29. April 2025

Giftgas in Halabja: Der Duft von Äpfeln und grünem Erbrochenem

Von Sameer Ibrahim
Der 16. März 1988 ist für die Kurden im Nordirak bis heute ein traumatisches Datum, das im kollektiven Gedächtnis nicht zur Ruhe kommt. Im Rahmen des achtjährigen Krieges zwischen Irak und Iran (1980 bis 1988) griff das irakische Regime von Saddam Hussein an diesem Tag mitten im Frühling, als die Blumen blühten und die Luft ruhig war, die kurdische Stadt Halabja mit chemischen Waffen an (eine andere Schreibung im Deutschen ist Halabdscha). Die beim Luftangriff verwendeten Giftstoffe enthielten unter anderem Senfgas und Cyanid. Die Straßen waren übersät mit den Leichen von Familien, die zu fliehen versuchten. Der Angriff tötete innerhalb weniger Minuten mehr als 5.000 Menschen, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, während etwa 10.000 Menschen schwere Verbrennungen und dauerhafte Entstellungen erlitten.

Qualvolles Sterben auf der Straße
Überlebende berichteten, dass das freigesetzte Gas nach süßen Äpfeln roch und dass die Opfer auf unterschiedliche Weise starben, was auf die Verwendung eines chemischen Giftstoffgemischs hindeutet. Einige fielen sofort tot um, andere starben vor Lachen, während bei weiteren Menschen schwere Verbrennungen und Hautausschläge auftraten, bevor sie ihr Leben verloren. Manche erlitten heftige Hustenanfälle und erbrachen grüne Flüssigkeit, bevor sie starben, während andere erblindeten. Forscher sagen, dass die Chemikalien nicht nur durch Wasser und Boden an die nächsten Generationen weitergegeben wurden, sondern dass es auch zu einer erhöhten Zahl von genetischen Fehlbildungen bei Neugeborenen in der Stadt führte.
Die Auswirkungen der chemischen Waffen beschränkten sich nicht nur auf Menschen, sondern betrafen auch Tiere. Ziegen und Kühe bekamen geschwollene Bäuche, kippten zur Seite und verendeten mit steifen, gespreizten Gliedmaßen.
Ich selbst habe die Stadt Halabja im Jahr 2008 besucht, um einen Bericht für einen arabischsprachigen kurdischen Fernsehsender zu produzieren. Dabei hatte ich das Gefühl, den Duft von Äpfeln um mich herum wahrzunehmen, nachdem ich die erschütternden Berichte der Überlebenden gehört hatte, die durch den Chemieangriff entstellt worden waren.

Ethnische Säuberung durch Operation Anfal
Der Giftgasangriff auf Halabja geschah im Rahmen einer Militäroperation gegen die kurdische Bevölkerung im eigenen Land, da das irakische Regime in den Kurden eine Bedrohung seiner Herrschaft sah. Die Operation wurde unter dem Namen „Anfal“ bekannt – benannt nach der achten Sure des Korans, die „Kriegsbeute“ bedeutet und die Aufteilung der Beute nach der historischen Schlacht von Badr im zweiten Jahr der Hidschra, der Auswanderung des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina behandelt.
Diese Kampagne war Teil des anhaltenden Konflikts zwischen der irakischen Regierung und den Kurden, die nach Autonomie strebten. Die Operation mit dem Ziel einer „ethnischen Säuberung“ führte zur Zerstörung von mehr als 4.000 kurdischen Dörfern und zur Vertreibung ihrer Bewohner. Zudem wurden Massenhinrichtungen durchgeführt, bei denen die Opfer in Massengräbern verscharrt wurden. Zehntausende Kurden wurden in Internierungslager gebracht, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen leben mussten. Schätzungen zufolge fielen etwa 180.000 Menschen, darunter Frauen und Kinder, der Anfal-Kampagne zum Opfer.
Ali Hassan al-Majid, ein führender Vertreter der Baath-Partei und Cousin des irakischen Präsidenten Saddam Hussein, galt als Hauptverantwortlicher für das Massaker von Halabja und wurde wegen seiner Rolle beim Chemieangriff als „Chemie-Ali“ bekannt und nach dem Sturz des Regimes zum Tode verurteilt.

Deutsche Firmen lieferten Infrastruktur für die Giftgasproduktion
Es gibt auch eine Verantwortung Deutschlands für den Giftgasangriff auf Haladja. Schon 1988 verdichteten sich die Beweise, dass der Irak einen Großteil sowohl der Chemikalien als auch der benötigten Infrastruktur zur Entwicklung von Chemiewaffen von westlichen – vor allem deutschen – Firmen eingekauft hatte. Viele der von deutschen Firmen gelieferten chemischen oder industriellen Komponenten, die beim Bau einer der größten Chemiewaffenanlagen der Welt in den irakischen Städten von Samarra und Falludscha eingesetzt wurden, umgingen die eigentlich vorgesehene Ausfuhrprüfung. Die angeklagten deutschen Unternehmen argumentierten, dass die gelieferten Anlagen und Substanzen zur Produktion von Pestiziden zum Schutz der irakischen Dattelernte dienen sollten. Die beteiligten Firmenvertreter wurden dann auch nur aufgrund der Missachtung des Außenwirtschaftsgesetzes und nicht aufgrund von Beihilfe zum Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht gestellt. Ein ebenfalls beteiligter niederländischer Geschäftsmann wurde dagegen in den Niederlanden aufgrund seiner Mittäterschaft an Kriegsverbrechen verurteilt.
Am 5. April 1991 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 688, die eine Flugverbotszone über dem Irak verhängte. Diese Entscheidung hatte weitreichende Folgen und führte letztlich zur Entstehung der Autonomen Region Kurdistan im Irak.
Mehr als 37 Jahre nach dieser Katastrophe sind die Anfal-Kampagne und das Massaker von Halabja noch immer eine offene Wunde im kollektiven Gedächtnis der Kurden – ein Symbol für Widerstand und Entschlossenheit.
Ausführlichere Informationen finden sich in einer Dokumentation des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr unter Tod in der Luft. Der Giftgasangriff auf Halabdscha am 16. März 1988

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