Vor zwölf Jahren ist Dr. Youssef Kanjou mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen. Bis 2013 war der Anthropologe Direktor des Nationalmuseums in Aleppo. Nun kann der Mitarbeiter von tuenews INTERNATIONAL in Tübingen zum ersten Mal wieder seine Heimat besuchen. Bernhard Kirschner hat mit ihm vor der Abreise über seine Pläne und Gefühle gesprochen.
tuenews: Was ist das für ein Gefühl, nach zwölf Jahren die Heimat wiederzusehen?
Youssef: Meine Gefühle sind unbeschreiblich. Vor allem empfinde ich große Freude und Glück, aber zugleich eine tiefe Sehnsucht. Auf diesen Moment habe ich viele Jahre lang gewartet und davon geträumt.
Nach zwölf Jahren im freiwilligen Exil kann ich nun zurück nach Syrien. Es fühlt sich an, als würde ich neu geboren werden! Freude mischt sich mit Angst und Ungewissheit, als würde ich eine völlig neue Welt betreten.
Manchmal kann ich es kaum glauben, dass ich tatsächlich nach Syrien zurückkehre – nachdem ich die Hoffnung schon längst verloren hatte … Jedes Mal, wenn ich daran denke, endlich mein Heimatland zu erreichen und meine Familie, meine Freunde und mein Zuhause wiederzusehen, schlägt mein Herz schneller.
Wie schwierig waren denn die Vorbereitungen für die Reise?
Sehr schwierig. Schon allein den richtigen Flug zu finden war nicht einfach. Es gibt noch keine Direktflüge nach Damaskus. Außerdem sind die Tickets für andere mögliche Verbindungen sehr teuer. Am Ende habe ich einen Flug nach Beirut gefunden. Von Beirut nach Aleppo kann ich dann ein Taxi nehmen. Aber das war auch sehr schwierig, bis ich jemand gefunden habe, der nach Aleppo fährt.
Außerdem musste ich mir genau überlegen, was ich mitnehmen kann. Geschenke für meine Familie, Kollegen und Freunde. Es war nicht einfach herauszufinden, was sie gebrauchen können.
Und ich musste mich auch vorbereiten auf meine Arbeit dort. Welches Material kann ich mitnehmen, um ein gemeinsames Programm zu erstellen. Ich mache ein Meeting mit meinen Kollegen im Museum. Das alles brauchte viel Zeit.
Und war es kein Problem die nötigen Papiere und Dokumente für die Einreise zu bekommen?
Ich hoffe, dass es keine Probleme bei der Einreise gibt. Denn ich habe einen deutschen Pass. Vor einem Jahr wurde ich eingebürgert. Ohne deutschen Pass wäre diese Reise nicht möglich.
Hoffen wir, dass alles klappt. Welche Pläne hast du in Aleppo?
Als erstes werde ich meine Familie besuchen, meine Mutter, meine Schwester und meine Verwandten. Dann werde ich zu meinen Kollegen im Museum gehen um zu besprechen, was wir machen können. Welche Hilfe brauchen sie, was für Material ist nötig. Dann will ich auch die Altstadt von Aleppo besuchen und schauen, wie viel zerstört wurde vom alten Basar, von der alten Moschee, vom Schloss, von den ganzen archäologischen Stätten, das möchte ich gerne fotografieren.
Und was willst du genau im Museum machen?
Ich bin zwei Tage im Museum. Es ist in keinem guten Zustand, viel wurde zerstört. Das Gebäude steht noch, aber es gibt keine Ausstellungsstücke im Museum. Alle Fenster sind kaputt. Und deswegen rede ich mit meinen Kollegen, welche Hilfe gebraucht wird. Aus Deutschland zum Beispiel. Wir brauchen Expertise, Material zum Wiederaufbau, also viel Geld, von der Regierung, von Institutionen, Privatleuten.

Und wo sind die Fundstücke und Schätze, die ausgestellt waren?
Die sind noch da, aber in keinem guten Zustand. Die Kollegen konnten nichts tun während des Krieges. Es gibt viel Wasser im Museum, im Keller ist alles nass. Und das ist nicht gut für die Funde.
Und deine Kollegen sind in Aleppo geblieben?
Nein, sie konnten nicht in Aleppo bleiben. Sie waren in der Nähe. Aber sie konnten nicht ins Museum. Für sie ist es auch das erste Mal, dass sie zurückkommen können. Es ist eine große Freude, sie nach zwölf Jahren wieder zu sehen.
Wie sicher ist die Lage in Aleppo, gerade auch für dich, ist es gefährlich?
Die Sicherheitslage ist nicht gut in Aleppo. Vor allem nachts. Tagsüber ist es kein Problem. Aber nachts gibt es keinen Strom, und es fehlt an Polizei. Es ist nicht sicher. Deshalb werde ich alles nur am Tag machen. Es ist eigentlich nicht gefährlich, aber ich muss aufpassen und vorsichtig sein. Außerdem bin ich immer mit anderen zusammen.
Gehst du auch noch an andere Orte?
Ich muss auch nach Damaskus gehen, weil es dort die syrische archäologische Abteilung gibt. Dort möchte ich besprechen, was man für das Museum und die Altstadt von Aleppo tun kann. Denn die Stelle dort entscheidet, was von unseren Plänen umgesetzt wird oder nicht. Es geht um die Zukunft. Dort treffe ich viele Kollegen von früher, alte Bekannte.
Was ist dein größter Wunsch?
Mein größter Wunsch ist, dass ich den Leuten helfen kann. Dass ich nach den Gesprächen mit den Kollegen neue Projekte aus Deutschland nach Syrien bringen kann, damit das Museum und die Altstadt wieder aufgebaut werden. Und natürlich, dass alle gesund bleiben und in Sicherheit leben können.
Vielen Dank Youssef für das Interview. Gute Reise und viel Erfolg.
tun25021101