29. April 2025

Nationalmuseum von Aleppo: Schockierendes Wiedersehen nach zwölf Jahren

Von Bernhard Kirschner
So schlimm hatte sich Youssef Kanjou den Zustand des Nationalmuseums von Aleppo nicht vorgestellt. Zwölf Jahre nach der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien ist der ehemalige Direktor zu einem zweiwöchigen Besuch an seinen früheren Arbeitsplatz zurückgekehrt. Nun will er sich um Hilfe aus Deutschland bemühen.
„Ich habe ständig Kontakt mit meinem Team gehabt. Die Kollegen haben mir Fotos geschickt. Aber dass das Museum in so einem Zustand ist, hätte ich nicht gedacht. Dieser Anblick war das Schlimmste für mich.“ Kanjou wirkte sichtlich geschockt, als der Mitarbeiter von tuenews INTERNATIONAL in Tübingen bei einer Redaktionssitzung von seinen Erlebnissen berichtet. Nur der Haupteingang des Nationalmuseums (https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalmuseum_Aleppo) und der vordere Teil des Erdgeschosses sind in gutem Zustand. Sie wurden in der Zwischenzeit mit Geldern aus dem Entwicklungsprogramm der UNDP restauriert. Dort stehen einzigartige Objekte aus der Stein- und Bronzezeit sowie der Antike. Wie die Statue einer Wasser spendenden Göttin oder die Bronzefigur eines Löwen von Mari aus der Zeit etwa 2150 vor Christus.

Der Eingangsbereich des Nationalmuseums in Aleppo. Foto: tuenews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

Räume des Museums in Aleppo stark beschädigt
Die Räume im Obergeschoss des Museums sehen grauenvoll aus. Große Teile der abgehängten Decke sind heruntergefallen, die Glasfenster zertrümmert, Putz und Mauerteile sind abgebrochen, die Lampen kaputt. Die wertvollsten Exponate aus der Bronze- und Eisenzeit, der Antike und der islamischen Kultur, für die das Museum weltweit berühmt ist, wurden 2015 während des Bürgerkriegs nach Damaskus gebracht. Zurück blieben die großen Statuen, die schwer zu transportieren sind. Und jede Menge Keramik, Töpfe, Becher, Kannen und andere Gefäße. Viele Objekte lagern im Keller. Aber der steht an vielen Stellen unter Wasser. Keine guten Bedingungen für die Kulturschätze des Landes. Das Museum ist geschlossen, an eine baldige Öffnung nicht zu denken.

An manchen Stellen sind sogar Mauerteile abgebrochen und auf wertvolle Objekte gestürzt. Foto: tuenews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

Kein Geld für Kulturschätze
In langen Sitzungen haben Kanjou und sein Team überlegt, wie sie den Wiederaufbau anpacken können. Es gibt erste Pläne, aber kein Geld. Nicht einmal für Kartons, um die Objekte sicher zu verpacken. Als erstes müsste das Wasser im Keller abgepumpt werden. Die Pumpen sind da, aber es gibt keinen Strom und keinen Diesel für die Generatoren. Dann müssten neue Fenster eingesetzt, Decken und Wände repariert und Lampen erneuert werden. Auch die Feuermelder und Überwachungskameras sind hin. Die Liste der Arbeiten ist lang. Die Übergangsregierung wartet ab und hofft auf Hilfe aus dem Ausland.

Ein Teil des Erdgeschosses wurde inzwischen repariert – Dr. Youssef Kanjou mit einer seiner Lieblingsstatuen, einer Wasser spendenden Göttin. Foto: tuenews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

Archäologisches Erbe bedroht
Archäologische Gebäude in Aleppo hat es noch schlimmer getroffen. Wie die Zitadelle aus dem Mittelalter, die vor allem die Ayyubiden im Mittelalter gebaut haben (https://de.wikipedia.org/wiki/Zitadelle_von_Aleppo). Teile des Weltkulturerbes, das sich imposant über die Stadt erhebt, sind völlig zerstört. Das beliebte Café ist ein Trümmerhaufen, wie Kanjou bei einem Besuch mit Kollegen feststellen musste. Auch das Museum und Teile der Festungsmauer sind schwer beschädigt. Ein Minarett wird durch ein Gerüst behelfsmäßig abgestützt, damit es nicht einstürzt.

Das Minarett aus der Ayyubiden-Zeit ist eingerüstet, damit es nicht einstürzt. Foto: tuenews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

Tempelanlage in schlechtem Zustand
Die Reste eines bronzezeitlichen Tempels (https://www.gerda-henkel-stiftung.de/die-zitadelle-von-aleppo-und-der-tempel-des-wettergottes?page_id=75709) auf dem Gelände, dessen Ursprung ins dritte Jahrtausend vor Christus reicht, sind überwuchert. Mauerreste sind von angewehtem Sand überdeckt, der dort regelrecht festgebacken ist. Eigentlich darf niemand auf die Festung. Es ist lebensgefährlich. Sein Team hat eine Ausnahmegenehmigung. Eine Sicherheitskraft der Übergangsregierung begleitet ständig die Archäologen.
Im Umland soll die Lage der Ausgrabungsstätten noch schlimmer sein. Überall könnten Blindgänger, nicht explodierte Munition und anderes Kriegsgerät herumliegen. Ausgrabungen sind derzeit eh verboten. Deshalb möchte Kanjous Team ein Projekt auf den Weg bringen, in dem mit einer Drohne die archäologischen Stätten erfasst und dokumentiert werden. Damit die gefährlichen Hinterlassenschaften des Krieges beseitigt werden können.

Sand bedeckt etliche Mauern des Tempels und ist regelrecht festgebacken. Die Restaurierung ist eine Herausforderung für die Archäologen. Foto: tuenews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

Deutsche Museen als Paten für Aleppo erwünscht
Aber dafür braucht es Geld, viel Geld. Deshalb hat sich Kanjou mit maßgeblichen Leuten wie dem Generaldirektor der Antikenverwaltung DGAM in Damaskus getroffen. Die Behörde ist für das Kulturerbe des Landes zuständig und trifft die Entscheidungen. Einen Kulturminister hat die Übergangsregierung noch nicht ernannt. Kanjou hatte nach dem Gespräch einen guten Eindruck: „Es war sehr hilfreich“. Sein Team soll eine Liste mit den nötigen Arbeiten erstellen und dem Generaldirektor übergeben.
Ideen gibt es viele. Vielleicht sind mobile Ausstellungen mit Kunstschätzen aus Syrien im Ausland eine Möglichkeit Geld ins Land zu bringen. Jetzt wird fieberhaft nach Unterstützern gesucht. Kanjou hofft auf die Gerda-Henkel-Stiftung, die schon bisher die Ausgrabungen auf dem Gelände der Zitadelle gefördert hat. Vielleicht hilft die Gründung eines Vereins weiter, Patenschaften mit deutschen Museen. Auf den ehemaligen Direktor des Nationalmuseums von Aleppo wartet jede Menge Arbeit.

Trauriger Blick über die Innenstadt von Aleppo vom Nordrand der Zitadelle. Viele Gebäude sind noch nicht wieder aufgebaut. Foto: tuenews INTERNATIONAL / Youssef Kanjou.

Weitere Informationen:
https://tuenews.de/ein-besuch-in-aleppo-voller-emotionen/

tun25032401

www.tuenews.de