bäuerinnen auf der Schwäbi­schen Alb. Die stellten daraus lange Röcke für ihre Trachten her. Auf der Alb fanden die Kirchentellinsfurter Arbeiter also ein ideales Absatzgebiet. Sie ließen seinerzeit immer einige Stoffbahnen zusammenkommen und fuhren dann damit zum Beispiel nach Apfelstetten. Ein Kaufmann tauschte dort ihren Stoff gegen Getreide, Kartoffeln und andere Lebensmittel ein. Diesen Stoff verwahrt eine Kirchentellinsfurterin bis heute auf der Bühne in einer Kiste. Sie hat soviel davon, daß sie immer noch das eine oder andere daraus näht.

Poesiealbum, 1946

Großproduktion für die Schulklasse

(Gos39)

Die Großmutter einer Gomaringer Schülerin war bei Kriegsende zwölf Jahre alt und be­suchte die dritte Klasse der Mä­dchenoberschule in Rottweil. Ihre Eltern mußten nach dem Einmarsch der Franzosen ihre Woh­nung räumen. Als sie nach drei Monaten im Oktober 1945 wieder in ihre eigenen vier Wände zurückkehren durften, fanden sie nur noch die Möbel vor; sämtliche Schränke waren leergeräumt. Damals gab es keine Poesiealben zu kaufen. Das Rottweiler Mädchen machte sich angesichts dieser Notlage ihre handwerklichen Fertigkeiten zunutze. Sie bastelte vielen Klassenkameradinnen ein solches Album. Die Mitschü­lerinnen mußten Karton für den Deckel, Stoff für den Umschlag und das Papier für die Seiten selbst mitbringen. Aus den Resten dieses Materials bastelte die Gymnasiastin für den eigenen Bedarf.

Mahlschein der Seitenbachmühle, 1938

Schwarz über die Zonengrenze

De38

Ein Dettenhäuser fuhr früher von Dettenhausen aus mit dem Handwagen zur Seitenbachmühle nach Waldenbuch. Als dann nach dem Kriegsende die Grenze zwischen der französischen und der amerikanischen Besatzungszone Dettenhausen und Waldenbuch voneinander trennte, mußte man am Grenzposten für die mitgeführten Waren Zoll bezahlen. Um sich diese Kosten zu sparen, sind die Dettenhäuser in der Notzeit nach dem Krieg über die Waldenbucher Straße und einen holprigen Waldweg am amerikanischen Grenzposten vorbeigeschlichen. Auf diesem beschwerlichen Weg gab es damals für jedes Kind ein Brot mit Marmelade oder eines ohne Belag. Dieses „Millebrot“ war für die Kinder ein wahrer Festschmaus. So, wie die Dettenhäuser auf ihrem Weg zum Müller den Grenzposten umgingen, versuchten auch LKWs, an der Grenze vorbeizukommen. Die kleinen Buben aus Dettenhausen zeigten ortsunkundigen Fahrern gerne ihre Schleichwege und kassierten dafür ein Trinkgeld. Auf dem Rückweg von ihrem Lotsendienst seien sie dann, so erinnert sich schmunzelnd der Dettenhäuser, an den Grenzern vorbeigelaufen und hätten diese ganz freundlich gegrüßt.

Portemonnaie und Silbergeld

Im fremden Garten graben

Die Familie einer Dettenhäuser Ladenbesitzerin vergrub vor Ende des Krieges 100 Mark Silbergeld für eventuelle Notfälle in einem Kästchen im Garten. Danach wurde ein Busch daraufgesetzt. Einen anderen Teil ihres Silbergelds wickelten sie  vor Einmarsch der Franzosen in Zeitungspapier und stopften es in Ritzen und Schlitze der Kellerwand. Als sie später, während der Schwarzmarktzeit, das Geld brauchten und das Kästchen wieder ausgraben wollten, war die Kasse gestohlen. Vermutlich hatte ein Nachbar die Familie beim Vergraben des Geldes gesehen. Witzigerweise wurde das Geld in der Kellerwand aber vergessen, erst später, beim Abbruch des Kellers, kam es wieder zum Vorschein.

Resteverwertung

Leuchtpatrone

Bombenversuche auf dem Farrenberg

(Mö165)

Der Farrenberg diente im Zweiten Weltkrieg als Übungsge­lände für Flugzeuge, die dort Spreng­bomben abwar­fen. Als Junge schaute ein Mössinger gerne zu, wenn auf dem Versuchsge­lände Farrenberg Bomben de­tonierten. Nach dem Krieg konnte man viele Bomben­trichter und jede Menge Blindgänger finden. Einmal fand der damals etwa 15jährige eine große, schwere Bombe, die er aufsammelte. „Ich mußte sie mit den Füßen vor mir herstoßen, weil sie zum Tra­gen zu schwer war. Ich brachte sie zum Alteisen­händler, der mir zehn Pfennige dafür gab. Er sägte sie vollkommen auseinander, da­mit man nicht mehr erkennen konnte, daß es ei­ne Bombe war“. Wie dem Mössinger hinterher aufgegangen ist, war er damals ziemlich leichtsinnig, denn in den 50er Jahren kam bei einer ähnlichen Aktion auf dem Rotten­burger Alteisenplatz ein Mann ums Leben.

Dokumente zur Entnazifizierung

PG: erst Parteigenosse, dann „Pech gehabt“

(Ku344)

Flucht

Teller: „Bist du artig…“

Im Fluchtgepäck verstaut

(Tü11-12)

Von diesen Tellern aß eine Tübingerin als sechsjähriges Kind.  Damals, etwa 1910, lebte sie noch in Ostpreußen. Über zwei Kriege und die Infla­tion hinweg konnte sie die Teller retten. Im Zweiten Weltkrieg verstaute die Frau sie in ihrem Fluchtkoffer, den sie vorsorglich gepackt und unterm Bett liegen hatte. Alleine schon das Be­reithalten eines Fluchtge­päcks, so erinnert sich die Tübingerin an die Ängste, die sie damals ausstehen mußte, galt im Naziregime als Staatsverbrechen und wurde hart bestraft: „Wer einen Koffer packte, glaubte nicht an den Sieg.“

Flüchtlingsausweis

Familiengründung

Diesen Flüchtlingsausweis bekam eine Frau, die heute in Dettenhausen lebt, als sie 1946 in den Westen kam. In Reit im Winkel lernte sie ihren Mann kennen, der aus der Kriegsgefangenschaft dorthin entlassen worden war. Dort wurden auch die drei Kinder geboren. Im Rahmen einer Umsiedlungsaktion zog die Familie 1956 nach Baden-Württemberg.

Kaffeetasse und Löffel

Illegal über die Grenze

(Ku217)

Zur Erinnerung an ihre Eltern brachte eine Frau diese Tasse auf ihrer Flucht vom Sudeten­land mit. „Meinen Mann, einen Soldaten aus Kirchentellins­furt, habe ich damals dort im Lazarett, wo wir beide gearbeitet haben, kennenge­lernt“, erzählt sie. Zusammen mit dem damals fünf Monate alten Sohn passierte das Ehepaar illegal die Grenze und kam schließlich nach Kirchentellinsfurt.

Schlüsselbund

Der Rest vom Haus in Schlesien

(Ki124)

Das sind die Schüssel jenes Hauses, das einst ein Kirchen­tellinsfurter in Schlesien besaß: Haustür­schlüssel, Wohnungsschlüs­sel, Wurstküchenschlüssel und der Schlüssel für den Fleischerladen. Im Fluchtgepäck waren die Schlüs­sel gewissermaßen der wichtigste Gegenstand, da die Mutter seinerzeit immer glaubte, daß ja alle gleich wieder zurück­kehren könnten. Die Schlüs­sel sind aus Gußeisen gefertigt und stellen für den gebürtigen Schlesier ein wichtiges Erinnerungs­stück dar, da das Haus inzwischen gar nicht mehr steht. Sie sind so­zusagen der Rest von all dem, was man zurücklassen mußte.

Zu den Traditionen, welche die Familie pflegt, gehört auch das Handwerk. Schon in dem schlesischen Haus betrieben die Vorfahren einen Metzgerladen. Der Vater war ebenfalls Metzger, er kam damals nicht mit auf die Flucht. Zu Hause nahmen ihn russische Soldaten gefangen. Kurz nach Kriegs­ende, noch im Mai 1945, soll er in Rußland erschlagen worden sein. Unser Gewährs­mann selbst kam auch in rus­sische Kriegsgefangenschaft. Kurz nachdem er 1950 aus der Ge­fangen­schaft zurückkam, ab­solvierte er die Meisterprüfung zum Metzger und machte sich später selbständig. Sein Sohn setzt heute ebenfalls die Familientradition als Metzger fort.

Hochzeitskostüm

Ehering verschluckt

(Hi20/1)

Eine Hirrlingerin trug dieses schwarze Kostüm bei ihrer standesamtlichen Trauung am 26. Januar 1937 in Ju­goslawien. Nach dem Rückzug der deutschen Wehrmacht konnte sie das Kostüm nicht in das In­ternierungs­lager mitnehmen, in das sie die neuen jugoslawischen Machthaber zusammen mit vielen anderen Volksdeutschen am 11. März 1945 bringen ließen. Den Internierten wurde alles abge­nommen. Ih­ren Ehering konnte die Frau nur bei sich behalten, indem sie ihn rechtzeitig vor einer Leibesvi­sitation ver­schluckte. „Die nächsten Tage mußte ich not­gedrungen meinen Ring im Stuhl suchen. Und daher habe ich ihn heute noch“. Der Mann war zwei Wochen vor ih­rer Internierung in Rußland gefallen. Das Kostüm erhielt sie erst wieder 1950 bei ei­nem Besuch in der früheren Heimat von einem jugoslawischen Nachbarn.

Rundes Holzkästchen mit Knopf­deckel

Ein Landrat in der Holzfabrik

(Tü15)

Der älteste Bruder einer Tübingerin versah im Dritten Reich das Amt eines Landrats, bei Kriegsende kam er in tschechische Gefangen­schaft. Von 1945 bis 1948 arbeitete er als Gefange­ner in einer Holzfabrik und mußte dort Kisten bauen. Zu Weihnachten beauftragte ihn die Gefängnisleitung, den Weihnachtsbaum zu schmücken. Aus Sperrholz sägte er dafür Sterne aus. Außerdem bastelte er kleine Holzkästchen und Griffelkä­sten. Bei seiner Entlassung durfte er je eines mitnehmen und erhielt das dazu notwendige Erlaubnispapier. Eines dieser Souvenirs an eine harte Zeit ist dieses Holzkästchen.

Schreibmappe, circa 1946

Aus einem Papiersack gefertigt

Inv.-Nr.: Tü102

Diese Schreibmappe entstand im Flüchtlingslager Alborg in Dänemark. Eine Ostpreußin war dorthin mit einem Pferde- und Wagentreck aus Ostpreußen übers Watt geflüchtet. Dänemark hatte 1945 rund eine halbe Million Flüchtlinge aufgenommen. In Alborg kam die Familie der heutigen Tübingerin für zwei Jahre in früheren Wehrmachtsbaracken unter. Sie selbst unterrichtete dort als Lehrerin ihre Schüler in Flugzeuganhängern. Unter den Schülern befand sich auch ihr jüngerer Bruder, dem sie sogar ein Zeugnis ausstellte. In den Baracken lag eine Menge von Strohsäcken herum, auf denen man normalerweise schlief. Deren Fasern waren aus Papier hergestellt. Weil es zu viele dieser Säcke gab, überlegten sich die Lagerinsassen andere Verwendungsmöglichkeiten. Aus einem fertigte die Zeitzeugin diese Schreibmappe an.

Reisekreditbrief

Für den Kriegsheimkehrer gespart

(Tü16)

Als die Russen sich näher­ten, wollte ei­ne Tübingerin, die damals in Sagan lebte, mehrere Tausend Mark bei der Kreissparkasse abheben. Doch die Höchstgrenze für die Rückzahlung waren 1000 Mark. Sie bewahrte diesen Betrag auf der Flucht in ihrer Brusttasche mit we­nigen wertvollen Kleinigkei­ten auf. Den Kreditbrief lö­ste sie erst nach vielen Jahren bei der Rückkehr ih­res Mannes aus russischer Kriegsgefangenschaft ein.

Vertreibung

Zwei Handtücher

Gesprengte Rakentenbunker

(Ki170)

Die beiden Handtücher stellen das ganze Gepäck dar, mit dem eine heimatvertriebene Frau in Kirchentellinsfurt ankam. Der Schwiegervater arbeitete während des Zweiten Weltkrieges in Rügenwalde an der Ostsee bei der Produk­tion von V1 und V2 Ra­keten mit. Als die Russen näherrückten, liefen eines Tages deutsche Soldaten durch die Straßen und riefen, man solle Fenster und Türen öffnen. Anschließend sprengten sie die verbunkerten Rüstungsanlagen in die Luft. In der „Lange Straße“, das war die Einkaufsstraße, lag alles voller Scherben. Die deutschen Soldaten flohen und ließen die Bevölkerung im Stich. Um sechs Uhr früh er­blickte die Zeitzeugin dann die ersten vier Russen: „Sie schauten nur nach, was ich bei mir trug und taten mir nichts. Ich kam gerade vom Bauern, wo ich gemolken hatte. Dafür hatte er mir Milch gegeben, die ich in der Kanne hatte“. Acht Jahre lang dauerte die rus­sische Besatzung, dann verwalte­ten polnische Behörden das Gebiet. Am 17. Dezember 1957 mußte die Familie schließlich ihre Heimat verlas­sen.

Die Kirchentellinsfurterin wollte damals noch möglichst viel in einen Kinderbettbe­zug und die zu Trageta­schen umgenähten Handtücher packen und mitnehmen, aber das lie­ßen die polnischen Beamten nicht zu. Mit „drei Kindern und drei Handtüchern“ kam sie in die Bundesrepublik, zuerst ins Auffanglager Friedland, dann nach Kirchzarten zur Erholung we­gen eines TB – Schattens (Tuberculose – Erkrankung) der Kinder. Über Balingen gelangte sie dann zum Kirchentellins­furter Bahnhof. Bei ihrer Ankunft sah sie nur halbfertige Häu­ser, sonst nichts. Die Ortsunkundige fragte deshalb den Schaffner: „Wo bitte ist denn überhaupt Kirchentel­linsfurt?“ Nach seiner Auskunft marschierte die Fa­milie die Treppen hoch ins Dorf. Hin­terher trennte man die Säcke auf, damit die Familie wieder Handtücher hatte.

Foto eines Gebäudes

Hausbau – Brand – Neubau – Vertreibung

 (Bo539)

Ein Bodelshäuser wohnte vor der Vertreibung in Pommern. Die Familie besaß im Kreis Lauenburg einen kleinen Bau­ernhof. Als der Junge zwölf Jahre alt war, 1941, erneuerte der Vater das Wohnhaus. Bei der Schluß­abnahme des Gebäudes entdeckte eine Kommission des Landkreises, die über die Gewährung von Zuschüssen entschied, herrliche Würste und Schinken. Zum Dank für die entdeckten Genüsse bewilligten die Gutachter einen höheren Kredit. Das Haus war gerade fertig und noch nicht einmal verputzt, als ein Feuer aus­brach und alles in Schutt und Asche legte. Die Behörden schlugen den Eltern vor, ein Rittergut im besetzten Polen zu überneh­men. Der Vater und sein äl­tester Sohn fuhren dorthin, beide kamen begeistert zurück. In dem Gutshof waren sogar die Wasserhähne vergoldet, zudem gab es eine Menge Bediensteter. Da aber die Mutter eine bodenstän­dige Frau war, wollte sie sich nicht von der heimatli­chen Scholle trennen. Deshalb verzichtete der Va­ter auf das Rittergut und baute seinen Hof wieder auf, schöner und größer als zuvor.

Als alles endlich wieder stand, marschierte die Rote Armee ein. Der Vater wurde verschleppt und starb schließlich an den Folgen. Den Bruder nahmen die Engländer gefangen. Die Mut­ter konnte nicht auf dem Hof blei­ben, den eine Polin übernehmen sollte. So wurde die Familie aus ihrer Hei­mat vertrieben. Was sie tragen konnten, durften sie mitnehmen. Auf dem Bahnhof in der Kreisstadt mußten sie bis zur Ab­fahrt warten. Plötzlich hielt ein in Richtung Osten entgegenfahrender Zug. Russen, die ehemals in Deutsch­land als Zwangsarbeiter Dienst leisten mußten, sprangen aus den Waggons und nah­men den war­tenden deut­schen Flüchtlingen al­les ab, was sie noch bei sich tru­gen. Der Familie ge­lang es, bei Bekannten in der Stadt etwas Brot zu bekommen. Schließlich kam der Zug und sie fuh­ren in Richtung Westen. Nach einem Aufenthalt bei Verwandten in der Nähe von Berlin, verließen sie 1946 die Sowjetische Besatzungs­zone und kamen nach einem Auf­enthalt im Flüchtlingslager 1952 nach Bodelshausen.

Spätaussiedler

Manschettenknöpfe

64 Tote im Nachbarkeller

(Ki141)

Diese Manschettenknöpfe bekam ein Kirchentellinsfurter 1931 zum Abschluß seiner Lehre als Huf- und Wagen­schmied von seinem Meister in Albrechtsflor in Rumäni­en. Während des Zweiten Weltkrieges desertierte er dann von der rumänischen Ar­mee. Seine Frau erinnert sich noch gut daran, wie sie sich 1941 illegal und oh­ne Ausweispapiere über die Grenze schlichen und schließlich nach Berlin ka­men: „Oh je, so etwas macht man nur, wenn man jung ist“. Zwei Jahre lang arbeitete das Ehepaar in einem Rüstungsbetrieb von Daimler-Benz in einer Kleinstadt bei Berlin. Anschlie­ßend zogen sie weiter nach Wien, wo sie von 1943 bis zum Kriegsende in der Rü­stungsproduktion der Simmeringer Waggonfabrik bei der Herstellung von „Tiger­panzern“ mitarbeiteten. Nur ungern erinnert sich die Frau an den Alltag während des Krieges: „Wenn man in diesen Großstädten die Bombardierung und alles mit­gemacht hat – 64 Tote im Keller des Nachbarhauses und so – da will man nie wieder daran erinnert werden“.

Nach Kriegsende ging die Fa­milie zurück ins Banat, was die Frau aus heutiger Sicht als großen Fehler betrachtet: „aber wir wollten halt heim“. Sie stellten später einen Aussiedlungsan­trag in die Bundesrepublik und kamen 1970 nach Kirchentellins­furt.

„Wieder­aufbau“

Nach der Währungsre­form 1948 ging es den Menschen im Land­kreis allmählich besser. Das „Wirtschaftswunder“ brachte Ar­beitsplätze, vor allem in der Indu­strie. Vi­ele Frauen räumten ihre Stellen für die Kriegs­heimkehrer, die auch noch in den 50er Jahren aus der Gefangenschaft zurück­kamen. Aus Lagern oder Notun­terkünften zo­gen vor allem Flücht­linge und Vertriebene in die neuen Wohnblocks der öffentli­chen Baugesell­schaften und wur­den langsam heimisch.

Man stritt sich über die Gründung eines Südwest­staates, beobach­tete die Entwicklung des „Kalten Krieges“, diskutierte die Wieder­bewaffnung „Kalten Krieges“, dis­ku­tierte die Wiederbewaff­nung Deutschlands und den Beitritt zur NATO, sparte für das Dringend­ste, später für einen Kühl­schrank, ein Häusle, ein Auto, den Urlaub. Es gab James Dean und Rock’n Roll für die einen, den „Förster vom Silberwald“ und Bohnenkaf­fee für die anderen.

Kaum ein Dorf behielt sein ländli­ches Erschei­nungs­bild. Auch im Landkreis Tübingen nah­men Be­völ­ker­ungsdichte, Industrie­arbeit, Mobilität und der Massen­konsum zu, traditionelle Lebens­muster verloren ihre Ver­bindlichkeit.

Tonpfeife, 1914

1946: Hummer für den „Stenay-Bock“

(Hi8/1)

Der Abgebildete Prinz aus dem Hause Hohenzollern wohnte 1946 in der Villa Eugenia bei Hechin­gen. In Hirrlingen hatte sich herumge­sprochen, daß das Verhältnis zu seiner Frau Cäcilia nicht das Beste sei. Weil sich sein militärisches Hauptquartier einst in Stenay befunden hatte, galt er vielen als der „Stenay-Bock“. Aus seinem privile­gierten Status heraus sei es leicht für ihn gewesen, sich Frauen aus den Unterschich­ten zu halten, vermuten Ältere aus dem Dorf. Angeblich trug er jeden Tag ein neues Hemd. Sicher ist, daß öfters eisgekühl­ter Hummer per Ex­press auf dem Bahnhof Hechingen für ihn ankam. Ein Hirrlinger, der damals Stift auf dem Bahnhof Hechingen war, brachte dem Kronprinzen dann die Delikatesse per Fahrrad.

Rechnung über Zement, 1948

Mosterei mit dem „Kopfgeld“ gebaut

(Go10)

Nach der Währungsreform legten alle fünf Geschwister und beide Eltern der Gomaringer Küfersfamilie für den Bau einer Mosterei im Schloßhof zusam­men. „Die Währungsreform war am 21. Juni 1948 und dann haben wir gleich bei Pflumm und Kemmler 26 Sack Ze­ment abgeholt. Der Zement zum Bau der Mosterei war das erste, was wir vom Kopfgeld gekauft haben“.

Brieftasche, 1946

Die Naturalwirtschaft blüht

 (Mö205)

Langsam ging es nach dem Krieg mit der Wirtschaft wieder aufwärts. Ein Mössinger arbeitete in der Musterabte­ilung der Schuhfa­brik Wolf und hatte ei­nen guten Verdienst. In vie­len Familien wurden dringend Schuhe benötigt, doch das Geld zum Kauf fehlte. Die Arbeiter aus der Schuhfabrik saßen an der Quelle. Auch der Mössinger lieferte einem Schuhmacher Schäfte und Sohlen, damit ihm dieser neue Fußbekleidung daraus herstellte. Als Lohn durfte der Schuster alle Reste behalten. So besserte der Mössinger Arbeiter sein ei­genes Familienschuhlager auf. Ferner stellte er Geldbeutel, Brieftaschen und Gürtel her. „Alles mußte streng geheim bleiben, sonst hätte uns wegen Diebstahls die Entlassung gedroht. Im Sommer 1954 gab es dann doch noch ein gerichtliches Nachspiel, als unsere Schuhherstellung in eigener Regie aufflog. Doch ich hatte mal wieder Glück“.

Bäckerwaage, 1950er Jahre

(Tü)

Diese Waage stand vor über 40 Jahren im Ladengeschäft einer Kusterdinger Bäckerei. Man wog damit Obst, Gemüse und Kartoffeln. Später fand sie dann in der Bäckerei als Zutatenwaage Verwendung. Das Geschäft war 1948 renoviert worden, zehn Jahre später erstellte der Bäckermeister ein neues Wohn‑ und Geschäftshaus mit einem der ersten Selbstbedienungsläden im ländlichen Umkreis. Den heutigen Eigentümer erinnert die Waage an seine Lehrzeit, als er besonders schwer arbeiten mußte. So schleppte er Zweizentnersäcke und war darauf stolz, seine Kraft und Männlichkeit beweisen zu können. Die Einrichtung der Bäckerei hatte zu diesem Zeitpunkt noch Vorkriegsstandart und Handarbeit überwog. So mußte das Mehl mit einer Schüssel, die 20 Kilogramm faßte, aus dem Sack entnommen werden, um sie anschließend mit der Sieb‑ und Bürstenmaschine zu reinigen. Ein Bäckerlehrling verdiente zu Beginn der 50er Jahre im ersten Lehrjahr 3.‑ DM in der Woche, im zweiten 5.‑ DM. Ein Geselle erhielt 40.‑ DM pro Woche, jeweils bei freier Kost und Logis, wie es heute noch in kleinen Familienbetrieben üblich ist.

Motorradkleider, 1952

Zur Arbeit gebraust

(Ku268, 269, 270)

Ein Mähringer leistete sich schon 1952 ein eigenes Motorrad, Marke „DKW 200“. Die Leute staunten ganz schön, als er es kaufte und damit durch den Ort brauste. Die Regenhose hatte er dabei immer auf den Tank geschnallt. Mit dem Motorrad fuhr er bis 1961 zur Arbeit nach Reutlingen, dann kaufte er sich ein Auto. Seitdem stand die Ma­schine 20 Jahre lang in der Garage. Dann schenkte er sie einem Bastler, der die DKW wieder instand setzte und da­mit noch heute fährt.

Einmachglas mit Zwetschgen, 1958

Wie sie nach 36 Jahren wohl schmecken?

(Go173)

Diese Zwetschgen wurden 1958 von ei­ner Gomaringerin eingekocht, die im Jahre 1962 verstarb. Seitdem steht das Zwetschenglas neben an­derem Eingemachtem im Keller der Tochter.

Wasserwäschepresse, 1951

Frische Hemden für den Bahnhofsvorstand

(Hi5/10)

Als Vorsteher des Bahnhofs Bodelshau­sen mußte ein Hirrlinger jeden Tag ein frisches Hemd anziehen, und mit fünf Kindern hatte die Familie jede Menge Wäsche zu waschen. Deshalb wurde 1951 dieses Gerät angeschafft, das mit Wasserdruck die Feuchtigkeit aus den Stoffen preßte. Nachdem sie etwa sechs Jahre in Dienst stand, wurde sie durch die erste Constructa – Waschmaschine abgelöst.

Wurzelputzbilder

Hooverspeisung in den Dolen

(Ku133)

Solche Wurzelputzbilder gab es früher für eifrige Esser von Haferflocken. Diese Packungsbeilage animierte einige Kinder dazu, ihre Speisen hinabzuwürgen. So stand auch eine Kusterdingerin mit den Haferlocken auf Kriegsfuß, „die ich widerwillig aß, eigent­lich nur wegen der Wurzel­putzbilder zu mir nahm“. Dabei fällt ihr eine andere Scheußlichkeit jener Jahre ein, die „Hooverspeisung“ nach dem Zweiten Weltkrieg. Der spätere Präsident der USA Herbert Clark Hoover or­ganisierte bereits 1918/19 nach dem Ersten Weltkrieg ein Hilfspro­gramm für Europa, das dann nach dem Zweiten Weltkrieg seine Fortsetzung fand. In dessen Rahmen erhielten Kinder ein Schulessen, das meist aus süßer Milch mit Haferflocken oder süßer Milch mit Nudeln bestand – „für einen Schwaben etwas absolut Fürchterli­ches“, meint die Kusterdingerin, die sich auch noch an den Ablauf dieser Aktion erinnern kann. „Für die Schulspeisung nahmen wir unsere runden Litertöpfchen aus Aluminium mit. Sie hingen an einem Haken am Schulranzen. In der Schule wurden sie dann mit der Speise gefüllt. Auf dem Heimweg konnte man an jeder Dole die süßen Nudeln liegen sehen, weil niemand sie es­sen wollte. Ich aber mußte sie nach Hause mitbringen; dort wusch sie meine Mutter mit Wasser ab und briet sie mit schwarzem Kaffee an, da­mit sie etwas Farbe bekamen. Selbstverständlich war das kein Bohnenkaffee, sondern Linde – Ersatzkaffee“.

Rettungsmedaille Baden-Württemberg, 1954

Die hol ich schon raus

De203

Ein Dettenhäuser war 1954 Polizist in Friedrichshafen. Ende September, das Wasser des Bodensees war schon ziemlich kalt, beobachtete er am frühen Morgen eine Frau an der Mole, die sich ins Wasser stürzte. „Die hol ich schon heraus“, rief er, während er schnell seine Kleidung auszog. Von der drei Meter hohen Mole sprang er ins Wasser und zog die sich wehrende Frau zur Mole zurück. Dort mußte er sich selbst und die Gerettete einige Minuten lang festhalten, bis Hilfe kam. Der Polizeiwachtmeister mußte wegen Unterkühlung anschließend im Krankenhaus behandelt werden. Diese Medaille gehört zu den ersten ihrer Art, die der baden-württembergische Ministerpräsident verliehen hat.

Brautkleid

Waden wie Marlene

(GFA8)

Ernst A. aus Öschingen lernte seine Frau als „unbekannter Soldat“ kennen. Er war damals in Polen stationiert. Die in einer Stube zusammen­lebenden Kameraden setzten gemeinsam einen Brief an ein unbekanntes Mädchen auf. Ernst A. sagte damals zu seinen Kameraden, es wäre doch dumm, die Auswahl eines Mäd­chens dem Briefträger zu überlassen. So sollte jeder in der Stube eine Adresse angeben. Einen aus Gomarin­gen fragte er: „Du, Manfred, woisch mor ned a Adresse vom a Mädle“. Der schrieb er dann. Als junger Mensch hatte er noch Idealvorstel­lungen, in diesem Fall vielleicht von Marlene Dietrich in dem Film „Der blaue Engel“ inspiriert. Jedenfalls wollte er sich deshalb nochmals bei seinem Kameraden Manfred vergewis­sern: „Du, hot dia au Wada?“ Aber erst am Tag, als der Brief schon abge­schickt war, sagte sein Kum­pel beim Marsch „Du, Wada hot se koine“. Trotzdem er­wies sich die Verbindung als zukunftsträchtig, 1950 wurde geheiratet. Das Kleid für die Hochzeit nähte eine Schulfreundin.

Bei der Hochzeit läuteten die Glocken gleich zweimal, weil in der Kirche der Brautführer fehlte. „Deshalb hats jedenfalls solange ge­hebt“, meint das Ehepaar heute. Auch die Tochter hei­ra­tete 30 Jahre später im selben Kleid. Bei ihr wurde es enger gemacht, „weil bei ons hots Pille no ed gäbe, bei ons hots präsiert“.

Krautstampfer, 1950

Mit Kraut und Salz gefüllt

 (Mö23)

Diesen Krautstampfer ließ die Mutter einer Mössingerin bei einem Tübinger Schreiner für ihren eigenen Bedarf anfertigen. Im Garten züchtete sie damals runde Krautköpfe und Spitzkraut. Nach der Ernte belud sie das Leiterwägele mit einem Zuber voll Kraut und „ab ging’s nach Ofterdingen zu Dieters, die für die Leute Kraut schnitten. In einem großen Tontopf wurde dann das Kraut angerichtet. Nach einer Lage Kraut gab man immer etwas Salz hinein, dann war der Stampfer in Bewegung. So kam Schicht auf Schicht, bis das Gefäß voll war. „Sicher viel lustiger war’s“, meint die Mössingerin, „als die Kinder einst mit sauber gewaschenen Füßen einstampfen durften. Heute trägt jeder sein Kraut in der Dose heim, auch ich“.

Handkaffeemühle PeDe Dienes (Tü27)

Die Besitzerin hat mit dieser Mühle nur selten Bohnen­kaffee verarbeitet, den es meist nur sonntags gab. Überwiegend mahlte sie geröstete Gerste und Zichorie als Kaffeersatz. Die Gerste hatte sie beim benachbarten Bäcker rösten lassen. „Das Kaffeemahlen war die Arbeit von uns Kindern, weil die Mutter da­zu keine Zeit hatte“. Die Mühle wurde vor 1933 erworben. Danach hatte man eine auf ein Brett oder eine Kachel montierte Mühle, die an der Wand befestigt wurde. Kaffee kaufte man im Kolonial­warenladen viertel- oder halbpfundwei­se ein. Um zu sparen mischte man die Kaffeebohnen mit Zichorie. Zichorie gab es in Tabletten gepresst in etwa 15 Zentime­ter hohen Stangen zu kaufen, von denen man jeweils ein Stück abbrach. Selbst Malzkaffee war während des Krieges rar und wurde auch mit Zichorie gemischt. Die Tübingerin resümiert: „Der Mensch wird immer fauler, früher hat man nur mit der Hand gemahlen „.

Körperpflege

Waschgeschirr (Ku206 s. Ku205)

Die Waschschüssel füllte man mit warmem Wasser vom Herd. Aus der Leitung floß nur kaltes Wasser. „Wir hatten noch keine Badewanne. Man ba­dete in der Küche oder in der Waschkü­che in einem grossen Waschzuber und reinigte anschließend das Waschge­schirr. Später hatte man dann die Volksbadewanne, eine ganz lange Zinkwanne. Weil man soviel heißes Wasser brauchte, mußten manchmal mehrere Kinder im gleichen Wasser baden. Das Wasser wurde im großen Waschkessel heiß gemacht. Morgens machten wir nur `Katzenwäsche`, etwas kaltes Wasser ins Gesicht, weil wir schon um 4.30 Uhr aufstehen mußten“.

Friseurbesteck (Go117)

Das Friseurbesteck gehörte dem Großvater von Herrn W. Er erinnert sich: „Mit so etwas hat man mir einmal ei­ne Glatze geschnitten. Das kam folgendermaßen: Ein Ka­merad hatte ei­ne Gastwirt­schaft und Evakuierte aus Pforzheim waren dort einquartiert. Er hatte sich bei ihnen Ärger eingefangen und mußte sich deshalb eine Glatze schneiden lassen“. Herr W., der damals 5 Jahre alt war, war fasziniert, daß die Haare schwarz nachwuch­sen. Da er sich schon immer schwarze Haare gewünscht hatte, ließ er sich von ei­nem Onkel eine Glatze schneiden…. aber  seine Haare wuchsen trotzdem nicht schwarz nach. Die Mutter war entsetzt.