Von Michael Seifert
Die neue Bundesregierung hat seit ihrem Start im Mai 2025 alle wichtigen Möglichkeiten geschlossen, regulär als Flüchtling für die Suche um Asyl nach Deutschland zu kommen. Zu diesem Schluss kommt der „Mediendienst Integration“ in einer Analyse von Ende August. Geflüchteten bleibt daher nur noch die Möglichkeit, ohne Aufenthaltserlaubnis nach Deutschland einzureisen und beim Grenzübertritt den Antrag auf Asyl zu stellen. Auch diese Möglichkeit wird aber durch verschärfte Grenzkontrollen und Zurückweisungen direkt an der Grenze erheblich eingeschränkt. tuenews INTERNATIONAL hat über diese Praxis und die rechtliche und politische Kritik daran berichtet: tun25011406 und tun25052006.
Die beendeten legalen Fluchtwege nach Deutschland waren das UN-Resettlement-Programm, die Bundesaufnahmeprogramme und die humanitäre Aufnahme für besonders gefährdete Personen sowie der Familiennachzug auch für Geflüchtete mit subsidiärem Schutz.
Kein Programm für besonders schutzbedürftige Menschen mehr
Bereits im Mai 2025 hat die Bundesregierung das Resettlement-Programm eingestellt. Das Resettlement ermöglicht besonders schutzbedürftigen Menschen, in einen aufnahmebereiten Staat einzureisen. Nur Personen, die vom UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) als Flüchtlinge anerkannt sind, können am Resettlement teilnehmen. Es handelt sich bei ihnen um besonders schutzbedürftige Geflüchtete, wie etwa Minderjährige, Überlebende von Folter oder Gewalt sowie Menschen mit Behinderungen. Im Rahmen des Programms kamen in den vergangenen Jahren die meisten aus Syrien (6.100 Personen), dem Sudan (1.100), Somalia (906) und Eritrea (688). Die Länder, die 2024 weltweit die meisten Resettlement-Flüchtlinge aufgenommen haben, waren die USA (ca. 105.500 Personen), Kanada (49.300) und Australien (17.200). Das UNHCR schätzt den Bedarf weltweit auf etwa 2,5 Millionen Menschen, die für das Programm in Frage kommen würden.
Die freiwilligen Bundesaufnahmeprogramme wie etwa das Programm für politisch gefährdete Afghaninnen und Afghanen hat die Bundesregierung beendet. Hier können nur noch Personen, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben, ihre Einreise durch eine Klage vor deutschen Gerichten erkämpfen. (tuenews berichtete: tun25040104) 2300 afghanische Personen mit Aufnahmezusage warteten in Pakistan noch immer auf die Ausreise, erst 50 von ihnen sind inzwischen in Deutschland gelandet. 200 von ihnen wurden bereits von Pakistan nach Afghanistan zurück abgeschoben, neueste Meldungen des Auswärtigen Amts sprechen von weiteren 30 Abschiebungen.
Das Verfahren zur humanitären Aufnahme für besonders gefährdete Einzelpersonen („zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ § 22 AufenthG) soll nur noch in Ausnahmefällen angewendet werden. Seit Amtsantritt der Bundesregierung bekamen nur noch 45 Personen eine solche Aufnahmeerklärung. Wie der „Mediendienst Integration“ recherchiert hat, sind hier besonders auch Dissidentinnen und Dissidenten aus Russland durch die Haltung der Bundesregierung betroffen. Seit 2022 konnten insbesondere verfolgte Russinnen und Russen, also etwa Menschenrechtsverteidiger und Personen, die Widerstand gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine organisierten, Schutz in Deutschland finden, was nun nicht mehr möglich ist.
Aussetzung des Familiennachzugs
Der Familiennachzug zu subsidiär schutzberechtigten Personen in Deutschland ist durch ein Gesetz seit 24. Juli 2025 für voraussichtlich zwei Jahre ausgesetzt. Während dieser Zeit können keine Visa für den Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten erteilt werden. Zuvor war der Nachzug auf 1.000 Visa pro Monat begrenzt und erfolgte im Rahmen einer Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung humanitärer Gründe. Auf europäischer Ebene urteilte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof 2021, als es um den Familiennachzug für einen subsidiär Geschützten in Dänemark ging, dass eine komplette Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte nicht erlaubt ist: Staaten dürfen demnach den Familiennachzug für zwei Jahre ausschließen, müssen danach aber jeden Einzelfall prüfen.
Erfolgsmeldungen und juristische Einschätzung
Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sind die Neuanträge auf Asyl im Monat August 2025 um 60% gegenüber dem Vergleichsmonat 2024 zurückgegangen, von 18.427 auf 7.803. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt sieht in den sinkenden Zahlen einen Erfolg der Migrationspolitik der Bundesregierung: „Unsere Asylwende wirkt, unsere Maßnahmen sind erfolgreich.“
tuenews INTERNATIONAL fragte den Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer, Experte für Ausländer- und Flüchtlingsrecht, der viele Geflüchtete vor Gericht vertreten hat, nach seiner Einschätzung zum Gesamtpaket der Asylpolitik der neuen Bundesregierung. Er hat zunächst grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken: „So langsam setzt man Grundrechte außer Kraft. Im Artikel 6 des Grundgesetzes steht: ‚Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Grundordnung‘ – ähnlich im Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und in der Grundrechtecharta der EU.“
Rothbauers Kritik an der Aussetzung des Familiennachzugs hat aber auch ganz praktische Aspekte: „Integration gelingt um Klassen besser, wenn auch nur ein Familienangehöriger im Nachzug einreist. Dafür habe ich zahlreiche Beispiele hier im Landkreis Tübingen erlebt. Und auch die später eingereisten Familienmitglieder haben sich in den allermeisten Fällen sehr gut integriert bis hin in den Arbeitsmarkt.“
Als Motivation hinter allen Maßnahmen der Regierung sieht der Rechtsanwalt: „Man glaubt durch eine harte Gangart etwas in puncto Wählerstimmen zu gewinnen und achtet gar nicht mehr darauf, ob die Maßnahmen verfassungs- und rechtskonform sind. Die Judikative als eigentlich schwächstes Glied bei der Gewaltenteilung ist jetzt am Zug: Glücklicherweise sind Gerichte bezüglich der bereits gemachten Zusagen an gefährdete AfghanInnen in die Regierungspolitik ‚hineingegrätscht‘ und verlangen die Einhaltung dieser Zusagen bis hin durch Androhung von Zwangsgeldern.“
Klare Verstöße gegen EU-Recht
Gefragt nach seiner Beurteilung der Zurückweisungen an der Grenze entgegnet Holger Rothbauer: „Es ist geltendes EU-Recht, dass der Staat, in dem ein Flüchtling ein Asylgesuch stellt oder das Wort ‚Asyl‘ ausspricht, für das Asylverfahren zuständig ist. Wenn man diese Leute zurückweist, bevor sie diesen Antrag überhaupt stellen können, dann ist dies ein klarer Verstoß gegen geltendes EU-Recht und auch gegen das Grundgesetz (Artikel 16a).“ In diesem Fall trete nämlich die Dublin-Verordnung in Kraft, die vorsieht: „Wenn ein Flüchtling etwa aus Italien über Österreich nach Deutschland einreist und hier das Gesuch stellt, muss das Land, das er zuerst betreten hat innerhalb einer Frist von in der Regel sechs Monaten erklären, dass es ihn zurücknimmt und ein geordnetes Verfahren durchführt. Das ist vielfach nicht der Fall und damit ist dann Deutschland zuständig.“
Rothbauers Fazit: „Wenn die Exekutive sich sehenden Auges wie im Asylbereich über geltendes Recht hinwegsetzt, dann haben wir ein Problem, dann haben wir keinen Rechtsstaat mehr.“
Zum Dossier des „Mediendienst Integration“:
MEDIENDIENST INTEGRATION | Zentrale legale Fluchtwege nach Deutschland geschlossen
tun25090202