29. April 2025

Johann Ulrich Stierlin, Karte der Ritterschaftlichen Freyen Pürst, 1705

von Wolfgang Sannwald, 1996

Die Karte der Freien Pirsch am Neckar und im Schwarzwald gehört mit zu den schönsten, die das Gebiet des heutigen Landkreises Tübingen zu großen Teilen abbilden. Im Westen (links) reicht sie weit in den heutigen Landkreis Freudenstadt hinein und umfaßt noch das Glattal, im Norden (oben) reicht sie bis Mötzingen, Öschelbronn und Tailfingen und folgt in etwa ab Reusten dem südlichen Schönbuchrand bis kurz vor Tübingen. Vom heutigen Stadtgebiet sind nur das Schwärzloch, Derendingen und das Bläsibad am östlichen Rand (rechts) mit kartiert. Den südlichen Rand markieren das Steinlachtal, der Rammert und, oberhalb der Legende, das Neckartal, so daß zwar Dußlingen, Ofterdingen und Dettingen noch eingezeichnet sind, nicht jedoch Mössingen, Bodelshausen, Hirrlingen und die Starzacher Teilorte.

Johann Ulrich Stierlin, der Verfasser dieser bereits oft in Ausschnitten abgebildeten Landkarte über “Die Ritterschaftlich freye bürst in Schwaben, am Neckar und Schwartzwald” war Zeugwart und geschworener Feldmesser zu Hohen – Tübingen. Er wurde am 14. März 1660 geboren und lernte wie sein Vater Johann Jakob Stierlin das Gürtlerhandwerk. Das väterliche Haus stand in der Kirchgasse 5 in Tübingen. Die Tübinger Goldschmiede sollen Johann Ulrich wegen seiner geringerwertigen Profession als “Stümpler” heftig bekämpft haben. 1684 heiratete er Anna Barbara, die Tochter des Stadtwerkmeisters Jakob Hagmann. Von seiner Hand stammen außer der abgebildeten Pirschgerichtskarte auch eine Karte des Territoriums von Hohenzollern – Hechingen und ein Situationsplan des Verlaufs der Landstraße von Tübingen über die Teufelsbrücke nach Urach.

Die vorliegende Pirschgerichtskarte sollte, wie aus der Legende hervorgeht, Jagdzwistigkeiten illustrieren, die zwischen dem Herzogtum Württemberg, dem österreichischen Hohenberg und kleineren Herrschaften des Neckargebietes vorgefallen waren. Zur Illustration finden sich an verschiedenen Stellen Bildchen von Wildschweinen und Hirschen. Eine Reihe von Einträgen stellt württembergische Übergriffe dar. Nordöstlich von Baisingen etwa heißt es in der Beschriftung, daß die Freipirscher mehrmals bei dem Baisinger Bühl zusammengekommen seien und die Freie Pirsch besucht und ausgeübt hätten. Bei Hailfingen hat Stierlin notiert, daß Württemberg dortige Äcker zwischen den Marksteinen und dem Hailfinger Tal zu seinem Forst rechnen wollte, was aber von Österreich nicht gestattet werde. In der Nähe der Wurmlinger Kapelle, auf dem Ammerberg, hatten wohl württembergische Förster einen gewissen Georg Khemler auf österreichischem Grund gefangengenommen. Auch nördlich von Hirschau findet sich eine ähnliche Grenzverletzung vermerkt. Hier sollen Württemberger zwei Hirschauer Bürger den Pfaffenberg hinabgejagt und schließlich im Österreichischen gefangengenommen haben.

Aus dem Begleittext zur Karte geht hervor, daß es sich um eine juristisch beglaubigte, also wohl exakte Kopie einer älteren Vorlage handelt, welche sich 1705 im Besitz des Georg Ludwig von Closen befand. Aufgrund der eingezeichneten Wappen, die über Besitzverhältnisse zum Zeitpunkt der Kartierung Aufschluß geben sollen, läßt sich in etwa auf die Entstehungszeit dieser Vorlage schließen. So sind beim Ort Bühl zwei Wappen eingetragen: das mit drei gestürzten Wolfsangeln der Herren vom Stain und jenes mit dem Sparren der Herren von Ehingen. Bühl war zwischen 1542 und 1626 zwischen den durch die Wappen belegten Familien geteilt. Somit müßte die ursprüngliche Karte vor 1626 gezeichnet worden sein. Diese Datierung untermauert auch Dieter Manz, der bei der Rottenburger Stadtansicht darauf hinweist, daß das bereits 1624 bestehende Kapuzinerkloster fehlt.

Nach Einschätzung des führenden südwestdeutschen Kartographiehistorikers Ruthardt Oehme ist diese Karte eine “zuverlässige, aber handwerksmäßige” Arbeit. Städte, Dörfer und Burgen sind gewissenhaft in getreuen Ansichten abgebildet. Brücken überspannen den Neckar bei der Lohmühle, bei Sulzau, Bieringen, nach Niedernau, zwei in Rottenburg, jeweils eine bei Kiebingen, Kilchberg und Derendingen. Bei Bühl greift ein Altarm des Flusses nach Norden aus. Straßen hat der Kartograph weiß belassen, es fehlen allerdings jene durch das Steinlachtal und durch das Ammertal.

Mit einfachen, gelbbraun getönten, heuhaufenförmigen Bergbildern deutet Stierlin wesentliche Landschaftszüge an, die wellige Hochfläche, die kastenförmig eingesenkten Täler. In einem anderen Braunton hat er die durch Rebsignaturen zusätzlich gekennzeichneten Weinberge gehalten. Wie kaum ein anderes Dokument vermittelt die Karte dadurch, welch riesige Flächen seinerzeit Rebkulturen nördlich von Rottenburg, im Neckartal und im Ammertal eingenommen haben. Auf die Wälder, um die es ja in besonderem Maße ging, hat Stierlin entsprechenden Wert gelegt. Sie dürften von der Lage und dem Umfang her am ehesten realistisch sein. Für ihre Darstellung hat er Baumstempel verwendet, mit denen er die Waldflächen dicht in Schwarz signierte. Für die freie, obstbaumbestandene Landschaft setzte er den Stempel nur in größeren, regelmäßigen Abständen ein. Nach Oehme griffen Kartographen die von Stierlin benutzte Technik, ihre Kartenzeichnung durch Signaturenstempel zu vereinfachen, erst wieder im 20. Jahrhundert auf.

Zur Karte: Johann Ulrich Stierlin (1660 – nach 1716), Karte der Ritterschaftlichen Freyen Pürst in Schwaben und Schwarzwald, verfertigt von Johann Ulrich Stierlin, Zeugwart und geschworener Feldmesser auf Hohentübingen, 1705. Kolorierte Federzeichnung auf Papier, 75 x 165. Verkleinerter Ausschnitt als Beilage Nr. 4. Legende: “Demnach Wür der Röm. Kay. May. Räthe undt freyer ohnmittelbahrer Reichs Ritterschafft in Schwaben, Orths am Neckher undt Schwartzwald erbetten Director Ausschiße undt Räthe von Ihro Hochfürst. Durch. zue Zollern Hechingen Consiliario Herrn Stephan (Christoph) Harpprechten Doctore und Professore extra ordinario löbl. Universität Tübingen requirirt worden, daß wür die uns zuegesandte und von Johan(n) Ulrich Stierlin Zeug warten auff Hochen Tibingen dises Jahrs verfertigte freye Bürsh und Forst Cart, mit der ienigen so in unsers Mit Raths und Ausshüßen Herren Georg Ludwig Freyherren von Closen auff Heydenburg, zue Kilchberg und Milhaußen am Negger Handen und Verwahru(n)g ist, conferiren laßen, und darüber, daß iene solcher conform seye, ein beglaubtes Attestat under unserm gewohnlichen Ritter Signet erthaillen möchten. – Alß haben wür bede Freye bürsch und Forst Carten fleyßig gegen einander conferiren laßen und befunden, daß die ney nach gemachte Cart, der in Baron Cloßnischen Verwahrung seyender freyen bürsch und Vorst Carten, ra(ti)o(n)e der darin benambsten österreichisch. württenberg. Ritterschafft und andern Orthen und Districten, und der deßwegen sonderlich mit dem Hochfürstl. Forst Württenberg entstandener und darinen bemerckter Differentien schon conform, und allein im Format etwaß kleiner nach gemacht seye. Welches zue Steur der Warhait requirirter maßen hiemit attestirt und mit unßern gewohnlichen Ritter Signet bezeigt württ. Norstetten den 10. octobris Anno 1705.” Original: Staatsarchiv Sigmaringen K I Sch/1, Reproduktion Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten. Viele Veröffentlichungen von Ausschnitten, v.a. in der ortsgeschichtlichen Literatur. URL: http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=6-202257-1

Literatur: Ruthardt Oehme, Geschichte der Kartographie des deutschen Südwestens, Konstanz 1961 S. 106f.; Reinhold Rau, Das Goldschmiedehandwerk in Tübingen von 1650 bis 1800, in: Tübinger Blätter 51 (1964) S. 40 – 45, hier S. 44.

Ich danke Herrn Albert Schick aus Bühl für den Hinweis zur Datierung anhand des bei Bühl aufgemalten Wappens.

Auszug aus: Wolfgang Sannwald (Hg.): Schönbuch, Neckar, enge Gassen. Ortspläne und Landkarten aus vier Jahrhunderten, Gomaringen 1996