Von Ute Kaiser
Sie heißt Roula, „ausgesprochen mit einem rollenden R“. Die 22-jährige in Damaskus geborene Syrerin kam 2014 nach Deutschland. Sie studiert inzwischen Erziehungswissenschaften in Tübingen. Aber nicht nur das. Roula Al Sagheer hat ihr zweites Buch veröffentlicht: „Herzklopfen und Hoffnung“. Darin erzählt sie „wahre Geschichten“ über „Freude und Trauer, Frust und Liebe, Angst und Geborgenheit“. tuenews INTERNATIONAL sprach mit der Autorin und ehemaligen tuenews-Mitarbeiterin, die inzwischen eingebürgert ist.
Roula, wie bist du auf die Idee zu diesem Buch gekommen?
„In den Nachrichten oder in politischen Debatten wird immer über uns gesprochen – nicht mit uns.“ Seit zehn Jahren hätten Geflüchtete die deutsche Sprache gelernt und mittlerweile ihren Platz in der Gesellschaft gefunden. Doch es werde nicht (mehr) thematisiert, was damals geschehen sei. Das will Roula mit ihrem Buch ändern. „Es ist jetzt die Zeit gekommen, dass wir über uns sprechen – mit unserer eigenen Stimme und aus unserer Sicht.“
Nach zehn Jahren würden die Folgen des Krieges, der Flucht und des Ankommens nicht mehr öffentlich wahrgenommen: „Aber sie sind immer noch allgegenwärtig“, so die Autorin – zum Beispiel Probleme in Familien sowie chronische oder psychische Krankheiten. Ein Grund: Viele Geflüchtete hätten sich nicht getraut, sich Hilfe zu holen, weil es im Gespräch mit deutschen PsychotherapeutInnen Schwierigkeiten mit der Sprache gebe und die TherapeutInnen die arabische Kultur nicht kennen. Das Gefühl, sie würden nicht gut verstanden oder ihnen werde nicht geglaubt, sei schlimm. Das weiß Roula aus vielen Gesprächen.
Wie hast du deine 16 überwiegend jungen InterviewpartnerInnen gefunden?
Viyan, mit der Roula über Identität sprach, ist eine ehemalige Mitstipendiatin des baden-württembergischen Programms „Talent im Land“ für begabte SchülerInnen. Dr. Mohamad Alachkar, ein angehender Facharzt in den Bereichen Neurologie und Psychiatrie in München, ist der syrischen Community aus sozialen Medien bekannt. Die Autorin hat auch einige Bekannte gezielt angesprochen, weil ihre Geschichte perfekt zur Idee ihres Buchs passt. Andere fanden sich über ein Anschreiben an ihre „Talent im Land“-Kontakte. Ein ehemaliger Mitschüler, der sich am Buch-Wettbewerb (siehe Info) beteiligt, erzählte ihr davon.
Wie lief die Arbeit am Buch?
Im Wettbewerb galten Vorgaben. Roula durfte maximal 17 Texte mit höchstens 3500 Zeichen schreiben – eine echte Herausforderung. Nach den Interviews, bei denen sie meist über das Leben von der Geburt bis heute erfuhr, wollte die Autorin keine einzige Geschichte ausschließen: „Ich hatte das Gefühl, jede erzählt etwas Besonderes.“ Die etwa zweieinhalb Monate dauernde Arbeit am Buch hat Roula manch schlaflose Nacht bereitet. Sie musste einige Details weglassen: „Das tat weh“ und erforderte enorme Konzentration.
Extreme Kraft hat die 22-Jährige auch gekostet, jede Geschichte aus der Ich-Perspektive zu schreiben. Um sich in ihre GesprächpartnerInnen hineinversetzen zu können, musste sie „die Trennlinie zwischen meinen und ihren Gefühlen überwinden“. Alle Lebensgeschichten waren ergreifend. Doch das erste Gespräch mit Reham ging ihr besonders nah: „Ich musste das ganze Interview über weinen.“ Roula ist beeindruckt, dass sich die junge Frau „trotz einer sehr turbulenten Kindheit eine inspirierende und hoffnungsvolle Ausstrahlung bewahren konnte“.
Reham kam als Achtjährige in das fremde Deutschland. Die Familie konnte sich nur die Flucht für sie und zwei ältere Brüder leisten. Weil das Mädchen ihre Familie nachholen wollte, durfte sie nicht bei ihren Geschwistern bleiben. Doch sie war nie wütend auf ihre Eltern. Trotz der negativen Erlebnisse sieht sie ihr Leben positiv. Es habe sie zu dem gemacht, was sie heute ist: „eine ambitionierte, zuversichtliche junge Frau“. Damit ist sie nicht allein. Vom Vertrauen auf die eigene Stärke und auf eine positive Zukunft erzählen auch andere Geschichten.
Die Arbeit am Buch war für Roula emotional hart. Aber sie hat ihr auch viele erfreuliche Momente beschert. Freunde und Familie haben sie dabei „super unterstützt“. Und: Nachdem sie Informationen über ihr Projekt in sozialen Medien geteilt hat, bekam sie viel positive Resonanz. Selbst unbekannte SyrerInnen haben ihr geschrieben: „Wir sind superstolz auf dich.“
Welche Ziele und Wünsche verbindest du mit deinem Buch?
„Ich hoffe, dass damit unsere Geschichte dokumentiert wird“, sagt Roula. Es gebe viele Menschen, „die noch immer nicht verstehen, warum wir andere Wahrnehmungen haben“. Besonders Traumata spielten im alltäglichen Leben eine große Rolle. Die Autorin wünscht sich, dass auch Menschen, die nicht von traumatisierenden Kriegs- und Fluchterfahrungen betroffen sind, die Narben auf der Seele verstehen und neue Erkenntnisse gewinnen: „Dann wäre die neue Kultur keine Bedrohung mehr, sondern eine Bereicherung.“
Roula setzt auf mehr Zusammenhalt in der Gesellschaft. „Wir haben diese Fluchterfahrungen, aber wir sind keine Flüchtlinge. Wir sind Menschen, die Ziele haben.“ Sie hofft, dass ihr Buch auch an den Schulen ankommt. Sie fände es wünschenswert, wenn die MitschülerInnen „Verständnis und Respekt“ für Leute aus anderen Ländern entwickelten und wenn „alle Menschen in Deutschland eine Heimat füreinander werden“.
Info:
„Young Storyteller Award 2024“ heißt der Wettbewerb von story.one und Thalia, an dem Roula Al Sagheer sich mit ihrem Buch „Herzklopfen und Hoffnung“ (Cover: Anas Kamel) beteiligt. Zehn TeilnehmerInnen kommen ins Finale. Die Jury entscheidet am 11. Oktober in Köln über die Siegerin oder den Sieger.
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